Carlo Rancini, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Società fratelli Nistri, Drucker

Die Vertreibung des Heliodor, 1855

Aus: Atlas zu Giovanni Rosini; "Storia della pittura Italiana esposta coi monumenti", Suppl. II, Tafel CCXXVI

Während von den Hauptbildern der Stanza della Segnatura zahlreiche Details durch Druckgraphiken Verbreitung fanden (Inv.-Nr. 2020-256, 73831, 20219), lässt sich dies für die Stanza di Eliodoro nicht nachweisen. Dies ist insofern verwunderlich, als sich auch in diesem Raum ausdrucksstarke Motive und damit geeignete Vorlagen für Kunstfreunde und Studierende befinden. Einzig das unbestrittene Hauptbild des Raumes, die Vertreibung des Heliodor, fand in dieser Hinsicht das Interesse der Graphiker und Verleger. So lassen sich 1755 mehrere Kopfstudien von Charles Nicolas Cochin in Jomberts Zeichenlehrbuch Methode pour apprende le dessin (Anm. 1) oder um 1795 Josef Karl Burdes Serie von acht Köpfen im Oval nachweisen. (Anm. 2) Im 19. Jahrhundert folgen nur noch wenige Reproduktionen, von denen Carlo Rancinis Umrisslinienradierung der Vertreibung des Heliodor von besonderem Interesse ist. Ungewöhnlich ist, dass nicht ein Körperdetail, sondern in diesem Fall das Hauptmotiv wie durch ein Zoomobjektiv herausgelöst ist. Auf diese Weise gewinnt die packende Szene an Unmittelbarkeit und Wirkung.

Die Reproduktion ist Teil einer der interessantesten und wichtigsten kunsthistorischen Veröffentlichungen zur Malerei Italiens im 19. Jahrhunderts: Giovanni Rosinis Storia della Pittura Italiana esposta coi Monumenti (Geschichte der italienischen Malerei dargelegt mit Monumenten) (Anm. 3) Das umfangreiche, letztlich siebenbändige Werk erschien von 1839 bis 1845 in Teillieferungen und wurde durch Subskription finanziert. Rosini gliederte die Kunstgeschichte Italiens in vier Abschnitte: Von Giunta Pisano zu Masaccio, von Filippo Lippi zu Raffael, von Giulio Romano zu Federico Barocci und von den Carracci zu Andrea Appiani.

Die erste Ausgabe der Geschichte der Malerei war reich illustriert. (Anm. 4) Die Textbände wiesen 370 kleinformatige Illustrationen auf. Dazu gab es zwei Supplementlieferungen in Atlanten mit insgesamt 248 Tafeln im Großformat. Diese Blätter wiesen zumeist Informationen über das Thema, die Künstler sowie die ausführenden Graphiker auf.

Rosini war eine vielseitige Persönlichkeit. Er hatte Erfolg als Autor vornehmlich historischer Erzählungen, Romane und Dramen, war aber auch Professor für Rhetorik, Sammler, Kunsthändler, Akademiedirektor und Konservator des Camposanto in Pisa. Die Anregung zu seiner Storia della Pittura erhielt Rosini wohl 1813 in Paris, als er dort mit Leopoldo Cicognara zusammentraf. Dieser hatte im selben Jahr den ersten Band seiner Storia della Scultura Italiana (Geschichte der Skulptur in Italien) herausgebracht. Diese hinsichtlich ihrer Materialfülle und Methodik erstaunliche Publikation könnte eine Art Vorbild für Rosini gewesen sein. Dies gilt auch für die Art der reichen Bebilderung mittels Umrissradierungen. Beide Autoren entschieden sich für dieses Verfahren, wohl nicht zuletzt wegen der einfacheren Lesbarkeit der auf die reinen Konturen reduzierten Kompositionen. (Anm. 5) Doch dürften auch finanzielle Erwägungen die Wahl der Technik beeinflusst haben. Rosini beschäftigte eine größere Zahl von Graphikern, von denen einige – wie im Falle Rancini – bislang wenig erforscht sind.

Raffael ist zwar neben der Vertreibung des Heliodor noch mit mehr als zehn Werken vertreten, doch bleibt die Auswahl aus heutiger Sicht irritierend. Denn es finden sich sehr bedeutende Malereien wie die Transfiguration Christi oder die Madonna di Foligno neben Werken wie der Madonna Ansidei oder der Mond-Kreuzigung, die – bei aller Qualität – nicht zwingend in eine derartige Überblicksdarstellung gehören. Raffaels Meisterwerke in der Stanza della Segnatura, die Sixtinische Madonna oder die Loggien und Teppiche sucht man dagegen vergebens.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bianchi 2009, S. 759–760

1 Höper 2001, S. 398–399, Nr. F 8.4 bis F 8.8.
2 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 25961 bis 25968.
3 Vgl. auch Borea 2009, Bd. 1, S. 642–644.
4 Zum Folgenden vgl. Bianchi 2009/10, S. 23. Bianchi liefert eine genaue Geschichte der Illustrationen von Rosinis Publikation und geht auch detailliert auf das Verhältnis von Vorzeichnung und Reproduktion ein.
5 Vgl. Borea 2009, Bd. 1, S. 642–644.

Details zu diesem Werk

Umrisslinienradierung 322mm x 464mm (Platte) 365mm x 511mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 58531 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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