Rembrandt Harmensz. van Rijn

Christus vor Pilatus, große Platte (Lukas 23, 13-25 und Johannes 19, 8-16), 1635

Auf diesem großen Blatt ist ein bewegtes Geschehen aus der Passionsgeschichte wiedergegeben; viele Personen sind beteiligt. Rembrandt hat hier ein eigenes Gemälde in die Technik der Radierung übertragen und konnte so das unmittelbare Nacherleben dieser Szene vielen Menschen vor Augen stellen, da seine Radierungen im ganzen Land verkauft wurden.
Man sieht, dass der gefangene und gefesselte Christus schon die Dornenkrone trägt, die ihm zum Spott aufgesetzt worden war, und er die Schläge der Geißelung bereits erlitten hat, denn sein Oberkörper ist nackt und nur knapp von einem Tuch bedeckt. Aus der Tiefe des oberen Raumes kommen, zusammen mit Christus, zahlreiche Soldaten mit Spießen und Hellebarden nach vorn. Sie müssen auch das Volk abwehren, das gegen Christus aufgebracht worden ist und wütend seine Kreuzigung verlangt. Das sieht man an dem Soldaten links von Christus, der seinen Spieß als Sperre vor die Menschenmenge hält, die bedrohlich herandrängt. Auch Neugier kommt auf, wie sie der Mann zeigt, der seinen Fensterladen geöffnet hat und sich herauslehnt, um alles zu beobachten. Christus ist die Hauptperson, die in vollem Licht steht. Auf der Ebene darunter erkennt man Pilatus, den römischen Statthalter und mächtigsten Mann im Land, der sich in der Aufregung von seinem Thron erhoben und die Fußbank beiseitegeschoben hat. Beschwichtigend hebt er die Hände, um auf die vier Vertreter der Juden einzuwirken, die von ihm die Verurteilung Jesu verlangen, ihn in ihrer Erregung am Mantel packen und sogar gewagt haben, ihm seinen Stab der Gerichtsbarkeit wegzunehmen. Pilatus bemüht sich um Ausgleich, er kämpft nicht um diesen Stab oder gegen die zudringlichen Juden an. Die beruhigende Gebärde seiner Hände wird noch einmal von einer Figur weiter unten wiederholt, die damit die große Volksmenge zu beschwichtigen sucht. Dort erkennt man auch wieder Soldaten, welche die Menschen zurückdrängen. Die Hauptsache sind aber die unterschiedlichen Mienen der Gesichter: der treu ergebene Christus, der zum Himmel aufschaut, der vornehme Diplomat Pilatus und die fanatischen Eiferer der anklagenden Juden vor ihm, deren Gesichter fast zu Karikaturen verformt sind.

Thomas Gädeke

Details zu diesem Werk

Radierung und Kupferstich 549mm x 447mm (Platte) mm x mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 6193 Sammlung: KK Druckgraphik, Niederlande, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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