Johann Christoph Erhard

Schlucht im Gutensteiner Tal / Skizze mit Figuren in einer Landschaft (Verso), 1817

Die zusammenhängende Gruppe von Zeichnungen aus dem Piestingtal bei Gutenstein stammt ebenfalls von der zusammen mit Ernst Welker und Heinrich Reinhold im Sommer 1817 unternommenen Reise in die Schneeberggegend. Erhard wählte für seine Ansichten unspektakuläre Motive, auf denen er zwar konkrete, lokalisierbare Orte darstellte, doch ging es ihm nicht darum, topographische Ansichten zu schaffen; er stellte den pittoresk-romantischen Reiz der als wild und unwegsam empfundenen Gegend in den Mittelpunkt seiner Darstellungen. Er bevorzugte enge Täler oder Schluchten, die den Blick begrenzen und leiten, dabei aber immer wieder Asymmetrien einbauend.
Auf Inv.-Nr. 47321 hat Erhard eine asymmetrische Komposition angelegt, die die Ränder bewusst offen lässt. Der Blick des Betrachters wird gleichsam in die Darstellung hineingezogen, deren Hauptaugenmerk auf dem kühn inszenierten Durchgang durch die schmale Felsklamm liegt, die so nahsichtig an den Betrachter herangerückt wird, als sei er selbst Akteur. Übermächtig türmen sich die hohen Felsabhänge auf, auf denen die Vegetation klein erscheint, während links im Hintergrund die Burg Gutenstein gerade sichtbar ist. Die Asymmetrie der Komposition verleiht dem Blatt eine Dynamik, die sich auch in dem unruhigen Strichbild mitteilt.(Anm. 1) Auf Inv.-Nr. 23160 erscheint die Burg Gutenstein zwar in der Mitte, doch ist sie auch hier entrückt hoch oben gelegen, während der diagonal in das Bild führende Weg wiederum eine asymmetrische Wirkung hervorruft.
Inv.-Nr. 23164 und Inv.-Nr. 23165 geben den Eingang ins Gutensteiner Tal aus leicht verändertem Standpunkt wieder, beide Male erscheint die Burg in der Ferne. Auch diesem beiden Blättern thematisiert Erhard die eindrucksvolle Enge des Tales mit der sich entlangschlängelnden Piesnitz, zu deren Seite sich links steile Felswände erheben. Einzig auf Inv.-Nr. 23250 gibt Erhard eine Ansicht von einem etwas erhöhten Standpunkt wieder, der den Blick über das Tal auf den Klosterberg ermöglicht und in der Bildanlage der Radierung „Der Schneeberg vom Klosterthal aus“ (Anm. 2) ähnelt.
Die zeichnerische Ausfertigung aller im Gutensteiner Tal entstandenen Zeichnungen ist von gleichbleibender Intensität und dokumentiert den Wandel, den Erhards Zeichenstil während der Schneebergwanderung vollzog. Rainer Schoch hat darauf hingewiesen, dass die Linie nun nicht mehr allein im Sinne des Umrisses formbestimmend wirkt, sondern abstrahierend als „freie, andeutende Abbreviatur“ eingesetzt wird.(Anm. 3) Neu definiert Erhard auch das Verhältnis von Grund und Fläche, denn der frei gelassene Papiergrund wird zu einem entscheidenden Träger der Bildaussage vor allem in Hinsicht auf die Lichtwirkung, in der Papiergrund und die Schwärze des Bleistifts zueinander im Kontrast stehen.

Peter Prange

1 Das Blatt scheint die Vorlage für ein Aquarell gewesen zu sein, das nur nach einem Photo bekannt ist: Im Gutensteiner Tal, Aquarell, 137 x 193 mm, vgl. Gärtner 2012, S. 352, Nr. N 45.
2 Aloys Apell: Das Werk von Johann Christoph Erhard, Maler und Radirer, Dresden 1866, S. 11-12, Nr. 15.
3 Johann Christoph Erhard (1795-1822). Der Zeichner, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1996, S. 120.

Details zu diesem Werk

Bleistift 241mm x 309mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 47321 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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