Raffaello Sanzio Morghen, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler
Niccolò Pagni, Verleger

Madonna mit dem Christuskind und dem Johannesknaben, sog. Madonna della Sedia, 1793

Die Graphik entstand nach einer der beliebtesten Madonnen-Darstellungen Raffaels: Der Madonna della Sedia (auch: Madonna della Seggiola). Schriftlich erstmals erwähnt wurde das Gemälde 1589 in einem Inventar der Uffizien. (Anm. 1) Die Bildrezeption setzte jedoch deutlich eher ein: So existieren eine Zeichnung nach dem Gemälde von der Hand Federico Zuccaris sowie eine anonyme Radierung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Im Lauf der folgenden Jahrhunderte entstanden insgesamt allein mehr als 80 Reproduktionsgraphiken des Werkes, welche zweifellos einen hohen Anteil an seiner Bekanntheit hatten. (Anm. 2)
Mit der gezeigten Figurenkonstellation setzte Raffael sich bereits während seiner Florentiner Schaffensphase intensiv auseinander. Der Künstler setzt die Dargestellten dynamisch ins Bild und verbindet sie zugleich zu einer harmonischen Einheit, welche das gewählte Tondoformat meisterhaft ausfüllt: In der Forschung gilt die Madonna della Sedia als ein künstlerischer Höhepunkt des Themas im Oeuvre des Urbinaten. (Anm.3) Besonders verehrt wurde das Gemälde auch im Kreise romantischer Künstler und Literaten. 1819 erschien in Ernst von Houwalds Buch für Kinder gebildeter Stände die berühmt gewordene Legende über die angebliche Entstehung des Werkes, nach der Raffael beim Spaziergang die Frau eines Winzers mit ihren beiden Kindern erblickte und kurzerhand auf den Boden eines Fasses zeichnete. (Anm. 4) Die Erzählung wurde durch einen Stich Heinrich Schmidts nach einer Zeichnung von Johann Heinrich Ramberg illustriert (Inv.-Nr. kb-2020-455g-2). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts fand die Episode in Gemäldeform unter anderem durch August Ferdinand Hopfgarten (Anm. 5) und Johann Michael Wittmer (Anm. 6) Verbreitung.
Morghen gelingt es im vorliegenden Blatt meisterhaft, die malerische Wirkung des Originals im weichen Nebeneinandersetzen von Flächen umzusetzen, ebenso wie die Stofflichkeit durch verschiedene Schraffuren. (Anm. 7) Durch geschicktes Abstufen der Tonwerte vergegenwärtigt er den Betrachtenden auch das brillante Kolorit des Gemäldes. Vergleichbar in seiner malerischen und weichen Wirkung erscheint der rund 70 Jahre später entstandene Stich von Eduard Mandel (Anm. 8), während andere Reproduktionsgraphiken beispielsweise von Egidius Sadeler II (Anm. 9) deutlich härter bzw. linearer ausfallen. In seinem Anspruch, dem Original in seiner Gesamtwirkung nahe zu kommen und mit Linien zu ‚malen‘, erscheint Raphael Morghens Blatt, das er seinem Förderer und Mäzen Ferdinand III., Großherzog
der Toskana, gewidmet hat, von hoher Qualität. (Anm. 10)
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Palmerini 1824, S. 142–143, Nr. 165 VI (von VI); Nagler 9 (1840),
S. 478, Nr. 88; Höper 2001, S. 317, D 35.6 (mit älterer Lit.)

1 Um 1514, Öl auf Pappelholz, 73 cm (Durchmesser), Florenz, Palazzo Pitti, Galleria Palatina; Meyer zur Capellen 2005, S. 137–143, Nr. 57, Farbtafel S. 52 und 53; Höper 2001, S. 315–316, Nr. D 35. Vermutlich wurde das Gemälde zu dieser Zeit durch die Medici erworben. Im Zuge des napoleonischen Kunstraubs wurde das Gemälde aus dem Palazzo Pitti nach Frankreich mitgenommen und kehrte erst 1816 (laut Höper 2001 schon 1815) wieder nach Florenz zurück.
2 Meyer zur Capellen 2005, S. 142, Nr. 57. Höper spricht als Grund der breiten Rezeption des Gemäldes und seiner großen Bekanntheit auch die frühe öffentliche Zugänglichkeit der Uffizien an; Höper 2001, S. 315–316, Nr. D 35.
3 Meyer zur Capellen 2005, S. 24–25, Nr. 57.
4 Houwald 1819, S. 57–70.
5 Hopfgartens verschollenes Gemälde entstand zwischen 1833 (Rückkehr aus Italien nach Berlin) und 1835, als ein Kupferstich von Philipp Hermann Eichens danach entstand; vgl. Raczynski 1841, S. 54.
6 Das Gemälde von Wittmer entstand 1853 und wurde im selben Jahr von Prince Albert für die Royal Collection angekauft (Inv.-Nr. RCIN 403635).
7 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 222, Nr. 39 (Beitrag Michael Thimann).
8 Inv.-Nr. 50009.
9 Höper 2001, S. 316, Nr. D 35.1.
10 Zu Morghen und seinen Förderern siehe Mariano 2016, S. 489.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung; fest aufgezogen 431mm x 416mm (Platte) 460mm x 416mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 50034 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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