Giovanni Battista Piranesi

Zerfallenes Haus in Pompeji (Inneres einer Taverne in der Strada Consolare), um 1775 - 1778

Das kleine Blatt ist ein Musterbeispiel für Piranesis besondere Antikenwahrnehmung. Es zeigt ein einfaches, weitgehend zerstörtes Wohnhaus in Pompeji. Die ehemalige Funktion des Gebäudes ist kaum noch zu erahnen. Erkennbare Details – wie den Kellerabstieg – hat Piranesi mit knappen Worten notiert. Die in den Ruinen herumgehenden Menschen sind sehr locker, fast nachlässig angelegt; der beginnende Bildungstourismus seiner Zeit interessierte den Künstler offensichtlich nicht.
Sicherlich zählt diese Studie zu den unspektakuläreren Blättern im reichen Œuvre Piranesis, was der Grund dafür sein mag, dass das Blatt 1908 als anonyme italienische Zeichnung des 18. Jahrhunderts inventarisiert wurde. Laut undatierter Notiz im Archiv des Kupferstichkabinetts geht die richtige Zuschreibung auf Keith Andrews zurück, der die Zeichnung wohl in den 1960er Jahren bestimmte.
Sie lässt sich mühelos einer Gruppe von über 15 Zeichnungen zuordnen, die alle in Pompeji entstanden, das Piranesi nach 1770 zusammen mit seinem Sohn Francesco besuchte und dokumentierte.(Anm. 1) Vergleichbare Studien mit pompejanischen Motiven finden sich u. a. in Oxford (Anm. 2) und Berlin (Anm. 3).
Das von verschiedenen Forschern um 1775 datierte, stilistisch einheitliche Konvolut dürfte nur ein schmaler Rest ehemals umfangreicherer Bestände sein. Lange Zeit wurde Piranesis Sohn Francesco als Urheber angesehen, da dieser manche der Motive in der in Paris herausgegebenen Folge der „Antiquités de la Grande Grèce“ verwertet hatte. Inzwischen wird die Gruppe vor allem aus stilistischen Gründen nachdrücklich Giovanni Battista zugeschrieben.(Anm. 4)
Sämtliche Blätter sind im Format wie in der Zeichentechnik sehr ähnlich. Alle sind mit einer relativ dicken Rohrfeder gezeichnet; die Striche wirken bisweilen grob und ohne höheren gestalterischen Anspruch gesetzt. Auf Lavierung wird weitgehend verzichtet. Miller hat betont, dass sich diese Blätter grundlegend von Piranesis sonstigen Zeichnungen unterscheiden. Der Künstler verzichtet hier auf [jede] theatralische Geste und monumentale Überhöhung. Es gibt „keine Dramatisierung einfacher Mauerreste“ (Anm. 5), stattdessen zeigt er „halbhohe Wände um ärmliche Gassen (…)“.(Anm. 6)
Interessanterweise stammen mehrere der inzwischen bekannt gewordenen Blätter mit pompejanischen Motiven (z. B. in Hamburg, Oxford, Berlin) aus der Sammlung des Hamburger Architekten Ludwig Hermann Philippi. Wahrscheinlich wird sie dieser auf einer seiner Italienreisen erworben haben. Frühere Provenienzen ließen sich bislang nicht ermitteln.

David Klemm

1 Zum Folgenden vgl. Norbert Miller: Archäologie des Traums. Versuch über Giovanni Battista Piranesi, München 1978, S. 348–354.
2 Oxford, Ashmolean Museum, Parker 1044; Karl Theodor Parker: Catalogue of the Collection of Drawings in the Ashmolean Museum, II, Italian Schools, Oxford 1956, S. 522–523, Nr. 1044.
3 Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, HdZ. 4470–4473.
4 Sabine Jacob: Italienische Zeichnungen der Kunstbibliothek Berlin. Architektur und Dekoration 16. bis 18. Jahrhundert, Berlin 1975, S. 171 mit weiterer Literatur zur Diskussion der Zuschreibung. Ein weiteres Argument für die Autorschaft Piranesis sind die Angaben von Francesco Piranesi, dass die Vorlagen für einige der Drucke der „Antiquités de la Grande Grèce“ von seinem Vater stammen.
5 Norbert Miller: Archäologie des Traums. Versuch über Giovanni Battista Piranesi, München 1978, S. 352.
6 Ebd.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz, schwarzer Stift, schwarz laviert 182mm x 260mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52308 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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