Alexis François Girard, Stecher
nach Jean Marie Nicolas Bralle, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Féréol Bonnemaison, Herausgeber
Bureau des Estampes, Verleger
Aumont, Verleger

Haupt des Engels aus Raffaels Madonna mit dem Fisch / "L'ANGE RAPHAËL", um 1818

Alexis François Girards Haupt des Engels aus der Madonna mit dem Fisch ist Teil der 1818 veröffentlichten Folge Suite D’Etudes Calquées Et Dessinées D’Après Cinq Tableaux De Raphael […]. (Anm. 1) In insgesamt 24 Bildtafeln und 16 Seiten begleitendem Text stellt der Band fünf Gemälde Raffaels vor, wobei auf eine Darstellung des gesamten Gemäldes jeweils mehrere Tafeln mit vergrößerten Details folgen. (Anm. 2) Ausgewählt wurden Werke, welche durch den napoleonischen Kunstraub zunächst aus Spanien nach Paris gebracht und im Zuge der Restitutionen auf Anweisung Arthur Wellesleys, dem 1st Duke of Wellington, durch Féréol Bonnemaison vor ihrem Rücktransport restauriert und kopiert wurden. (Anm. 3) Die erwähnte Folge, welche unter der Leitung Bonnemaisons entstand, steht daher aller Wahrscheinlichkeit nach im Zusammenhang mit der Restaurierung.
Das vorliegende Blatt gehört zur fünfteiligen Serie nach Raffaels Madonna mit dem Fisch (Madonna del Pesce; vgl. Inv.-Nr. 16476c). Es zeigt als Detailaufnahme das Haupt des Erzengels Raphael, der den jungen Tobias zur in der Mitte des Gemäldes thronenden Madonna mit dem Christusknaben führt und dabei andachtsvoll zu ihr aufschaut. (Anm. 4) Bereits auf den ersten Blick zieht das Blatt durch sein großes Format, die subtile Farbgebung und den aufwärts gerichteten Blick des Engels in seinen Bann. Durch die verwendete Technik der Crayonmanier gelingt es Girard, die malerische Weichheit des Originals in die Graphik zu übersetzen. Die subtile Hell-Dunkel-Abstufung und das Vermeiden von scharf gegeneinander gesetzten Kontrasten lassen den Engel beinahe plastisch aus dem Bild heraustreten. Das Kolorit in zarten – nur im Farbton, nicht im Tonwert dem Gemälde entsprechenden – Farben verstärkt diesen Effekt und sorgt für eine lebendige Wirkung. Die in der Publikation von 1818 enthaltenen Blätter wurden unter Verzicht auf Farben abgedruckt. (Anm. 5) Unklar ist, ob es sich beim vorliegenden Exemplar um ein (nachträglich) koloriertes handelt, was der Publikation entnommen oder sogar einzeln vertrieben wurde, oder ob das Blatt möglicherweise mittels einer speziellen Technik unter Verwendung von Farbplatten einzeln nachgedruckt wurde.
Alexis François Girard erlernte das Kupferstechen zunächst bei seinem Vater und später bei Jean-Baptiste Regnault. Die meisten seiner heute bekannten Graphiken entstanden in Punktiermanier oder Mezzotinto nach Gemälden berühmter Zeitgenossen, wie beispielsweise François Gérard oder Paul Delaroche. (Anm. 6) Sein Debüt beim Salon hatte er 1819 mit einem Stich nach Raffaels Madonna mit dem Fisch, wie aus dem offiziellen Verzeichnis hervorgeht (Anm. 7) – ob es sich um einen Abzug der für die Publikation von 1818 angefertigten Platte oder um eine Neufassung des Motivs handelt, muss an dieser Stelle offen bleiben. Da Girard für den Stich eine Medaille erhielt, erlangte dieser möglicherweise ein gewisses Maß an Bekanntheit. (Anm. 8) Dies könnte für vereinzelte Nachdrucke der von ihm gestochenen Motive nach der Madonna mit dem Fisch sprechen.
Klara Wagner

LIT: Apell 1880, S. 178, Nr. 5; Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 143–147, Nr. 24 (Beitrag
Valeria Rotili)

1 Bonnemaison 1818.
2 Die Tafeln der Publikation zeigen die Heimsuchung in drei Tafeln, die Heilige Familie genannt La Perla in vier Tafeln, eine Heilige Familie vollendet von Giulio Romano in drei Tafeln, die Madonna del Pesce in fünf Tafeln sowie die Kreuztragung in neun Tafeln. Eine vollständige Ausgabe der beschriebenen Publikation befindet sich unter anderem in der unter Prince Albert zusammengetragenen Sammlung von Reproduktionen nach Raffael in der Royal Collection (Inv.-Nr. 05/3461). Außerdem befindet sich dort auch eine vierteilige Folge aus der Publikation zur Madonna del Pesce (abzüglich der fünften Tafel des Gemäldes in Gesamtansicht) in Einzelblättern (Inv.-Nr. RCIN 850951). Für weitere Informationen zur Publikation und zu den Blättern vgl. die Online-Einträge in der Sammlungsdatenbank der Royal Collection: https://www.royalacademy. org.uk/art-artists/book/suite-detudes-calquees-et-dessinees-dapres-cinq-table aux-de-raphael (letzter Aufruf: 19.3.2020) und https://albert.rct.uk/holy-familiesmadonna-and-child/set-of-prints-after-the-madonna-del-pesce (letzter Aufruf: 19.03.2020).
3 Zur Restaurierung und Geschichte des Gemäldes Madonna del Pesce vgl. Kat. 103 sowie Meyer zur Capellen 2005, S. 116–118, Nr. 54. Vgl. auch den Text der Online-Einträge in der Sammlungsdatenbank der Royal Collection: https://www.royalacademy.org.uk/art-artists/book/suite-detudes-calquees-etdessinees-dapres-cinq-tableaux-de-raphael (letzter Aufruf: 19. 3. 2020) und https://albert.rct.uk/holy-familiesmadonna-and-child/set-of-prints-after-the-madonna-del-pesce (letzter Aufruf: 19. 3. 2020).
4 Für eine Beschreibung des Bildes sowie eine Abbildung vgl. Kat. 103. Zur ausführlichen Diskussion der Darstellung aus der Geschichte im Buch Tobit im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Ort der Aufstellung der Madonna del Pesce als Altarbild siehe Krems 2002, S. 132–146.
5 So scheint es zumindest bei Betrachtung der andernorts erhaltenen Exemplare; vgl. Anm. 2.
6 Stolpe 2007, S. 166–167.
7 Ausst.-Kat. Paris 1819, S. 158, bei Nr. 1493. Dort steht als Beschreibung: „Étude gravée à la manière de dessin“, was dafür spricht, dass es sich ebenfalls um eine Radierung in Crayonmanier handelt. Ein weiterer Beitrag Girards (Nr. 1494) wird hier unter dem Titel Etudes gravées à la manière du dessin aufgeführt; es handelt sich dabei um Köpfe aus François Gérards Gemälde Einzug Heinrichs IV. in Paris, die als Folge in mehreren Abschnitten herausgegeben wurden und zu Lehrzwecken gedacht waren: „Elles forment la 1re livraison d’un receuil des têtes, tirées du tableau de l’entrée d’Henri IV dans Paris, peint par Gérard. Ouvrage destiné à l’étude du dessin pour les jeunes élèves.“ Angesichts der Tatsache, dass für die Publikation Bonnemaisons von 1818 ebenfalls einzelne Köpfe aus den fünf Gemälden Raffaels gemeinsam mit deren Reproduktionen in Gesamtansicht gefertigt wurden, erscheint dieser Umstand interessant: Möglicherweise könnte es sich auch bei Bonnemaisons Werk um einen Band zu Studienzwecken der Zeichnung gehandelt haben, galt doch besonders die Crayonmanier
aufgrund ihrer optisch frappierenden Ähnlichkeit zu Kreidezeichnungen als geeignetes Medium für deren Reproduktion.
8 Girard erhielt laut den offiziellen Verzeichnissen im Jahr 1819 eine Medaille 2. Klasse, vgl. dazu Ausst.-Kat. Paris 1868, S. XCII.

Details zu diesem Werk

Crayonmanier, koloriert 425mm x 370mm (Bild) 527mm x 469mm (Platte) 556mm x 482mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 55839 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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