Jacques de Gheyn (II.)

Invidia (Der Neid), um 1596-1597

Die Darstellung der „Invidia“ als einer ihr eigenes Herz verzehrenden alten Frau mit vertrockneten Brüsten und Schlangenhaar folgt den Empfehlungen von Cesare Ripas „Iconologia“ (1592). Als formale Inspirationsquelle dienten entsprechende Stiche des Hendrick Goltzius.(Anm.1) De Gheyn steigerte die Wirkung der medusenhaften Erscheinung durch die dunklen Rauchschwaden. Die schaurig-dramatische Stimmung weist voraus auf seine Hexenszenen aus der Zeit nach 1600.(Anm.2)
De Gheyns „Invidia“ wurde gestochen von Zacharias Dolendo für den Zyklus „Omnium rerum vicissitudo est“ („Allen Dinge ist der Wechsel eigen“, H. 68–76), der das mittelalterliche Thema vom „Glücksrad“ neu formulierte: „Glück“ führt zu „Reichtum“, „Hochmut“ folgt auf „Neid“, der wiederum „Krieg“ und „Armut“ nach sich zieht, doch daraus entwickeln sich „Glaube“, „Friede“ und wiederum „Glück“. Weitere Vorzeichnungen zu dieser Folge befinden sich in Leiden und in Privatbesitz.(Anm.3)
In seinem „Schilderboek“ beschrieb Karel van Mander eine ähnliche Folge, weshalb ihn einige Autoren für den Erfinder der neunteiligen Serie hielten.(Anm.4) Zwar erwähnte Van Mander „Streit“ und nicht „Neid“ als Folge des Hochmuts, doch ginge auch diese Beschreibung mit De Gheyns Zeichnung konform, denn im Hintergrund der „Invidia“ sind streitende Menschen dargestellt.(Anm.5)
Alternativ wurde Hugo Grotius (1583–1645) als Ideengeber genannt, der um 1596/97 die lateinischen Kommentare der Stiche im Alter von 13 Jahren verfasste, womit ein Terminus ante quem für die Datierung der Stiche gegeben ist. Die Vorzeichnung wird gleichzeitig oder wenig früher entstanden sein.

Annemarie Stefes

1 B. 88; B. 136 (1593) und B. 275, beide gestochen von Jacob Matham. Auch der an- und abschwellende Linienduktus ist von Goltzius beeinflusst. J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 1, S. 50 führte das ambitionierte Projekt auf den künstlerischen Wettstreit mit der Goltzius-Fassung zurück.
2 Z. B. Oxford, Ashmolean Museum, Inv.-Nr. WA 1863.169, Karl Theodor Parker: Catalogue of the Collection of Drawings in the Ashmolean Museum (Netherlandish, German, French and Spanish Schools), Bd. 1, Oxford 1938, Nr. 37, J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, Nr. 523; Stuttgart, Staatsgalerie, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1095, ebd. Nr. 519.
3 „Reichtum“, „Stolz“, „Armut“, „Friede“, Leiden, Prentenkabinet der Universiteit, Inv.-Nr. PK-T-AW-132, Inv.-Nr. PK-T-AW-133, Inv.-Nr. PK-T-AW-131, Inv.-Nr. PK-T-AW-134, Inv.-Nr. PK-T-AW-136, J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, Nr. 178, 179, 181, 182 und 184; „Glaube“, Kunsthandel P. de Boer, Amsterdam, ebd. Nr. 183; der Titelentwurf befindet sich in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-2008-97, Schapelhouman/Scholten 2009, Nr. 9, J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 2, Nr. 185.
4 Karel van Mander, „Uytbeeldinge der Figueren“, Amsterdam 1604, S. 135r; vgl. Jacques de Gheyn II drawings, Ausst.-Kat. Museum Boymans-van Beuningen, Rotterdam 1985; Ger Luijten, Ariane van Suchtelen u.a.: Dawn of the Golden Age, Ausst.-Kat. Amsterdam, Rijksmuseum, Zwolle 1993/94, S. 386–387.
5 Darüber hinaus deckt sich die Darstellung der „Invidia“ auch mit antiken Beschreibungen der „Zwietracht“, z. B. Petronius, Satyricon, 271–277 sowie Vergil, Aeneis VI, 280–281; vgl. Kaulbach, in: Hans-Martin Kaulbach, Reinhart Schleier: "Der Welt Lauf". Allegorische Graphikserien des Manierismus, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Bochum, #, Ostfildern-Ruit 1997, S. 160 und S. 163, Anm. 8. Diese Quellen dürften Van Mander bekannt gewesen sein.
6 J. Q. van Regteren Altena: Jacques de Gheyn. Three Generations, 3 Bde., Den Haag, Boston, London 1983, Bd. 1, S. 50–52.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, Pinsel in Grau; Griffelspuren; Einfassungslinien (Feder in Braun) 213mm x 163mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52329 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback
Weitere Werke von
Jacques de Gheyn (II.)