Giuseppe Maria Crespi, genannt Lo Spagnolo

Wie Bertoldino Hühnchen zusammenbindet und ein schwarzer Milan diese fortträgt

Die Erzählungen von Bertoldo, Bertoldino und Cacasenno erfreuen sich seit dem 17. Jahrhundert in Italien großer Beliebtheit.(Anm.1) Die von Giulio Cesare Croce und Adriano Banchieri verfassten Geschichten verarbeiten antike, besonders mittelalterliche Vorbilder. Sie spielen mit dem Gegensatz von höfischem und ländlichem Leben, von Eitelkeit und Bauernschläue, von Herrscherwillkür und Selbstbehauptungswillen der einfachen Leute. Hauptfigur des ersten Bandes ist der Bauer Bertoldo, der durch seine Gerissenheit bis zum Berater am fiktiven Hof des Königs Alboino aufsteigt. Die beiden folgenden Bände behandeln die Abenteuer von Bertoldos naivem Sohn Bertoldino sowie von dessen etwas dümmlichem Sohn Cacasenno.
Die Popularität des Stoffes zeigt sich in einer raschen Folge literarischer Bearbeitungen sowie in einer vor allem im 18. Jahrhundert zu beobachtenden intensiven bildnerischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Eine Schlüsselrolle kam dabei dem Bologneser Maler Giuseppe Maria Crespi zu. Dieser hatte laut Giampietro Zanotti im Sommer 1709 den Großfürsten Ferdinando de’ Medici (1663–1713) in Florenz besucht und nach seiner Rückkehr nach Bologna mit der Illustration der Geschichten von Bertoldo, Bertoldino und Cacasenno begonnen.(Anm.2) Crespi fertigte laut Zanotti für jede der zwanzig Radierungen eine Vorzeichnung an, doch konnten bislang erst elf davon in Chicago (1) (Anm.3), Hamburg (2; vgl. Abb.), New York (3) (Anm.4), Orléans (4) (Anm.5) und Rom (1) (Anm.6) nachgewiesen werden.
Die beiden Hamburger Zeichnungen stimmen hinsichtlich des Formats, der Zeichentechnik sowie der Art der Komposition sehr genau mit fast allen anderen bislang bekannt gewordenen Blättern überein. Es ist daher davon auszugehen, dass die gesamte Illustrationsfolge innerhalb kurzer Zeit entstanden ist. Die meisten Zeichnungen zeigen Figuren, während die Umgebung bzw. der landschaftliche Hintergrund nur angedeutet ist. Das Blatt im Metropolitan Museum („Bertoldino brütet Eier aus“) ist allerdings so genau ausgearbeitet, dass es als direkte Vorlage für die Radierung gelten kann. Alle Zeichnungen weisen die charakteristische Handschrift Crespis auf: Der Strich ist subtil und bei aller Regelmäßigkeit weder trocken noch mechanisch. Crespi bevorzugte lange, gleichmäßig verteilte Rötelstriche. Die den Zeichnungen eigene Leichtigkeit und Helligkeit überrascht angesichts der häufig dunklen Gemälde des Künstlers.
Die vorliegende Zeichnung führt mit einer Szene aus der Episode „Bertoldino schafft es, fünfmal nicht salamo zu sagen“ die Naivität des Bauernjungen anschaulich vor Augen.(Anm.7) Dieser hatte aus Furcht vor dem Küken raubenden Milan mehrere Vöglein mit einer Schnur zusammengebunden. Dies kam jedoch dem Raubvogel entgegen, denn dieser brauchte sich nur ein Küken zu schnappen, um dann triumphierend mit allen auf einmal davonfliegen zu können.
Der Vergleich mit der seitenverkehrten Radierung zeigt, dass Crespi die Figur zeichnerisch schon weitgehend entwickelt hatte.(Anm.8) Kleinere Ergänzungen im Hintergrundbereich wurden erst beim Radieren hinzugefügt.

David Klemm

1 Zur Geschichte der sehr populären Erzählung und zu Crespis Illustrationen allgemein vgl. Franca Varignana: Giuseppe Maria Crespi und Bertoldo. Die Verbildlichung einer Lektüre. Bertoldo, Bertoldino und Cacasenno, in: Giuseppe Maria Crespi 1665-1747, Ausst.-Kat. Stuttgart/Bologna/Moskau 1990, S.113-169, S. 113–169. Maria Mazza, Hamburg, ist für Hinweise zu danken.
2 Giampietro Zanotti: Storia dell’Accademia Clementina, Bologna 1739, II, S. 55–56.
3 Chicago, Art Institute, Leonora Hall Gurley Memorial Collection, Inv.-Nr. 1922.1945; vgl. Laura M. Giles: A Double-Sided Drawing by Giuseppe Maria Crespi, in: Master Drawings 27, 1989, Nr. 3, S. 223-227, S. 223–227.
4 New York, Metropolitan Museum of Art, Elisha Wittlesley Fund, Inv.-Nr. 1976.57.1, 1976.57.2; 1976.57.3; vgl. Giuseppe Maria Crespi 1665-1747, hrsg. v. Andrea Emiliani, August B. Rave, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Pinacoteca Nazionale di Bologna, Puschkin-Museum Moskau, Bologna 1990, S. 178, Nr. Z 15–17.
5 Orléans, Musée des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 1552 A; vgl. Giuseppe Maria Crespi 1665-1747, hrsg. v. Andrea Emiliani, August B. Rave, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Pinacoteca Nazionale di Bologna, Puschkin-Museum Moskau, Bologna 1990, S. 178, Nr. Z 19–22.
6 Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Gabinetto Nazionale delle Stampe; vgl. Giuseppe Maria Crespi 1665-1747, hrsg. v. Andrea Emiliani, August B. Rave, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Pinacoteca Nazionale di Bologna, Puschkin-Museum Moskau, Bologna 1990, S. 179, Nr. Z 27.
7 Freundlicher Hinweis von Maria Mazza, Hamburg.
8 The Illustrated Bartsch 43 (19), 35 (409).

Details zu diesem Werk

Rötel 199mm x 135mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52450 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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