Jacob Matham, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Der Parnass, 1596

Der Parnass ist nach der Schule von Athen und der Disputa das dritte große Wandbild in der Stanza della Segnatura. Es wurde laut einer Inschrift unterhalb der Darstellung 1511 vollendet und dürfte weitgehend eigenhändig von Raffael ausgeführt worden sein. Die Komposition zählt zu den Hauptwerken des Künstlers und gilt als eine der schönsten Darstellungen von durch Kultur miteinander verbundenen Menschen.

Bereits kurz nach der Fertigstellung des Wandbildes erschien die erste Reproduktion. Dabei gab Marcantonio Raimondi allerdings nicht das Fresko, sondern – im Rückgriff auf eine verlorene Zeichnung Raffaels – eine frühere Planungsphase wieder. (Anm. 1) Trotz erheblicher Unterschiede zum Wandbild fand der Kupferstich in mehreren Varianten Verbreitung. (Anm. 2) Es sollte noch viele Jahrzehnte dauern, bevor die erste Reproduktion nach dem Parnass-Wandbild erschien. Dabei handelt es sich nicht, wie seit Passavant wiederholt zu lesen ist, um Sébastien Vouillemonts wohl in der Mitte des 17. Jahrhunderts entstandenen Kupferstich. (Anm. 3) Vielmehr dürfte diese erste genauere Wiedergabe von Jacob Matham stammen.

Dieser herausragende niederländische Kupferstecher hatte eine prägende Ausbildung bei seinem Stiefvater Hendrik Goltzius erhalten. 1593 war er nach Italien gegangen, wo er in Venedig neun Platten nach Tizian, Tintoretto und Veronese stach und zur Veröffentlichung nach Haarlem sandte. 1595 ist er in Rom nachweisbar, wo er dann ein Jahr später den großformatigen Kupferstich nach Raffaels Parnass anfertigte.

Matham gab das Wandbild in seiner Grundanordnung relativ genau wieder. Zu sehen ist der Parnass, auf dessen Gipfel der ein Saiteninstrument spielende Apoll sitzt. Er ist umgeben von den neun Musen, als deren Führer er seit dem Altertum gilt. Zu Füßen dieser Gruppe sprudelt der kastalische Quell, deren Genuss nach alter Vorstellung poetische Kraft verleihen sollte. Um die Hauptgruppe sind herausragende Dichter der Antike und Neuzeit versammelt. (Anm. 4) Aufgrund ihrer Physiognomien sind der blinde Homer, Vergil, Dante und Petrarca sicher zu bestimmen. (Anm. 5) Die griechische Dichterin Sapphoist durch eine auf einer Schriftrolle befindliche Inschrift gekennzeichnet. Seit dem 14. Jahrhundert und dem Frühhumanismus galt der Parnass als ein idyllisches Paradies, in dem sich Apoll, Musen und Dichter zwischen Lorbeerbäumen, Hainen und Quellen in friedlicher Eintracht aufhalten. Raffaels Komposition vermittelt denn auch den Eindruck größtmöglicher Harmonie.

Mathams Reproduktion führt die Fülle großartiger Bildfindungen Raffaels anschaulich vor Augen. Dies betrifft die sehr elegante, zwanglose Gruppierung der Personen, wie auch ihre jeweils individuelle Charakterisierung. Allerdings sind auf dem Kupferstich viele Details verändert, was vor allem an den Physiognomien deutlich wird. (Anm. 6) Wenig vorteilhaft ist die Verkürzung der Himmelszone, weil dadurch die Figuren ‚zu wenig Luft‘ haben und der Fensterblock allzu sehr dominiert. (Anm. 7)

Für das Selbstbewusstsein Mathams spricht nicht nur, dass er seinen Namen direkt unterhalb des Kastalischen Quells anbrachte, sondern auch, dass er seine Vorlage durch ein im Fensterrahmen platziertes Schriftband mit lateinischen Versen veränderte. Diese stammen von dem damals in Haarlem ansässigen Pädagogen und Neo-Latinisten Cornelius Schonaeus und beschreiben die aufheiternde Wirkung von Apolls Musik auf die auf dem Parnass versammelten Dichter und Musen. Es war offenbar der Wunsch von Graphiker und Dichter, durch diese Verse Raffaels Kunst gleichsam noch stärker zum Sprechen zu bringen. (Anm. 8) Dies entsprach einem verbreiteten Brauch der Humanisten jener Zeit, erscheint aber bei einem so herausragenden Maler wie Raffael alles andere als notwendig.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch III (1803), S. 181–182, Nr. 199; Widerkehr 2007, S. 72,
Nr. 177, Abb. S. 73

1 Bartsch XIV, 1813, S. 200, Nr. 247; zu den Unterschieden siehe Höper 2001, S. 382.
2 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 35.
3 Eine genaue Einordnung des undatierten Blattes ist schwierig; vgl. Höper 2001, S. 383, Nr. F. 3.4.
4 Vgl. Ausst.-Kat. Wien 2017, S. 202.
5 Petrarca befindet sich in Tunika unten links hinter einem Baumstamm; oberhalb davon ist der blinde Homer durch seine Gestik gut erkennbar. Links von diesem ist das charakteristische Profil Dantes dargestellt. Die genaue Identifizierung weiterer Personen ist strittig; zur Diskussion standen und stehen z. B. die Dichter Ludovico Ariosto oder Jacopo Sannazaro.
6 Selbst die weithin bekannten Bildnisse von Dante und Homer sind wenig zuverlässig reproduziert.
7 Koscis 2015, S. 95.
8 Ebd., S. 97.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung 415mm x 680mm (Bild) 419mm x 680mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 4575 Sammlung: KK Druckgraphik, Niederlande, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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