Anonym (italienisch, 16. Jh.)

Ein gefesselter Kentaur wird geschlagen

Die Szene mit der Züchtigung eines gefesselten Kentauren ist eine relativ genaue Wiedergabe des linken Reliefs von der Längsseite des sogenannten Sarkophags mit der Kentauromachie, der sich heute in der Sala delle Muse im Vatikan befindet.(Anm.1) Die Geschichte des Sarkophags ist nicht genau geklärt. Aufgrund der bislang nachweisbaren Studienzeichnungen nach diesem Werk dürfte er spätestens seit Ende des 15. Jahrhunderts bekannt gewesen sein.(Anm.2) Die Zeichnung wurde bislang in den Umkreis Mantegnas eingeordnet, womit sie eine besonders frühe Rezeption des Sarkophags darstellen würde. Allerdings ist der gesamte unruhige, die Kontur nervös umfahrende Duktus für Mantegna und dessen Kreis ungewöhnlich. Eine besondere Qualität der kleinen Studie besteht sicher in der Verlebendigung der antiken Vorlage durch intensive Strichführung. Man könnte daraus folgern, dass hier nicht ausschließlich die Absicht einer dokumentierenden Nachzeichnung vorliegt. Das Blatt ist daher wohl erst im 16. Jahrhundert entstanden. Bober/Rubinstein vermuteten Baccio Bandinelli als Urheber, doch ist eine Zuordnung zu dessen Œuvre aufgrund der gegenüber gesicherten Zeichnungen sehr unterschiedlichen Strichführung auszuschließen.(Anm.3) Eine nähere Verbindung besteht zu Skizzen des Niederländers Lambert Lombard, von dem eine Reihe von Studien, auch nach der Antike, mit ähnlicher Lebendigkeit und Schraffentechnik nachweisbar sind.(Anm.4) Dessen Konturierung ist jedoch insgesamt ruhiger.
Das Blatt gelangte 1863 mit dem Legat Harzen in die Kunsthalle. Zu einem unbekannten Termin wurde es als Dublette [sic] ausgeschieden und anschließend von dem Hamburger Sammler Ludwig Hermann Philippi erworben. 1908 kam das Blatt dann zum zweiten Mal – diesmal als Legat Philippis – in das Kupferstichkabinett.

David Klemm

1 Zum Sarkophag vgl. Georg Lippold: Die Skulpturen des Vaticanischen Museums, Bd. III, 1, Tafeln, Berlin und Leipzig 1936, o. S., Nr. 511, 513; Carl Robert: Die antiken Sarkophagreliefs, Bd. 3: Mythische Sarkophage, Berlin 1897, S. 151ff.; Wolfgang Helbig: Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, 2 Bde., Tübingen 1963, I, S. 51–52, Nr. 66; Phyllis Pray Bober, Ruth Rubinstein: Renaissance Artists & Antique Sculpture. A Handbook of sources, London 1986, Nr. 145.
2 Vgl. die Aufzählung bei Phyllis Pray Bober, Ruth Rubinstein: Renaissance Artists & Antique Sculpture. A Handbook of sources, London 1986, S. 181.
3 Vgl. Phyllis Pray Bober, Ruth Rubinstein: Renaissance Artists & Antique Sculpture. A Handbook of sources, London 1986, S. 181 (mit falscher Inventarnummer).
4 Vgl. z. B. drei Studien aus einem Skizzenbuch, Lüttich, Cabinet des Estampes, Album d’Arenberg (N. 15a). Vgl. Godelieve Denhaene: Lambert Lombard. Renaissance et Humanisme a Liege, Antwerpen 1990, S. 148.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun 59mm x 60mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 52154 Sammlung: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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