Heinrich Reinhold

Der Eichenhain auf der Serpentara bei Olevano, 1824

Das Blatt zeigt den Blick auf den Felsen der Serpentara mit den dahinter liegenden Volskerbergen. In der luzid-silbrigen Qualität des Bleistifts und der kompositionellen Geschlossenheit gehört das Blatt zu den besten Werken des Zeichners Reinhold. Ludwig Richter dürfte ähnliche Blätter wie dieses im Sinn gehabt haben, als er über Reinhold äußerte: "Wenn ich sie [nämlich seine eigenen Zeichnungen, Anm. d. Verfassers] im Geiste mit den Studien Reinholds verglich, der so trefflich die Standpunkte zu wählen verstand, wo sich das Motiv mit Feme, Vor- und Mittelgrund zu einem Ganzen zusammenschloß, so musste ich meine Mängel schmerzlich genug empfinden." (Anm. 1)
Reinholds Ansicht geht zurück auf ein Skizzenbuchblatt von Joseph Anton Koch in Wien (Anm. 2), deren Landschaft er für Werke in Dresden und Basel verwendet hat (Anm. 3). 1821 hat der Schlesier Florian Großpietsch eine im Format verkleinerte Radierung nach dem Blatt in Dresden unter Verzicht auf die Staffage angefertigt (Anm. 4), die zum Zwecke der Übertragung in das kleinere Format quadrierte Vorzeichnung befand sich ehemals in Münchner Kunsthandel (Anm. 5).
Reinhold hat Kochs Skizzenbuchblatt auf Pauspapier kopiert (Anm. 6) und sich in der Pause nicht nur Kochs Handschrift angenähert sondern auch dessen klaren, tektonischen Aufbau der Landschaft übernommen. Er hat dabei aber den Umriss vor allem in den Bäumen links und im Vordergrund stärker betont, was dem Blatt insgesamt eine größere Tiefe verleiht. Reinhold hat danach mehrere Versionen des Themas entwickelt, was vermuten lässt, dass Fragen der Komposition, der Gewichtung der Bildelemente und der Verschränkung der Bildgründe für Reinhold an diesem Motiv interessant gewesen sein müssen. Er hat den Ort mehrmals selbst aufsucht und entfernte sich dabei zunehmend von seinem Vorbild Koch.
Bereits im September 1821 hat er die Ansicht – datiert „Mittwoch 7 Sept 1821“ - während seines Aufenthalts in Olevano gezeichnet (Anm. 7). Er hat gegenüber Koch einen geringfügig veränderten Standort eingenommen, der etwas weiter abgerückt ist von der bei Koch sehr nahsichtig gegebenen Felsformation. Dadurch entsteht eine insgesamt bildhaftere, geschlossenere Komposition, die im Vordergrund durch die angeschnittenen Felsen begrenzt wird, sich im Mittelgrund mit dem Blick auf das Felsplateau weitet und auf die Monti Prenestini im Hintergrund überleitet. Insgesamt fällt Reinholds Komposition organischer gegenüber Koch aus, auch wenn dessen kulissenhafte Staffelung der Bildgründe noch spürbar ist. Reinhold ist ganz offensichtlich näher an der Naturbeobachtung, die er im Detail mit der ihm eigenen zeichnerischen Präzision festhält.
Die Suche nach dem besten Bildausschnitt hat Reinhold 1824 bei seinem letzten Aufenthalt in Olevano noch einmal an den Ort geführt, wo das Hamburger Blatt entstand. Auch hier hat Reinhold einen etwas anderen Standort als Koch eingenommen, der zu einer Verschiebung der Bildgewichte führt, in dem die Darstellung nicht mehr von dem Durchblick dominiert wird. Gegenüber dem Blatt von 1821 spricht aus der Darstellung ein anderer Geist: Das prononcierte Herausarbeiten des Helldunkel-Kontrastes mit dem Bleistift ist einem einheitlichen, zarten Gesamtton gewichen. Die zeichnerischen Mittel sind die gleichen - auch hier beschränkt sich Reinhold auf den Umriss und die Parallelschraffur -, doch entsteht kein kontrastierendes Helldunkel, sondern ein seidig-silbriger Glanz, der Assoziationen an altdeutsche Silberstiftzeichnungen weckt. Der Umriss wird nicht mehr so stark betont und die Stofflichkeit von Fels und Vegetation zeichnerisch nicht mehr so stark differenziert, auch scheint das Interesse an der Struktur der Felsen hinter einer größeren Aufmerksamkeit für die Vegetation zurückzutreten. Die Linie wird malerischer eingesetzt und weniger unterbrochen, der Linienfluss ist insgesamt einheitlicher und geschlossener im Sinne einer luziden Erscheinung.


Peter Prange

1 Richter 1909, S. 183.
2 Serpentaralandschaft bei Olevano, Bleistift, 215 x 330 mm, Wien, Akademie der bildenden Künste, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 6300, vgl. Cornelia Reiter: Ideal und Natur. Zeichnungen und Aquarelle von Joseph Anton Koch und Johann Michael Wittmer. Bestandskatalog des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste Wien, Salzburg-Wien 2011, S. 210, Nr. 716, Abb.
3 Moses vor dem brennenden Dornbusch, Feder und Pinsel in Braun, 240 x 335 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1908-636, vgl. Koch 1989, S. 270, Anm. 1, Abb. 195; Serpentaralandschaft bei Olevano mit Regenbogen, Öl auf Leinwand, 59 x 82,5 cm, Basel, Kunstmuseum, Inv. Nr. 396, vgl. Koch 1989, S. 291, Nr. 135, Abb. 217.
4 Florian Großpietsch, Serpentarahain bei Olevano, 1821, Radierung, 174 x 261 mm (Darstellung), 191 x 279 mm (Platte), bezeichnet unten links: „J. Koch diseg.“, unten rechts: „Flor. Grospietsch incise Roma 1821“.
5 Florian Großpietsch, Serpentarahain bei Olevano, 1821, Bleistift, quadriert, 176 x 264 mm, ehem. Galerie Biedermann, München, vgl. Aquarelle und Zeichnungen 17.-19. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Galerie Biedermann München, München 1978, Nr. 29, Abb., dort als Koch-Umkreis.
6 Serpentaralandschaft bei Olevano, Bleistift auf Transparentpapier, 222 x 345 mm, Landesmuseum Mainz, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GS 1903/142, vgl. Ausst.-Kat. Kaiserslautern 1990, S. 33, Nr. 30, Abb.
7 Heinrich Reinhold, Landschaft bei Olevano, Bleistift, 230 x 330 mm, Privatbesitz, vgl. Old Master Drawings, Christie’s New York, 24.01.2001, Nr. 184, Abb.

Details zu diesem Werk

Bleistift 333mm x 487mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 1911 vom Auktionshaus G. Walther Gasch, Dresden Inv. Nr.: 47396 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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