Reinier van Persijn, Stecher
nach Joachim von Sandrart, Zeichner
Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Bildnis des Baldassare Castiglione, um 1640

Mit seinem Bildnis des Baldassare Castiglione schuf Raffael nicht nur ein die Zeit überdauerndes Zeugnis der gegenseitigen Freundschaft. Er stellte ihn auch als Edelmann dar, der Eleganz und Würde gepaart mit Leichtigkeit und Natürlichkeit ausstrahlt: Ganz wie eine Personifikation des idealen Hofmanns aus dem von Castiglione 1508–1516 verfassten, 1528 veröffentlichten höfischen Leitfaden Il Cortegiano. Das Gemälde, welches sich seit 1661 im Besitz Ludwigs XIV. von Frankreich befand und seit 1793 im Louvre ausgestellt wird, entstand vermutlich im Winter 1514/1515, als sich Castiglione anlässlich seiner Ernennung zum päpstlichen Berater in Rom aufhielt. Für diese Datierung spricht neben stilistischen Faktoren möglicherweise auch die edle, winterliche Gewandung in dunklen Farben mit kostbarem Pelzbesatz. Möglicherweise orientierte der Maler sich für das Portrait an Leonardo da Vincis Gemälde der Mona Lisa, welches er vor dessen Abreise nach Frankreich nachweislich sah. (Anm. 1) Bereits zeitgenössische Kritiker beschrieben dieses und weitere Werke Raffaels im Licht des von Castiglione in seinem Buch verwendeten Begriffs der sprezzatura – etwas, das zu erreichen in Wahrheit große Anstrengung erfordere, jedoch nach außen mühelos und unaffektiert erscheine. (Anm. 2) Dieser Topos prägte die Rezeption des Urbinaten bis ins 20. Jahrhundert hinein, ebenso wie das immer wieder diskutierte Verhältnis zwischen Maler und Portraitiertem. (Anm. 3) Auch in der jüngeren Forschung wird das Bildnis des Baldassare Castiglione als Raffaels „kunstvolle Idealisierung“ des Freundes beschrieben, der den Maler seinerseits in literarischen Zeugnissen idealisiert für die Nachwelt verewigt habe. (Anm. 4)
Nach Castigliones Tod bemühten sich auch Künstler und Kunstgelehrte, darunter Rembrandt und Joachim von Sandrart, das Gemälde in ihren Besitz zu bringen. In diesem Zusammenhang entstand der vorliegende Kupferstich: Nachdem Sandrart 1639 auf der Auktion der Sammlung Lucas van Uffelen (in der sich das Bildnis zwischenzeitlich befunden hatte) überboten wurde, fertigte er eine Zeichnung an, welche Reinier van Persijn, einem Schüler von Theodor Matham, als Stichzeichnung diente. (Anm. 5) Das Blatt ist dem erfolgreichen Käufer des Gemäldes, Alfonso Lopez, gewidmet. Es erscheint im Vergleich zum Original seitenverkehrt und zeigt überdies einen größeren Bildausschnitt – die darauf folgende Vermutung seitens der kunsthistorischen Forschung, dass das Gemälde beschnitten wurde, konnte jedoch im Zuge von Restaurierungsarbeiten zwischen 1975 und 1979 ausgeschlossen werden. (Anm. 6) Persijn gelingt es mit seinem Stich, die Unterschiede in der Stofflichkeit von Pelz, Stoffen und Haar differenziert darzustellen. In seinem großen Detailreichtum und den klar hervortretenden Linien mit ihrer satten Tonalität wirkt der vorliegende Kupferstich jedoch deutlich härter als das Gemälde.
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Höper 2001, S. 241, Nr. B 25.1 (mit älterer Lit.)

1 1514/15, Öl auf Leinwand, 82 x 67 cm, Paris, Musée du Louvre; Meyer zur Capellen 2008, S. 120–126, Nr. 74, Farbtafel S. 64–65.
2 „[…] man muss jede Ziererei gleich einer spitzigen und gefährlichen Klippe vermeiden und, um eine neue Wendung zu gebrauchen, eine gewisse Nachlässigkeit zur Schau tragen, die die angewandte Mühe verbirgt und alles, was man tut und spricht, als ohne die geringste Kunst und gleichsam absichtslos hervorgebracht erscheinen lässt. […] Daher kann man sagen, dort sei die wahre Kunst, wo man die Kunst nicht sieht, so dass es die Hauptsorge sein muss, sie zu verbergen […].“; Castiglione 1907, S. 66–67.
3 Vgl. beispielsweise Williamson 1947, S. 321–322, der darauf hinweist, Begriffe wie ungekünstelt oder nicht affektiert hätten ausgehend von Castiglione, seinem Werk und seinem Verhältnis zu Raffael auch die Sprache von Kritikern und der kunsthistorischen Rezeption des Urbinaten maßgeblich bestimmt; ebd., S. 316–317. Außerdem meint Williamson selbst in zahlreichen der Figuren Raffaels das von Castiglione als Ideal formulierte Erscheinungsbild zu erkennen. Williamson beschreibt Raffaels Arbeitsprozess auf dem Weg zum perfekten Gemälde unter Einbeziehung der zahlreichen Vorstudien und Zeichnungen als mühsam und aufwändig, jedoch seien diese Anstrengungen, ganz im Sinne von sprezzatura, mitnichten im Endergebnis sichtbar: „they result in a painting so unlabored […] perfectly fulfilling the description of Castiglione“; ebd., 1947, S. 321. Im Gegenzug sei Raffael in vielerlei Hinsicht, beispielsweise bezogen auf seine zahlreichen Talente als Maler, Architekt, Zeichner etc., ein ideales Beispiel für den Castiglione vorschwebenden Hofmann; ebd., S. 322–323. So kommt Williamson zum Schluss: „The work of the one and the other is founded upon a concept of grace which they equally share, but which is not found in the same form and intensity in any other artist.“; ebd., S. 324. Auch Lynn M. Louden versteht das Bildnis des Baldassare Castiglione als perfekte Umsetzung von sprezzatura und liest es als Ergebnis der Verschmelzung aus Ideal und Natur: „In this portrait we have an instance of the ideal taken as the real.“; Louden 1968, S. 49.
4 Shearman 1994, S. 87: „His portrait of Raphael is, I think, no more a veristic one, and no less an artful, idealizing construction, than is Raphael’s of Castiglione.“ Shearman bezieht sich hier auf den vieldiskutierten Brief, welchen Raffael zu Lebzeiten an Baldassare Castiglione – laut dessen eigener Angabe – geschrieben haben soll. Shearman untersucht den Brief kritisch im Hinblick auf Inhalt, Stilistik und Sprache und kommt zu dem Schluss, Castiglione habe das Schriftstück selbst verfasst und damit die Möglichkeit ergriffen, Raffael für die Nachwelt so darzustellen, wie es ihm vorschwebte: Als Freund und Vertrauten, welcher sich um Rat an ihn wandte und in vielen Punkten seine eigenen Ansichten unterstützte. Im Zusammenhang mit dem idealisierten Bildnis Castigliones kommt Shearman folglich zu dem Schluss, es lägen von beiden auf der Basis tatsächlicher Charakteristika nunmehr Idealportraits in schriftlicher bzw. bildlicher Form vor, welche jedoch nicht minder als Zeichen hoher gegenseitiger Anerkennung zu verstehen seien; Shearman 1994, S. 86–87. In der neueren Forschung gilt eine Zuschreibung des Briefs an Lodovico Dolce als am plausibelsten.
5 Höper 2001, S. 241, Nr. B 25.1. Vgl. Meyer zur Capellen 2008, S. 120, Nr. 74. Bei der Auktion war auch Rembrandt zugegen, welcher das Gemälde vor Ort ebenfalls abzeichnete.
6 Meyer zur Capellen 2008, S. 120, Nr. 74. Das Bild wird an den Rändern durch eine vom Künstler angelegte schwarze Rahmenlinie eingefasst, welche zuvor durch den Rahmen verdeckt wurde.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 257mm x 199mm (Platte) 271mm x 205mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 5586 Sammlung: KK Druckgraphik, Niederlande, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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