Philipp Otto Runge

Jacob Runge, 1789

In den Jahren 1786-1789 fertigte Runge zahlreiche getuschte Schattenrisse mit Personen aus seinem Familien bzw. Freundeskreis, von denen sich 22 im Besitz des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle befinden. Das Silhouettenzeichnen wurde von der ganzen Familie gepflegt, weshalb nicht nur Philipp Otto als Zeichner der Silhouetten in Frage kommt – Inv. Nr. 56392 und 56402 stammen offensichtlich von seinem Bruder Daniel (Anm. 1).
Laut Daniel hatte Runge das Silhouettieren in frühester Jugend seiner ältesten Schwester Maria Elisabeth (vgl. Inv. Nr. 56399) abgesehen (Anm. 2). Daniel berichtet von Runges frühen Fähigkeiten in dieser Technik, die Runge in der zweiten Hälfte der 1780er Jahre bereits zu hoher Fertigkeit ausgebildet hatte: „Desto bestimmter zeigte sich in jenen Jahren, wie schon von ganz früher Kindheit an, sein bildendes Talent mit Ausschneiden in Papier, Drechseln und Schnitzen in Holz, Zeichnen von Schattenrissen usw. mit ganz eigentümlicher Laune und Bedeutung in Allem.“ (Anm. 3) Beeinflusst wurde Runges Beschäftigung mit der Silhouette möglicherweise auch durch Johann Caspar Lavaters „Phisiognomische Fragmente“, die Matthias Claudius 1777 im „Wandbeker Boten“ besprochen hatte und Runge bekannt gewesen sein dürften. Für Lavater war das „Schattenbild von einem Menschen oder menschlichem Gesicht das schwächste, das leerste, aber zugleich […] das wahrste und getreueste Bild, das man von einem Menschen geben kann. Das schwächste, denn es ist nichts Positives, es ist nur etwas Negatives, nur die Grenzlinien des halben Gesichts, das getreueste, weil es ein unmittelbarer Ausdruck der Natur ist, wie keiner, auch der geschickteste Zeichner, einen nach der Natur von freier Hand zu machen im Stande ist […].(Anm. 4) Nicht immer ist eindeutig zu entscheiden, ob es sich bei Runges Tuschsilhouetten um Portraits oder nur um Profilstudien handelt – dies gilt insbesondere für die Silhouetten in der „Studienmappe“ im Goethemuseum in Düsseldorf (Anm. 5) -, aber auch für Inv. Nr. 34335. Auf den meisten Hamburger Exemplaren (Inv. Nr. 56392-56413) sind die Dargestellten dagegen bis auf wenige Ausnahmen (Inv. Nr. 56394, 56398, 56401, 56409, 56411-56413) mit ihren Namen versehen; sie dürften deshalb im unmittelbaren Familienkreis bzw. Freundeskreis in Wolgast entstanden sein. Diese frühen Versuche, das Charakteristische des Dargestellten mit den Mitteln der flächigen Abstraktion auszudrücken, weisen nicht nur auf Runges spätere Beschäftigung mit dem Scherenschnitt voraus; sie sind auch grundlegend für Runges Ausbildung der Umrisslinie, die hier mit anderen Mitteln bereits angedeutet ist, und nicht zuletzt bilden die frühen Bildnissilhouetten eine Vorstufe zu Runges späteren Kreidebildnissen seiner Familie.
1 Vgl. Stubbe 1960, S. 64. Auf weiteren Tuschsilhouetten, ehemals in der Sammlung einer Nachfahrin Runges, bezeichnen sich auch die Brüder Jacob, Johann Daniel und David als Ausführende, vgl. Stubbe 1960, S. 64.
2 Vgl. HS I, S. 369.
3 Vgl. HS II, S. 445.
4 Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, Zweyter versuch, Leipzig 1776, 11. Fragment, S. 90.
5 Vgl. Richter 1981, S. 121-122, Nr. 34.

Details zu diesem Werk

Schattenriß in schwarzer Tusche 80mm x 570mm (Blatt) Inv. Nr.: 56405 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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