Friedrich Eduard Eichens, Stecher
nach Wilhelm von Kaulbach, Maler, Erfinder
Verlag Alexander Duncker, Berlin, Verleger

Das Zeitalter der Reformation, 1867

Im 19. Jahrhundert stellten Museen in Europa eine der wichtigsten gestalterischen Aufgaben für die bildenden Künste dar. Von den Münchner Pinakotheken bis hin zum Amsterdamer Rijksmuseum waren diese Bildungstempel immer auch ein Spiegel nationalen und kulturellen Selbstverständnisses. Zur Veranschaulichung dessen dienten Architekturformen ebenso wie Skulpturen, Reliefs, Mosaiken und natürlich Malereien. Es ist bezeichnend für den Ruhm und die Wirkung Raffaels, dass er nicht selten an diesen Gebäuden dargestellt ist und dass seine Bilderfindungen die Ausstattungsprogramme geprägt haben.
Ein Musterbeispiel für dieses Phänomen ist das 1843–1855 nach Plänen von Friedrich August Stüler errichtete Neue Museum in Berlin. Es umfasste verschiedene Bestände der Ur- und Frühgeschichte, der Kunst Ägyptens, Gipsabgüsse, aber auch eine Ethnographische Sammlung und das Kupferstichkabinett. Von 1847 bis 1865 führte Wilhelm von Kaulbach die Schwerpunkte dieser Bereiche in einem monumentalen Zyklus von sechs komplexen Wandbildern vor Augen. Dabei wurde ein Entwicklungsgang der Weltgeschichte inszeniert, der vom Turm von Babylon über Homer und die Blüte Griechenlands
bis hin zur Reformation führte. (Anm. 1)
Gerade dieses durch Luthers Wirken entscheidend von Deutschland geprägte Ereignis gewann in der Rezeption der Wandmalereien immense Wirkung. (Anm. 2) Kaulbach inszenierte ein überreiches Panorama der entscheidenden Kämpfer der Reformation, wobei Martin Luther mit erhobener Bibel im Mittelpunkt steht. (Anm. 3) Um ihn herum sind weitere Persönlichkeiten wie Calvin oder Zwingli, aber auch Gustav II. Adolf von Schweden sowie zahlreiche Dichter, Gelehrte und Künstler dargestellt.
Zur enormen Breitenwirkung von Kaulbachs Wandbild trugen nicht unwesentlich graphische Reproduktionen bei, von denen die nach dem Karton ausgeführte Version von Eduard Eichens hervorgehoben sei (zur Person vgl. Inv-Nr. 17327). Der erfahrene Graphiker bewältigte die aufwändige Aufgabe mit all seiner Routine, so dass die Reproduktion neben stecherischer Qualität auch eine gewisse Gleichförmigkeit aufweist. (Anm. 4) Dank großer Detailgenauigkeit ermöglicht diese Wiedergabe eine vertiefte Beschäftigung mit Kaulbachs Werk. (Anm. 5) Eichens Reproduktion kommt umso größere Bedeutung zu, da Das Zeitalter der Reformation im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Bereits kurz nach der Fertigstellung wurde Kaulbachs Komposition mit Raffaels Fresken im Vatikan verglichen. (Anm. 6) Unverkennbar ist, dass hier wie dort zahlreiche Personengruppen in einem Raum verteilt sind. Dabei spricht es für das Geschick und die Eigenständigkeit Kaulbachs, dass man sich zwar unwillkürlich an die Schule von Athen erinnert fühlt, dass er aber direkte Zitate fast durchweg vermeidet. Allerdings muss auch konstatiert werden, dass es Kaulbach im Gegensatz zu Raffael nicht gelang, die immense Fülle an Personen in eine ausgewogene, harmonische Anordnung zu bringen. Auch ist etwa die Position Luthers weniger prägnant herausgearbeitet als diejenige von Platon und Aristoteles auf der Schule von Athen.
Kaulbach erwies dem großen Vorbild Raffael auch mit einem Detail im oberen rechten Bereich der Komposition seine Reverenz. Dort erkennt man den auf einer Treppe stehenden Raffael in angeregtem Gespräch mit Leonardo da Vinci, während sich der grimmig schauende Michelangelo abseits davon befindet. Fast beiläufig hält Raffael eine Tafel mit der Gesamtdarstellung der Schule von Athen, womit Kaulbach gleichermaßen direkt auf sein Vorbild hinweist. Oberhalb dieser Gruppe ist Albrecht Dürer dargestellt, gerade an seinem programmatischen Reformationsbild der Vier Apostel arbeitend. Zu ihm steigt Wilhelm von Kaulbach in Gestalt eines Farbenreibers auf einer Leiter hinauf. Unverkennbar ist, dass er zu diesem illustren Kreis der größten europäischen Maler gehören möchte. Die Geschichte hat dies anders entschieden. Heute ist Kaulbach nur noch Kennern der Malerei des 19. Jahrhunderts ein Begriff. Eichens Kupferstich zeigt indessen, dass eine Beschäftigung mit Kaulbach dennoch lohnend ist.
David Klemm

Eichens 1870, S. 149–150, Nr. 171; Apell 1880, S. 132, Nr. 15;
Ausst.-Kat. Hamburg 1983, S. 512–515, Nr. 388 (Beitrag Friedrich Gross); zum
Gemälde vgl. Keazor 2021, S. 187–194

1 Die weiteren Themen waren die Zerstörung Jerusalems, die Hunnenschlacht und die Kreuzfahrer vor Jerusalem. Grundlegend zu dem Zyklus und zum Reformationsbild im speziellen siehe Keazor 2021, S. 187–199.
2 Kaulbachs Wandbild stellt das umfangreichste und monumentalste Beispiel für die in Deutschland weit verbreitete Luther- und Reformationsmalerei des 19. Jahrhunderts dar.
3 Ausführlich zum Programm siehe Keazor 2021, S. 189–194.
4 Vgl. die harsche und überzogene Kritik in der Zeitschrift für bildende Kunst 1868; F. L-n. 1868, S. 249.
5 Zum besseren Verständnis wurden sogar Identifikationstafeln veröffentlicht; vgl. Keazor 2021, S. 190.
6 Ebd.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung 520mm x 633mm (Bild) 585mm x 685mm (Platte) 760mm x 851mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 45210 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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