Jean Baptiste Raphael Urbain Massard, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
L. Aubert, Schriftstecher
Durand, Drucker
Chaillou, Verleger

Die Hl. Cäcilie / "SAINTE CÉCILE", 1810

Nach Raimondis zeitgenössischer Wiedergabe von Raffaels Entwurf für die Hl. Cäcilie (Inv.-Nr. 202) setzte in den folgenden Jahrhunderten eine intensive graphische Auseinandersetzung mit dem Werk ein. (Anm. 1) Die Anzahl der Reproduktionen ist beachtlich und sie belegt nachdrücklich, welch enorme Faszination von dem Gemälde ausging. Beispielhaft sei Johann Wolfgang von Goethe genannt, der im Oktober 1786 während seiner Italienischen Reise in Bologna Station machte und vor dem damals noch in S. Giovanni in Monte befindlichen Gemälde in Bewunderung geriet. Für ihn war Raffael derjenige Künstler, der immer gemacht habe, „was andere zu machen wünschten […]“. (Anm. 2) Goethe fand in dem Bild nicht – wie sicher viele andere Menschen – einen religiösen Anker, sondern er erkannte für sich eine gleichsam zeitlose künstlerische und darüberhinausgehende menschliche Qualität: „Fünf Heilige nebeneinander, die uns alle nichts angehen, deren Existenz aber so vollkommen dasteht, daß man dem Bilde eine Dauer für die Ewigkeit wünscht, wenn man gleich zufrieden ist, selbst aufgelöst zu werden.“ (Anm. 3)
Die zahlreichen Reproduktionen nach dem Gemälde scheinen diesem Wunsch nach einem Festhalten für die Ewigkeit zu entsprechen. Und dieses Phänomen wurde nur wenige Jahre nach Goethes Besuch nochmals intensiviert, als das Werk 1796 in Folge von Napoleons Kunstraubzug durch Oberitalien nach Paris gelangte. Dort fand es nicht nur die Bewunderung zahlreicher Besucher im heutigen Louvre, sondern rief auch die Reproduktionsgraphiker auf den Plan.
Einer von ihnen war Jean-Baptist Raphael Urbain Massard, der offenbar durch die Namensgebung seiner Eltern für diese Aufgabe gleichsam prädestiniert gewesen ist. (Anm. 4) Tatsächlich hatte sich Massard nach einem Studium der Malerei bei Jacques-Louis David der Druckgraphik zugewandt. (Anm. 5) Für eine hervorragende Ausbildung sorgte sein Vater Jean Massard, der vor allem im späteren 18. Jahrhundert als Stecher erfolgreich war. Sein Sohn legte einen Schwerpunkt seines Schaffens auf die Reproduktionsgraphik. Sein OEuvre umfasst mindestens 46 Stiche, darunter mehrere Werke nach Raffael – u. a. die sog. Schöne Gärtnerin –, aber auch nach Giulio Romano, Correggio, Andrea del Sarto und nach Leonardos Mona Lisa. Sein Hauptwerk, das großformatige Bildnis Ludwigs XVI., sollte ihm 1824 den Titel eines Ritters der Ehrenlegion einbringen.
Massards Reproduktion der Heiligen Cäcilie gibt die Patronin der Musik sehr detailgetreu wieder. Dieses Gemälde bot mit seiner reichen Stofflichkeit und Vielfalt an dargestellten Dingen – man beachte etwa das berühmte Stillleben im Vordergrund (Anm 6) – eine bestens geeignete Plattform, um stecherische Brillanz zu zelebrieren. Und Massard genügte mit seiner Wiedergabe höchsten Ansprüchen, denn bereits im Jahr der Fertigstellung 1810 erhielt er eine offizielle Auszeichnung. Wie sehr Massard selbst von seinem Werk überzeugt war, zeigt sich daran, dass er es der Erzherzogin Luise von Österreich widmete. Diese heiratete genau im Jahr 1810 Napoleon, womit sie zur Kaiserin von Frankreich aufstieg. Dieser hohe Rang verblieb ihr bekanntermaßen nur wenige Jahre, genauso wie das Gemälde der Hl. Cäcilie wieder nach Italien zurückkehrte.
David Klemm

LIT (Auswahl): Nagler 8 (1839), S. 402; Apell 1880, S. 272, Nr. 5 VI (von VII)

1 Vgl. hierzu ausführlich Höper 2001, S. 82-85 und S. 261-264.
2 Goethe/von Einem 1978, S. 103.
3 Ebd; vgl. auch den Kommentar von Herbert von Einem ebd., S. 599-600.
4 Die Namensnennung erinnert an Anton Raphael Mengs, der geradezu programmatisch Raffaels und Correggios Vornamen erhalten hatte und im späten 18. Jahrhundert zumindest zeitweilig enormen Ruhm und Einfluss erlangte.
5 Massards Werk ist wenig erforscht. Im AKL finden sich – nur online – einige spärliche Informationen. Das beste Werkverzeichnis bietet offenbar immer noch Nagler 8 (1839), S. 402-404; vgl. auch Apell 1880, S. 273-275.
6 Nach neueren technischen Untersuchungen wurde das Stillleben erst in einer zweiten Arbeitsphase ausgeführt. Dies spricht dafür, dass Giovanni da Udine diese Malerei ausgeführt hat; vgl. Bloemacher 2016, S. 106.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Nadelschrift 518mm x 328mm (Bild) 621mm x 399mm (Platte) 717mm x 490mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 50011 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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