Luca Cambiaso

Marcus Curtius springt in den Abgrund, um 1550 (?)

Der römische Schriftsteller Titus Livius berichtet in seiner Geschichte der Stadt Rom, dass sich im Jahre 362 v. Chr. auf dem dortigen Forum eine riesige Erdspalte aufgetan habe. Die Auguren weissagten, dass diese nur durch „Roms größten Schatz“ geschlossen werden könne. Marcus Curtius, ein junger römischer Soldat, war der Auffassung, dass mit diesem Orakel nur die Jugend Roms gemeint sein könne und stürzte sich gerüstet und hoch zu Pferde in die Erdspalte, um seine Heimatstadt zu retten. Daraufhin schloß sich die Spalte über ihm, das drohende Unheil war gebannt (Livius 7, 6). Diese heldenhafte Tat wurde stets als vorbildlicher Einsatz für das Wohl der Allgemeinheit betrachtet und deshalb besonders häufig an öffentlichen Orten dargestellt.
Von Luca Cambiaso sind mindestens neun zeichnerische Fassungen des Themas nachweisbar. Dabei überwiegen die Studien, die den Sprung des Marcus Curtius aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Hierzu zählen die Zeichnungen in London (Anm.1), Madrid (Anm.2), Oxford (Anm.3), Gijon (Anm.4), Florenz (Anm.5) und Stuttgart (Anm.6) sowie ein im Kunsthandel angebotenes Blatt.(Anm.7)
Eine andere Gruppe bilden eine Zeichnung in Palermo (Anm.8) und das Hamburger Blatt, auf denen neben dem Helden auch die römischen Zuschauer gezeigt werden. Während auf dem Blatt aus Palermo die Akteure spannungslos nebeneinander angeordnet sind, ist der für die Hamburger Zeichnung gewählte Blickwinkel aus starker Untersicht der Dramatik des Ereignisses angemessen.
Das Blatt verdeutlicht Cambiasos voll entwickelte Zeichenkunst auf höchstem Niveau. Die Körper werden mit wenigen Linien umrissen und modelliert. Der Künstler verzichtet fast vollständig auf Schraffuren und nur ganz vereinzelt – beim Auge des Pferdes oder im Gesicht eines Römers – werden Lavierungen eingesetzt.
Aufgrund der gewählten Verkürzung ist das Hamburger Blatt sehr gut als Vorstudie für ein Wandfresko vorstellbar. Tatsächlich hat Soprani 1674 für Cambiaso ein Fassadenfresko mit dem Curtius-Thema für die Piazza Pinelli, unweit der Ponte de’ Calvi, in Genua überliefert (Anm.9), doch ist hiervon – wie auch von fast allen übrigen Fresken des Künstlers – nichts erhalten. Die auffallende Untersicht, in der die Figur des Reiters wiedergegeben ist, findet sich in Cambiasos zeichnerischem Werk häufiger, unter anderem auf einer „Verspottung Christi“ in Weimar.(Anm.10)
Die eindrucksvolle Komposition wurde mehrfach wiederholt, wobei die etwas reduzierte und geklärte Strichführung auf Nachzeichnungen hindeutet.(Anm.11)

David Klemm

1 London, Victoria & Albert Museum, Inv.-Nr. Dyce 345; vgl. Peter Ward-Jackson: Victoria and Albert Museum Catalogues: Italian Drawings, Bd. 1: 15th-16th-century; Bd. 2: 17th -18th century, London 1979 , I, S. 53, Nr. 99.
2 Madrid, Prado, Inv.-Nr. F. D. 531.
3 Oxford, Christ Church, Inv.-Nr. 441; vgl. James Byam Shaw: Drawings by Old Masters at Christ Church Oxford, 2 Bde., Oxford 1976, I, S. 305, Nr. 1224.
4 Sammlung Jovellanos; vgl. Catálogo de la colección de dibujos del Instituto Jovellanos de Gijón, bearb. v. Alfonso E. Pérez Sánchez, Madrid 1969, Nr. 166.
5 Vgl. Bertina Suida Manning, William Suida: Luca Cambiaso. La vita e le opere, Mailand 1958, o. S., Taf. XLV, Abb. 68.
6 Stuttgart, Staatsgalerie, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 6203; vgl. Christel Thiem: Italienische Zeichnungen 1500-1800. Bestandskatalog der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1977, S. 23, Nr. 28.
7 Vgl. Aukt-Kat. London, Christie’s, Old Master Drawings, 2. 7. 1996, S. 132, Nr. 106.
8 Luca Cambiaso e la sua cerchia. Disegni inediti da un album palermitano del ‘700, hrsg. v. Dante Bernini unter Mitarbeit v. Caterina Bon Valsassina, Ausst.-Kat. Genua, Galleria Nazionale di Palazzo Spinola, Genua 1985, S. 15–16, Nr. 1.
9 Vgl. Luca Cambiaso e la sua cerchia. Disegni inediti da un album palermitano del ‘700, hrsg. v. Dante Bernini unter Mitarbeit v. Caterina Bon Valsassina, Ausst.-Kat. Genua, Galleria Nazionale di Palazzo Spinola, Genua 1985, S. 15.
10 Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. KK 9201; vgl. Geheimster Wohnsitz. Goethes italienisches Museum. Zeichnungen aus dem Bestand der Graphischen Sammlung der Kunstsammlungen zu Weimar (...),bearb. v. Hermann Mildenberger, Ursula Verena Fischer Pace, Sonja Brink, Lea Ritter-Santini, Im Blickfeld der Goethezeit III, Ausst.-Kat. Kunstsammlungen zu Weimar, Vaduz, Liechtensteinische Staatliche Kunstsammlung, Weimar 1999, S. 144–145, Nr. 37.
11 Budapest, Szépművészeti Múzeum, Inv.-Nr. 2054; Bergamo, Accademia Carrara; Inv.-Nr. 64, Antichi Disegni e Stampe dell`Accademia Carrara di Bergamo, bearb. v. Carlo L. Ragghianti, Bergamo 1963, Nr. 418.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun auf bräunlichem Papier; aufgezogen 386mm x 282mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52200 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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