Rembrandt Harmensz. van Rijn

Christus wird dem Volke vorgestellt (Matthäus 27, 21-23 und Markus 15, 1-15), 1655

Der größte Unterschied zwischen den beiden Versionen des Bildes ergibt sich durch die Leute vor dem Palast. Bei dem ersten Bild sind es viele Menschen, die ihren Willen zum Ausdruck bringen, dass Jesus verurteilt werden soll. Sie stehen dicht gedrängt, vor allem vor der Tribüne mit Christus, aber auch an den Seiten. Viele Hände strecken sich auf den Heiland zu, und man kann sehen, wie stark die Menge aufgewühlt ist. In dem zweiten Blatt dagegen hat Rembrandt die Tribüne verändert. Wo vorher eine große Gruppe von Menschen stand, sind nun zwei Fensterbögen zu sehen, die vielleicht zu den Kerkern unter dem Gerichtsgebäude gehören. Die Menschengruppe in der Mitte ist ausradiert. Nur am Rand stehen noch immer Leute, die heftig gestikulierend Jesu Auslieferung fordern. Auf der linken Seite sind ein paar Männer dazugekommen. Durch diese Veränderung wird der Blick deutlicher auf Christus hin gelenkt, der sich in größter Gefahr befindet. Die dunklen Fensterlöcher betonen dies und lassen spüren, wie einsam er vor den Menschen steht, die seinen Tod fordern. Außer diesem Unterschied in der Darstellung, der auch die Stimmung des Bildes verändert, hat Rembrandt noch kleinere Abwandlungen an der Architektur vorgenommen. Wenn man die Unterschiede ausfindig macht, fällt einem vielleicht auch die Frau auf, die aus dem Fenster auf der linken Seite schaut. Es ist die Frau des Pilatus, die ihrem Mann hatte sagen lassen, er solle Jesus verschonen, ihr sei das im Traum nahegelegt worden war. Pilatus aber hört nicht auf sie, auch wenn er versucht, die Menschen umzustimmen. Dies schildern auch die anderen Evangelisten. Johannes erzählt, wie Pilatus versucht, Mitleid mit Jesus zu erwecken, der schon schwer geschlagen und verspottet worden war. Mit der Dornenkrone, die man ihm aufgesetzt hatte, ließ er ihn vor die Menschen führen, wobei er aus rief: „Sehet, welch ein Mensch!" – auf lateinisch, der Sprache der Römer, „Ecce homo“ (19,5). Daher kommt auch der Name der Radierung. Doch Pilatus konnte die Menschen nicht umstimmen, so dass Christus gekreuzigt wurde.

Uta Kuhl
Einen früheren Zustand zeigt Inv.-Nr. 6190.

Details zu diesem Werk

Kaltnadel 358mm x 455mm (Platte) 388mm x 488mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 6192 Sammlung: KK Druckgraphik, Niederlande, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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