Luigi (auch: Aloisio) Fabri, Kupferstecher
nach Tommaso Minardi, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Entwerfer
Raffael (Werkstatt), Maler

Die Seeschlacht bei Ostia, vor 1829

Die Popularität von Raffaels packender Darstellung des Borgo-Brandes hat die übrigen drei großen Wandbilder der Stanza dell’Incendio stark in den Hintergrund gerückt. Dies wurde häufig auch mit einer im Vergleich zu den ersten beiden Stanzen weniger feinen malerischen Ausführung begründet. (Anm. 2) Sie war das Ergebnis einer ab ca. 1514 stark zunehmenden Beteiligung der Werkstattmitarbeiter an der Umsetzung von Raffaels Entwürfen. Dennoch verdienen sowohl Die Seeschlacht bei Ostia, Der Rechtfertigungseid Leos III. als auch Die Krönung Karls des Großen aufgrund ihrer Gestaltung und politischen Ikonographie verstärkte Aufmerksamkeit.

Alle drei Wandbilder wurden Jahrhunderte hindurch nur selten reproduziert. Am meisten Beachtung fand noch die wegen ihrer Dramatik auch künstlerisch reizvolle Seeschlacht bei Ostia. (Anm. 3) Erstmals veröffentlichte Francesco Aquila 1722 sämtliche drei Szenen in einer eher dokumentierenden, etwas spannungsarmen Interpretation (vgl. Inv.-Nr. 2020-28-10). Einen neuen Maßstab setzte dann Luigi Fabri in den 1820er Jahren mit seinen in Anspruch und Ausführung bemerkenswerten Reproduktionen. (Anm. 4) Seine Wiedergaben sind nicht nur sehr detailgetreu, sondern übertrugen auch die Farbvorgaben gekonnt in Hell-Dunkel-Partien. Insgesamt weisen die kraftvollen und ausdrucksstarken, bisweilen aber metallisch harten Reproduktionen Fabri als versierten Stecher aus.

Fabri absolvierte seine Lehre bei Domenico Cunego, einem der wichtigen in Rom tätigen Graphiker des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts (Inv.-Nr. kb-1915-643-9). Im Verlauf seiner Karriere arbeitete er dann eng mit der Calcografia Camerale di Roma zusammen – dort wird heute ein Großteil der zumeist signierten Druckplatten des Künstlers aufbewahrt. Fabri besaß ein starkes und weitgespanntes Interesse an der Publikation älterer Kunst. So gab er beispielsweise eine Raccolta di opere varie mit verschiedenen Werken Pietro Testas heraus. Bereits vor 1805 arbeitete er an der von Cunego initiierten Stichedition der Decke der Sixtinischen Kapelle mit, für die er bis 1834 dreizehn Tafeln beisteuern sollte. Seine Hauptwerke im Bereich der Reproduktionsgraphik stellen aber wohl seine insgesamt fünf großformatigen Kupferstiche nach Wandbildern in Raffaels Stanzen dar. Neben den bereits erwähnten Wiedergaben der Stanza dell’Incendio reproduzierte Fabri aus der Sala di Costantino Die Schlacht an der Milvischen Brücke und die Belehnungsszene. In allen Fällen griff Fabri auf detaillierte Vorlagen von sehr guten Zeichnern wie z. B. Tommaso Minardi zurück.

Die Bedeutung dieser Gruppe liegt darin, dass Fabri damit die von Giovanni Volpato und Raphael Morghen begonnene Edition der Fresken Raffaels fortführte. Diese beiden herausragenden Graphiker hatten in Zusammenarbeit mit versierten Zeichnern wie Giuseppe Cades von 1779 bis 1784 dreizehn Reproduktionen der Wand- und Deckenbilder herausgegeben (vgl. Inv.-Nr. 1915-92). Das Projekt war dann aus nicht bekannten Gründen trotz bestehender weitergehender Planungen nicht fortgesetzt worden. Für das Papsttum war es aber durchaus von Interesse, auch die noch fehlenden Wandbilder zu veröffentlichen.
Zum einen konnte damit das steigende Interesse eines touristischen Publikums gedeckt werden; zum anderen boten die dargestellten Motive durchaus Ansatzpunkte, um Kirchenhistorie mit tagespolitischen
Herausforderungen des Kirchenstaats zu verbinden.

Tatsächlich stellen diese Wandbilder Musterbeispiele politischer Ikonographie dar. So zeigt etwa die Seeschlacht bei Ostia Papst Leo IV. im aktiven Abwehrkampf gegen die Sarazenen, obgleich er gar nicht am Kampf beteiligt gewesen war. (Anm. 5) Raffael gab dabei Papst Leo IV. die Züge seines Auftraggebers Leo X., womit auf dessen geplante Feldzüge gegen das Vordringen der Mohammedaner im Mittelmeer angespielt wurde. Mit der 800 in der Peterskirche durchgeführten Krönung Karls des Großen wurde auf einen Vertrag von Leo X. mit Franz I. von Frankreich angespielt, der den König dazu verpflichtete, als Beschützer der Kirche aufzutreten (Anm. 6) Bei dem Rechtfertigungseid Leos III. legte dieser Papst im Jahr 800 im Beisein Karls des Großen ebenfalls in St. Peter einen Eid auf die Bibel ab, um sich gegen Verleumdungen zu wehren. (Anm. 7) Daraufhin wurden dem Papst durch göttliche Gnade juristische Sonderrechte gegenüber den Bischöfen gewährt. Unverkennbar inszenieren sämtliche Wandbilder mächtige, politisch einflussreiche und kampfbereite Päpste der Vergangenheit. Die Erinnerung daran konnte der Vatikan in den 1820er Jahren als moralische Stärkung gut gebrauchen, nachdem er durch Napoleon viele Jahre gedemütigt und erniedrigt worden war.

Und natürlich sollte diese Botschaft vom starken Papsttum durch die großformatigen Kupferstiche auch nach außen getragen werden. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass die Initiative für das kostenintensive Projekt weniger von Fabri als vielmehr vom Vatikan selbst ausging. Folgt man den Widmungen auf den Blättern, dann dürfte Papst Pius VII. noch vor 1820 den Anstoß gegeben haben. (Anm. 8) Dieser Papst hatte sich vor allem am Ende seiner turbulenten Amtszeit mit großer Intensität dem Ausbau der vatikanischen Sammlungen gewidmet und war vielfältig als Kunstförderer mäzenatisch in Erscheinung getreten. Aufgrund der langwierigen Ausführung der Graphiken zog sich die weitere Edition noch bis in die 1830er Jahre hin, so dass auch die nachfolgenden Päpste Leo XII. und Gregor XVI. auf den Blättern als Förderer – sprich vermeintliche Finanziers – gepriesen wurden.

Dass der enge Zusammenschluss mit den bereits herausgebrachten Stichen von Volpato und Morghen genau kalkuliert war, ist anhand diverser Charakteristika unzweifelhaft. So wählte Fabri nur Szenen Zudem lehnte er sich formal mit der auf Wiedergabe der Ornamentik weitgehend verzichtenden Rahmung eindeutig an Volpato und Morghen an. Letztlich ist die Art der Beschriftung übereinstimmend, denn statt eines Titels setzt auch Fabri eine markante Widmung an den jeweils amtierenden Papst unter die Darstellung. (Anm. 9) Auf diese Weise ergeben die Werke von Volpato, Morghen und Fabri optisch eine homogene Einheit.

Die Edition der Hauptbilder der Stanzen wurde schließlich wohl erst nach dem Tod Fabris durch den bislang kaum greifbaren Vincenzo Salandri zum Abschluss gebracht. Er steuerte die formal mit den übrigen Blättern übereinstimmenden Stiche Adlocutio und Die Taufe Konstantins bei. (Anm. 10)
David Klemm

LIT (Auswahl): Apell 1880, S. 139, Nr. 20 II; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi
Valenti Rodinò 1985, S. 57, Nr. II.3

1 Der Kupferstich muss vor 1829 erschienen sein, da er dem im Februar 1829 verstorbenen Leo XII. gewidmet ist.
2 Frommel 2017, S. 59.
3 Vgl. Schule des Marcantonio Raimondi, Die Seeschlacht bei Ostia. Es handelt sich um eine stark vereinfachende und auch verändernde Wiedergabe. Der Papst trägt hier die Züge Pauls III. aus dem Haus Farnese, was eine Entstehung nach dessen Wahl 1534 nahelegt. Corinna Höper nimmt an, dass der Stich nach einer Entwurfszeichnung Raffaels entstand, auf der die Komposition noch rechteckig ist; vgl. Höper 2001, S. 411–412, Nr. F 16.1. Die lange Zeit beste Gesamtwiedergabe schuf Nicolas Dorigny 1673, allerdings seitenverkehrt; vgl. Höper 2001, S. 412, Nr. F 16.2.
4 Die Graphiken sind bis auf den 1820 datierten Belehnungseid Leos III. ohne nähere Angaben. Allerdings können anhand der Widmungen zeitliche Eingrenzungen vorgenommen werden.
5 Alter Überlieferung zufolge hatte Herzog Sergio I. von Neapel 849 Leo IV. eine Flotte zum Kampf gegen die Sarazenen gesandt. Nach anfänglichem Zögern nahm der Papst diese Hilfe an und zelebrierte bei Ostia eine Messe für seine Unterstützer. Erst nach seiner Abreise kam es zum Kampf und zur Niederlage der Eindringlinge. Von diesen historischen Fakten ist auf dem Wandbild in der Stanza dell’Incendio wenig zu erkennen. Raffael interpretierte die Geschichte – sicher dazu gedrängt durch kirchliche Berater – eindeutig in eine papstfreundlichere Richtung. Auf seinem Bild wird Leo IV. – mit den Gesichtszügen des Auftraggebers Leos X. – als Teilnehmer der im Hintergrund tobenden Schlacht inszeniert. Während er noch um göttlichen Beistand bittet, werden ihm schon die ersten Gefangenen vorgeführt. Die Verdrehung der historischen Tatsachen macht vor dem Hintergrund Sinn, dass Leo X. eigene Pläne für Feldzüge gegen das Vordringen der muslimischen Truppen im Mittelmeer plante und gern als aktiver Kämpfer gesehen werden wollte; vgl. Frommel 2007, S. 57–60.
6 Höper 2001, S. 407.
7 Frommel 2017, S. 64–65.
8 Vgl. Anm. 6.
9 Die von Volpato/Morghen teilweise durchgeführte Nummerierung wurde von Fabri nicht aufgegriffen.
10 Apell 1880, S. 372.

Details zu diesem Werk

Kupferstich; fest aufgelegt 516mm x 731mm (Bild) 572mm x 750mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 50025 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback