Agostino dei Musi (gen. Veneziano), Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Erfinder

Die Blendung des Zauberers Elymas, 1516

Die Entwürfe für Teppiche zählen zu den wichtigsten Werken Raffaels. Sie sind nicht nur hinsichtlich ihrer künstlerischen Qualität, sondern auch aufgrund ihrer jahrhundertelangen Wirkung von herausragender Bedeutung.
Diese Erfolgsgeschichte begann in dem Augenblick, als Leo X. sich eine Serie von Teppichen für die Sixtinische Kapelle wünschte. (Anm. 1) Unverkennbar wollte der Medici-Papst in diesem Raum, der durch zahlreiche Fresken Florentiner Meister und Michelangelos Monumentalmalerei ausgezeichnet war, einen eigenen Akzent setzen. Raffael erhielt wohl Ende 1514 den Auftrag, wobei er inhaltlich sicherlich von Gelehrten des Papstes beraten wurde. Bis Ende 1516 waren die Entwürfe vollendet, worauf sie in der Brüsseler Teppichmanufaktur des Pieter van Aelst gewebt wurden. Weihnachten 1519 konnten bereits sieben Teppiche aufgehängt werden, kurz darauf folgten die letzten drei.
Die Teppiche zeigen Ereignisse der Apostelgeschichte, wobei vier Szenen Petrus gewidmet sind: die Schlüsselübergabe (Inv.-Nr. kb-1904-77-92), der Wunderbare Fischzug (Inv.-Nr. 1152 und 2000-63), die Heilung des Lahmen (Inv.-Nr. 1213) und der Tod des Ananias (Inv.-Nr. 19247). Die übrigen Teppiche zeigen Ereignisse aus der Vita des Paulus: die von ihm veranlasste Steinigung des Hl. Stephanus, seine Bekehrung, das Opfer in Lystra, seine Gefangennahme, die Predigt in Athen (Inv.-Nr. 34451) und die hier vorgestellte Blendung des Elymas.
Raffaels Entwürfe revolutionierten die Herstellung von Teppichen. Fortan gehörten die Wiedergabe von Lichtstimmungen, stärkerer Farbigkeit oder Räumlichkeit zum Standard. Für ihren großen Erfolg spricht, dass zahlreiche Wiederholungen für Herrscherhäuser und Adlige gewebt wurden. Darüber hinaus fanden Raffaels Erfindungen mittels Druckgraphiken weithin Verbreitung. Auffallend selten wurden dabei die Teppiche selbst reproduziert. Das Hauptinteresse galt den sieben erhaltenen Kartons, also den maßstabsgerechten finalen Entwürfen Raffaels (vgl. Inv.-Nr. 2000-63 und 19247). Darüber hinaus fanden Zeichnungen aus dem Entwurfsprozess mittels Druckgraphiken Verbreitung. Beispielhaft für diese Gruppe steht Agostino Venezianos 1516 datierter Kupferstich mit der Blendung des Elymas. Ihm gebührt besondere Aufmerksamkeit, da er die erste bekannte Wiedergabe im Zusammenhang mit den Teppichen darstellt.
Der Apostelgeschichte 13,4–12 zufolge trafen Paulus und Barnabas in der Stadt Paphos auf den Zauberer Elymas. Dieser versuchte den Statthalter Sergius Paullus vom christlichen Glauben abzuhalten, worauf der Apostel Paulus ihm für eine Zeit lang das Augenlicht nahm. Angesichts dieses Wunders schloss sich der Statthalter dem christlichen Glauben an. Raffael wählte für seine Illustration den Augenblick, in dem sich Elymas seiner Blindheit bewusst wird. Hilflos streckt er Arme und Hände aus, um den Raum abzutasten. Seine Unsicherheit steht in starkem Kontrast zur entschlossenen Standhaftigkeit des Apostels. Zahlreiche Menschen nehmen voller Erregung und mit aufgerissenen Augen an dem Geschehen Anteil.
Agostino Veneziano griff für seinen Kupferstich auf einen heute in Windsor bewahrten Entwurf Raffaels für dessen Karton mit der Elymas-Szene zurück. (Anm. 2) Er beachtete die seitenverkehrte Vorlage recht genau, veränderte aber vor allem die Köpfe hin in eine expressive und dekorative Richtung. (Anm. 3) Das betonte Hell-Dunkel hebt vor allem die für die Bildwirkung wichtige Architektur hervor. Venezianos Figuren sind anders als bei Raffael sehr linear, bisweilen starr angelegt. Insgesamt gelang dem Graphiker aber eine überzeugende Wiedergabe, die nicht zuletzt durch ihre Klarheit besticht.
Agostino Veneziano war erst 1516 nach Rom gekommen und wirkte dort offenbar sogleich tatkräftig in der Werkstatt von Marcantonio Raimondi mit. Zusammen mit Marco Dente haben diese Künstler dann Raffaels Bildideen als Kupferstiche verbreitet. Dabei wurden wie im Elymas-Beispiel wiederholt Entwürfe verarbeitet, die nicht der endgültigen Ausführung als Gemälde, Wandbild oder Teppich entsprachen.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch XIV (1813), S. 48, Nr. 43; Ausst.-Kat. Mantua/Wien 1999,
S. 70, Nr. 10 (Beitrag Achim Gnann); Ausst.-Kat. Dresden 2020, S. 204–205 (Beitrag Angelika Marinovic, mit älterer Lit.)

1 Zu den Teppichen vgl. Ausst.-Kat. London 2010; Buck/Hohenstatt 2013, S. 91–95; Pfisterer 2019, S. 238–246; Ausst.-Kat. Dresden 2020.
2 Windsor, Royal Collection, RL 12750; Ausst.-Kat. London 2010, S. 108, Nr. 7.1, Abb.
3 Ausst.-Kat. Mantua/Wien 1999, S. 70–71, Nr. 10.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 264mm x 342mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 415 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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