Giovanni Volpato, Stecher
Bernardino Nocchi, Zeichner
Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Die Begegnung von Leo I. mit Attila, vor 1784

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 4

Das spätestens 1514 vollendete Fresko mit der Begegnung von Leo I. mit Attila fand bei den Reproduktionsgraphikern lange Zeit deutlich weniger Interesse als die anderen drei Wandbilder der Stanza di Eliodoro. (Anm. 1) Nachdem 1722 Francesco Aquila eine detailreiche Wiedergabe herausgebracht hatte, setzte Giovanni Volpato 1784 mit seiner großformatigen Reproduktion ein neues Maß. Anm. 2) Sie war Teil der von ihm initiierten herausragenden Serie der Stanzen-Bilder und weist dementsprechend die typischen Charakteristika der Folge auf (vgl. Inv.-Nr. 1915-92). Hierzu zählen die relativ genaue Wiedergabe des Wandbildes, die vereinfachende architektonische Rahmung und die hohe technische Qualität der Ausführung. Dabei wandte Volpato wie gewohnt eine Mischtechnik von Kupferstich und Radierung an. Typisch für die Wiedergabe ist die relativ weiche Gesamtwirkung bei Betonung der Hell-Dunkeleffekte. Wie gewohnt griff Volpato auf eine farbige Vorlage zurück, die in diesem Fall von Bernardino Nocchi stammt. Und letztlich ist auch die unübersehbare Widmung an Papst Pius VI. charakteristisch für Volpatos berühmte Serie.

Auch wenn die Begegnung von Leo I. mit Attila nicht zu den stärksten Leistungen Raffaels in den Stanzen zählt, so war doch ihre Veröffentlichung im Rahmen der vom Papsttum geförderten Serie Volpatos unerlässlich. Denn dieses Wandbild führt ähnlich wie bei der Bestrafung des Heliodor den Schutz der von Gott eingerichteten Glaubensgemeinschaften vor Augen. Die Darstellung Raffaels beruhte auf einer alten kirchlichen Überlieferung, die in den 1479 gedruckten Papstviten des Bartolomeo Platina allgemein zugänglich war. Darin wird berichtet, dass der für Italien sehr bedrohliche Einfall der Hunnen durch das diplomatische Geschick Papst Leos I. im Jahr 452 bei Mantua gestoppt werden konnte. Platina zufolge habe Attila den Rückzug angetreten, weil ihm zwei Männer mit Schwertern erschienen waren. Diese hatten ihm den Tod prophezeit, sollte er nicht Italien verlassen. In diesen Männern wurden von kirchlicher Seite die Heiligen Petrus und Paulus gesehen.

Raffael fand in einem aufwändigen Entwurfsprozess zu seiner endgültigen Komposition. (Anm. 3) Von wesentlicher Bedeutung ist, dass das Geschehen von Mantua nach Rom verlegt wurde, wie man am Kolosseum im Hintergrund unschwer erkennen kann. Hiermit wurde auch ein tagespolitischer Akzent gesetzt, war doch kurz vor der Ausführung des Freskos die Bedrohung des Kirchenstaates durch die Franzosen abgewendet worden. (Anm. 4) Eine wichtige Zäsur trat ein, als der eigentliche Auftraggeber Julius II. während der Arbeiten verstarb. Sein Nachfolger Leo X. veranlasste Änderungen, was zu der absurden Lösung führte, dass dieser nun nicht nur – wie bereits vor dem Tod von Julius II. – als Kardinal Giovanni de’Medici links im Bild erscheint, sondern dass nun auch der direkt neben diesem (bzw. ihm!) reitende Leo I. sein Antlitz zeigt.

Wie wenig die Bildpropaganda des erfolgreich gegen weltliche Ansprüche vorgehenden Papsttums im späten 18. Jahrhunderts noch der Realität entsprach, sollte nur wenige Jahre nach Volpatos Veröffentlichung deutlich werden. 1796 überrollte Napoleon mit seinen Truppen Italien und führte das militärisch hilflose Papsttum in eine der größten Krisen seiner Geschichte. (Anm. 5)
David Klemm

LIT (Auswahl): Marini 1998, S. 137, Nr. 215; Höper 2001, S. 403, Nr. F 11.3 (mit
älterer Lit.)

1 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 48–49.
2 Die Druckgraphik ist undatiert. Eine Entstehung vor 1784 ist wahrscheinlich, da damals Raphael Morghen die Ausarbeitung der Messe von Bolsena übergeben wurde und sich Volpato nach Vollendung von sieben großen Drucken aus dem Stanzen-Projekt zurückgezogen zu haben scheint; vgl. Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 49.
3 Vgl. Dussler, 1966, S. 91–92; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2012, S. 184–189; Frommel 2017, S. 49–51. So wurde die bildliche Präsenz des links erscheinenden Papstes zunehmend gestärkt und auch der Bezug zwischen dem in der Mitte erschreckt zurückweichenden Attila und den Apostelfürsten klarer herausgestellt.
4 Vgl. Höper 2001, S. 397.
5 Interessanterweise finden sich im 19. Jh. mehrere Darstellungen der Begegnung von Leo I. mit Attila; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 49–50. Dieses plötzliche starke Interesse kann eigentlich nur damit erklärt werden, dass der Abwehrkampf gegen die Hunnen mit dem damals akuten Widerstand des Vatikans gegen die grundlegenden Veränderungen der politischen Landschaft Italiens gleichgesetzt wurde.

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung 520mm x 744mm (Bild) 575mm x 761mm (Platte) 621mm x 829mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 50027 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback