Heinrich Reinhold

Blick vom Weg oberhalb von Vico Equense, 15.6.1823

Am 15. Juli 1823 befand sich Reinhold zusammen mit Faber in Vico Equense am Fuße der Monti Lattari auf der Nordseite der Halbinsel von Sorrent (Anm. 1). Reinholds Blatt zeigt den Blick nach Osten über den Golf zum Vesuv und auf die Ebene von Pompeji. Rückseite, datiert auf dem 14. Mai 1823, zeigt entstand laut Beschriftung auf dem Boot während der Überfahrt von Neapel nach Sorrent.
Das Blatt gehört zu einer Reihe von Blättern, die Reinhold auf der Vorder- und Rückseite benutzte. Es ist wahrscheinlich, dass die Blätter, die sich in einem Klebeband befanden, zu einem Skizzenbuch gehörten, das Reinhold auf der Sommerreise 1823 führte. Reinhold war Anfang Mai zusammen mit Johann Joachim Faber und Carl Wilhelm Götzloff nach Süditalien aufgebrochen, wo sie sich am Golf von Neapel, in der Gegend von Sorrent und auf Capri aufhielten.
Anhand der vorhandenen, teilweise datierten und ortsbezeichneten Zeichnungen lassen sich die Stationen der Reise annähernd rekonstruieren, deren früheste Station auf dem Verso des Blattes verzeichnet ist: Mitte Mai ist die Gruppe auf den Weg nach Sorrent, am 14. Mai entstand auf dem Verso die vorliegende Seestudie zwischen Neapel und Sorrent. Die Künstler hielten sich bis Mitte August in der Gegend von Sorrent auf, wie zahlreiche Zeichnungen belegen. Noch im Mai zeichnete Faber die Schlucht von Sorrent (Anm. 2), von der sich ehemals im Kunsthandel eine nahezu übereinstimmende Ansicht von Reinhold befand (Anm. 3). Hier erkundeten sie die Steilküste von Sorrent und Umgebung, bis nach Vico Equense und Costa Mare. Am 1. Juni zeichnet Reinhold die Grotte La Cucumella östlich von Sorrent (Inv. Nr. 56380), am 7. Juni befanden sie sich an der Küste von Sorrent (Inv. Nr. 43876). Am Johannistag 1823, den 24. Juni, sind zwei Blätter entstanden, die Motive von der sorrentinischen Küste (Inv. Nr. 56381 recto) und den Berg „La Roba“ (Inv. Nr. 56382 recto) zeigen; die Rückseite des Blattes (Inv. Nr. 56382 verso) vom 28. Juni dokumentiert Reinholds Wanderung von Vico d’Alberi nach Castellamare. Am gleichen Tag entstand ein Blatt auf dem Weg von Costa Mare nach Vico (Inv. Nr. 43903 verso). Ende Juli/Anfang August hielten sich die Künstler länger auf dem sogenannten Piano di Sorrento auf, einem zwischen Sorrent und Vico Equense gelegenen Felsplateau, wo zahlreiche Felsen- und Terrainstudien entstanden, zum Teil wieder auch gleiche Ansichten von Faber und Reinhold (vgl. Inv. Nr. 43903 recto) am selben Tag. Diese Gegend mit ihren Kastanienwäldchen weckte die Erinnerung an die Serpentara, wohin bisher einige dieser Zeichnungen lokalisiert waren. Ende August bzw. Anfang September sind die Künstler in der Gegend von Salerno und Amalfi zu finden; am 27. August befindet sich die Reisegruppe auf der Fahrt übers Meer nach Amalfi (Inv. Nr. 56383) , wo sie die Küste erkunden: Am 3. September befinden sie sich zwischen Atrani und Maiori (Inv. Nr. 43877) auf dem Weg nach Cava di Tirreni mit der alten Abtei, die sie am 4. September aufsuchen (Inv. Nr. 41299). Danach sind sie wieder an den Golf von Neapel zurückgekehrt, wo am 7. September vom Schiff eine Ansicht des Vesuvs entstand (Inv. Nr. 43874). Anfang Oktober, am Ende ihrer Reise, scheinen sie auf der nördlichen Seite des Golfes von Neapel, am Golf von Pozzuoli in Bajae gewesen zu sein, allerdings sind bis auf eine am 1. Oktober entstandene Zeichnung von Reinhold mit der Ansicht des Kastells von Bajae, die aufgrund ihres größeren Formats allerdings nicht zum Hamburger Skizzenbuch gehört, keine weiteren Zeichnungen bekannt (Anm. 4).
Für die meisten der während dieses Aufenthalts entstandenen Hamburger Zeichnungen hat Reinhold zumeist die Vorder- und Rückseite der Skizzenbuchblätter benutzt. Es handelt sich durchweg um Bleistiftzeichnungen, die das ganze Bildformat ausfüllen; sie sind skizzenhaft ausgeführt und beschränken sich dabei fast nur auf die Angabe des Umrisses (vgl. Inv. Nr. 43876 recto und verso, Inv. Nr. 43877, Inv. Nr. 43892 recto und verso, Inv. Nr. 43893, Inv. Nr. 43900 recto und verso, Inv. Nr. 43903 recto und verso, Inv. Nr. 56380-56386), dies gilt vor allem für die Wiedergabe der Küstenansichten. Nur wenige Blätter wie einige der Felsen bzw. Terrainstudien auf dem Piano di Sorrento weisen eine durchgezeichnetere Binnenstruktur auf, mit der Reinhold die geologische Struktur des Plateaus untersucht. Beispiele für dieses Bemühen sind Inv. Nr. 43905 und besonders Inv. Nr. 43906, das allerdings wohl eher von Götzloff stammt. Nur einzelne Blätter sind im Sinne einer Komposition bildhafter angelegt (Inv. Nr. 43913 recto). Nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob auch die Versoseiten von Inv. Nr. 43915 und Inv. Nr. 43924 in den Zusammenhang der Reise nach Süditalien gehören – sie könnten wie ihre Rectoseiten erst 1824 in Olevano entstanden sein.
Die Blätter von der Reise nach Süditalien wie auch einige erst 1824 in Olevano entstandene Blätter gleichen sich häufig im Format oder haben annähernd das gleiche Format von etwa 210 x 280 mm, zudem hat Reinhold für diese Studien dasselbe Papier verwendet, weshalb anzunehmen ist, dass es sich bei diesen Skizzen um ein aufgelöstes Skizzenbuch handelt, das Reinhold in Süditalien und ein Jahr später auch in Olevano verwendet hat. Die teilweise abweichenden Maße dürften von einer nachträglichen Beschneidung einzelner Blätter rühren.

Peter Prange

1 Vgl. Fabers Blick in die andere Richtung mit dem Kloster San Francesco bei Vico Equense und auf Capri, Bleistift, 322 x 457 mm, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 41285, bezeichnet: „San Francesco di Vico im July 1823“.
2 Johann Joachim Faber, Die Schlucht von Sorrent, 1823, Bleistift, 344 x 472 mm, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 23300, vgl. Hamburg 1958, S. 35, Nr. 180.
3 Felsenkapelle in den Bergen bei Sorrent, Bleistift, 340 x 450 mm, vgl. Reiss & Sohn, Königstein, Auktion 93, 21.11.2003, Nr. 288. Von Johann Heinrich Schilbach existiert zudem eine nahezu identische Ansicht: Schlucht bei Sorrent, 1825, Feder in Schwarz über Bleistift, 433 x 393 mm, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. HZ 714, vgl. Schilbach 2000, S. 159-160, Nr. 30, Abb.
4 Das Kastell von Bajae, Bleistift, 297 x 435 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1927-17, vgl. Reinhold 1988, S. 73, Nr. 158, Abb. S. 242.

Details zu diesem Werk

Bleistift 217mm x 308mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 1909 Inv. Nr.: 43913 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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