Meister B mit dem Würfel, Stecher
nach Michiel Coxcie (auch: Coxie), Erfinder, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, (?), Erfinder, Zeichner

Psyche erhält von Proserpina die Büchse der Schönheit, um 1530

Aus: "Die Fabel der Psyche", Blatt 27

Das dramatische Geschehen um die Liebe zwischen der schönen Königstochter Psyche und dem Göttersohn Amor erfreute sich im 16. Jahrhundert großer Beliebtheit. Wichtigste Quelle war die von dem antiken Dichter Apuleius in Der goldene Esel überlieferte Fabel der Psyche, doch gab es auch neuzeitliche italienische Bearbeitungen. Auf dieser literarischen Basis schuf Raffael um 1516 bis 1518 mit seiner Werkstatt einen umfangreichen Freskenzyklus in der Farnesina in Rom (Inv.-Nr. 293, 289, 287, 550, 70397, kb-1981-358k-95, hk-510, 1957-333). Damals entstanden zahlreiche, z. T. nicht verwendete Entwürfe, die möglicherweise um 1530 dem flämischen Maler Michiel Coxcie als Grundlage für eine Folge von 32 Zeichnungen zur Geschichte der Psyche diente. Coxcie hielt sich zu dieser Zeit in Rom auf, ebenso wie der nach seiner Signatur benannte Meister B mit dem Würfel (auch als „Würfelmeister“ bezeichnet). Von diesem Kupferstecher stammen 29 Graphiken nach Zeichnungen Coxcies, drei weitere Drucke – ebenfalls nach Vorlagen Coxcies – steuerte Agostino Veneziano bei. (Anm. 1) Der Zyklus mit der Fabel der Psyche erlangte enorme Breitenwirkung, was sich in mehreren graphischen Wiederholungen, aber auch in danach gearbeiteten Emailgefässen oder Teppichen ausdrückt. Diese Popularität beruhte einerseits auf den eleganten, erotischen Kompositionen, andererseits auf der im 16. Jahrhundert als sicher geltenden Beteiligung Raffaels. Trotz dieser unverkennbaren Bedeutung fand die Folge in der Forschung bislang auffallend wenig Beachtung. So ist offenbar die genaue Abfolge der ersten Auflagen noch nicht abschließend geklärt. Die Hamburger Kunsthalle besitzt verschiedene Druckzustände, von zahlreichen Motiven befinden sich – wie bei dem vorliegenden Blatt – sogar die sehr seltenen Abzüge ohne jegliche Schrift und Nummerierung im Kupferstichkabinett. (Anm. 2) Einer der graphisch reizvollsten Stiche zeigt einen dramatischen Höhepunkt der Erzählung. Die eifersüchtige Venus hatte die bildschöne Psyche zu Proserpina geschickt. Sie sollte von der Göttin der Unterwelt die Büchse der Schönheit in Empfang nehmen, das Gefäß aber auf keinen Fall öffnen. Die Szene zeigt Proserpina majestätisch inmitten antiker Architektur sitzend, während Psyche demutsvoll vor ihr kniet, die gerade empfangene Büchse haltend. Dem Würfelmeister gelingt es eindrücklich, das Totenreich durch eine bedrohlich dunkle Wolkenzone zu veranschaulichen. Fast gewinnt der Betrachter den Eindruck, als ob Blitze die Begegnung der beiden Frauen in ein besonders helles Licht tauchen. Die Szene ist mit großer Verve gestochen, was man gerade in den fast chaotischen Strichlagen der Wolkenzone ablesen kann. Generell ist der Strich frei und beweglich. Der Meister B mit dem Würfel erweist sich hier wie auf manchen anderen Blättern der Folge als versierter Graphiker mit eigener Handschrift. Trotz intensiver Recherchen blieb seine Identität bislang ungelüftet. Sein umfangreiches Œuvre weist einen Schwerpunkt mit Reproduktionen nach Raffael, Giulio Romano und Baldassare Peruzzi auf. Innerhalb dieser Gruppe zählen seine Kupferstiche für die Amor und-Psyche-Folge sicherlich zu seinen beliebtesten Werken.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch XV (1813), S. 222, Nr. 65; Höper 2001, S. 208, Nr. A 94.1
(zur Folge allgemein); Meier/Gramaccini 2009, S. 174–175, Nr. 110 (Beitrag
Hans Jakob Meier

1 Zur Geschichte der Zuschreibungen der Folge siehe Höper 2001, S. 208 bei Nr. A 94.1.
2 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 611-650.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 174mm x 227mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 643 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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