Caspar David Friedrich

Meer mit aufgehender Sonne - Schöpfungsmorgen (Folge: Die Lebensalter, Blatt 1), um 1826

Der Hamburger Lebensalterzyklus besteht aus sieben Sepiazeichnungen (Anm. 1); dies erkannt zu haben, wird Erika Platte verdankt, die 1961 erstmals den Zyklus in dieser Form behandelte.(Anm. 2) Friedrich hatte die Sepien 1826 auf der Dresdner Kunstausstellung in der Akademie gezeigt (Anm. 3); die im Katalog nur neutral als „sieben in Sepia getuschte Skizzen“ bezeichneten Blätter wurden im gleichen Jahr von einem anonymen Autor im Rahmen einer Ausstellungsbesprechung in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ genau beschrieben: „Von Prof. Friedrich sind sieben in Sepia getuschte Skizzen da, flüchtiger hingeworfen als Traumbilder, aber voll Sinn: sie scheinen eine Lebensbeschreibung darstellen zu sollen, die über das beginnen und enden dieses Erdenlebens hinausreicht. Auf Nr. 1 erleben wir das Meer als Urelement des Daseins, das Licht, die aufgehende Sonne, taucht hervor, gährende Stoffe scheinen sich in der Mitte der Wogen chaotisch zu regen und nach Gestaltung zu ringen. Nr. ist die liebliche Frühlingsgegend, zwischen noch unbelaubten knospenden Bäumen und Blumen suchen 2 Kinder Schmetterlinge zu haschen. Höher und dichter sind Pappeln und Myrthen auf Nr. 3 gewachsen und in ihrem Schatten gegegnet sich ein liebendes Paar. Felsen türmen sich und unsere Wanderer reichen sich schweigend die Hand. Von Ferne erheben sich Städte und Kirchen und ein Monument verkündet Ruhm und Taten des geharnischten Kriegers. Sehr still ist es auf Nr. 5 geworden: der Vollmond blickt zwischen Klosterruinen herein auf einen Friedhof, die Bäume sind entlaubt und kahl, und die zwei geistigen Wanderer graben sich ein Grab, um vereint zu ruhen. Nr. 6 zwischen Stalaktitenhöhlen und Tropfsteinfelsen liegt ein verwittertes bleiches Menschgerippe: das Skelett des Erdkolosses scheint sich schützend auf das Skelett seines armen kleinen Bewohners zu wölben und in grausenvoller Öde harren beide der Verwandlung. Nr. 7: Die Erde ist verschwunden, auf Wolken kniend schauen zwei Engel, ihre Riesenschwingen entfaltend, empor zum ewigen Licht, - in seliger Klarheit. Ob übrigens Friedrich wirklich dies so gemeint hat, möge dahingestellt bleiben, denn eigentlich könnten seine Skizzen ebensogut Kunsthieroglyphen oder Rätselspiele heissen, die ein jeder erklären kann wie er will. Sie beschäftigen die Phantasie weit mehr als dass sie das Auge befriedigen“ (Anm. 4)
Die Skepsis, die zuletzt den Rezensenten gegenüber Friedrichs Kunst erfasst hatte, spricht auch aus zwei weiteren Besprechungen: „Die 7 Skizzen von Professor Friedrich zeigen wie die flüchtig hingeworfensten Linien und Punkte eines genialen Künstlers schon poetische Ideen aussprechen können, aber schmerzlich vermissen wir doch ein wirkliches Kunstwerk von ihm.“(Anm. 5) Auch Carl August Böttiger hat in seiner Ausstellungsbesprechung beklagt, dass Friedrich mit keinen ausgeführten Werken vertreten war: „Leider hat Prof. Friedrich, zu dessen Gemälden die Liebhaber in frühen Ausstellungen so gern traten, als wahrer Repräsentant der landschaftlichen Gefühlsmalerei, dießmal gar nichts beigetragen, als sieben in Sepia getuschte Skizzen. Das ist eine sehr schmerzlich gefühlte Lücke. Denn so genial auch dieser Cyclus des Menschendaseyns, der uns vom Isthmus des irdischen Lebens auch noch rückwärts und vorwärts blicken läßt, sich an einzelne Jahreszeiten knüpfen mag, vom Meister erwarten wir Ausgeführtes. Am meisten hat uns die Stalactitengrotte mit den zwei Skeletten der Menschen, die wir als Kinder spielen, als Knabe und Mädchen sich den Psychekuß geben, im erstarkten Alter bei Sonnenschwüle scheiden, endlich zwischen Ruinen ihr Grab graben sehen, durch die sinnvolle Andeutung, wie selbst das unorganische sich hinaufläutert, angesprochen. Die zwei im Empyreum anbetenden Flügelgestalten sind alte Lieblingsfiguren des Künstlers.“(Anm. 6)
Der Zyklus verblieb nach der Ausstellung offensichtlich noch in Friedrichs Besitz, denn 1828 hatte der Maler Detlev Conrad Blunck den Zyklus in Friedrichs Atelier gesehen und in einem Brief, den Lilli Martius bekannt gemacht hat (Anm. 7), seinem dänischen Kollegen Johann Ludwig Lund gegenüber von einem „Versuch [Friedrichs gesprochen], in mehreren aufeinanderfolgenden landschaftlichen Blättern das menschliche Leben darzustellen.“ (Anm. 8)
Friedrich hatte sich schon früh mit der Thematik des Wandels in der Natur beschäftigt. Ein Zyklus von Sepiablättern mit der Darstellung der vier Jahreszeiten befand sich ehemals in der Sammlung Ehlers in Göttingen (Anm. 9) und ist erst kürzlich, wenngleich nicht vollständig, wieder aufgetaucht.(Anm. 10) Das Frühlingsblatt ist rückseitig 1803 datiert, doch könnte es sich dabei auch um eine spätere Zutat handeln; allerdings korrespondiert dieses Datum mit der Nachricht, das Philipp Otto Runge 1803 zwei Landschaftsbilder mit Motiven von Rügen erworben hatte, die den „Morgen“ und den „Abend“ darstellten.(Anm. 11) 1803 dürfte sich Friedrich also bereits mit in Zyklen zusammengefassten Verwandlungen des Naturlebens - die Idee dazu geht möglicherweise auf Runge zurück - beschäftigt haben, weshalb die frühe Entstehung des Zyklus‘ der Sammlung Ehlers sicher zutreffend ist.(Anm. 12)
Im Journal für Luxus und Moden vom 28. Februar 1807 erwähnte ein anonymer Autor, hinter dem sich möglicherweise wiederum Carl August Böttiger verbirgt, einen vierteiligen Tages- und Jahreszeitenzyklus.(Anm. 13) Börsch-Supan hat aufgrund dieser Nachricht einen zweiten Jahreszeiten-Zyklus postuliert, und auch die 1808 in Gotthilf Heinrich von Schuberts „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ erschienene umfassende Interpretation der Jahreszeiten auf diesen um 1807 entstandenen Zyklus bezogen.(Anm. 14) Die Existenz eines zweiten, um 1807 entstandenen Zyklus begründet Börsch-Supan auch mit einem weiteren Blatt in Hamburg (Inv.-Nr. 40098), das seines Erachtens eine Variation zum Winterblatt beider Zyklen darstellte. Während Prybram-Gladona in der Kreidezeichnung eine exakte Vorbereitungszeichnung für die Hamburger Sepia annimmt (Anm. 15), glaubt Börsch-Supan in dem Blatt die Komposition von 1807 zu erkennen. Die Mauer- und Pfeilerreste wiesen gegenüber 1803 Veränderungen auf, stimmen aber auch nicht mit der Form von 1826 überein, „so dass hier wohl die Komposition von etwa 1807 für die Variante von 1826 überarbeitet worden ist.“(Anm. 16) Börsch-Supan bezeichnet das Blatt deshalb als zwischen den Varianten von 1803 und 1834 stehend: „Der Zweck der auf der Rückseite geschwärzten Zeichnung mit Pausspuren war der, die Komposition von Inv.-Nr. 342 [das ist die Fassung von 1807, Anm. d. Verfassers] zu überarbeiten und auf Inv.-Nr. 432 [das ist die Hamburger Sepia, Anm. d. Verfassers] zu übertragen. Man wird sich als weiteres Hilfsmittel für die Übertragung der Komposition von Inv.-Nr. 342 auf die Zwischenzeichnung vielleicht eine Pause auf Transparentpapier denken müssen.“ (Anm. 17) Sumowski geht hingegen davon aus, dass das Blatt für beide Fassungen verwendet wurde, also bereits bei der Arbeit für den Ehlers-Zyklus entstanden sein muss. (Anm. 18) „Bis auf das Motiv einer Frau, die mit am Grabe sitzt, sind beide Kompositionen identisch. Die lineare Fassung ist rückseitig mit Kreide eingeschwärzt. Es handelt sich also um einen Karton, der auf das Papier für die Sepia übertragen wurde. Durch den Karton hat sich Friedrich die Arbeit an der bildmäßigen Zeichnung erleichtert; er gab sich aber auch die Möglichkeit, sein Werk ohne Mühe zu replizieren. Der Karton ist nochmals beim „Winter“, ebenfalls in Hamburg, verwendet worden. Doch ehe Friedrich gepaust hat, wurde die Komposition um die Frau erweitert, die er bei der Sepia ihrem Mann zuzugesellen wünschte. Außerdem hat er die Komposition nicht im Ganzen übernommen, sondern die Architektur durch Änderungen und Weglassungen vereinfacht, und bei den Bäumen ist die Zahl der Äste und Zweige reduziert worden.“ (Anm. 19) Die Deutung Sumowskis deckt sich mit dem Befund des Blattes, bedarf jedoch der Präzisierung: Friedrich konnte das bereits für den Zyklus von 1803 benutzte Blatt sozusagen auf den Stand von 1826 bringen, indem er Teile ausradiert und hinzugefügt hat. Mit kräftigem Strich hat er die am Grab sitzende Frau nachträglich eingefügt, ebenso das schräg stehende Kreuz hinter dem Mann und zu diesem Zweck auch den Baum rechts daneben übergangen. Die Kirchenruine entsprach ursprünglich der Fassung von 1803, ist dann durch Ausradierungen aber auf die niedrigere Höhe der Variante von 1826 reduziert worden; in der ausgeführten Sepia ganz weggefallen ist schließlich der echte Pfeiler mit dem Bogenansatz. Das gleiche Format aller drei Zeichnungen belegt zusammen mit der Schwärzung der Versoseite und den teilweisen Durchgriffelungen die Funktion von Inv.-Nr.41098 als Karton (Anm. 20), den Friedrich für beide Versionen benutzt hat. Die Zeichnung ist deshalb nicht mit dem von Börsch-Supan vermuteten zweiten, um 1807 entstandenen Zyklus in Verbindung zu bringen; die Annahme eines solchen Zyklus‘ von 1807 dürfte auch hinfällig sein, da jüngst Hein-Th. Schultze Altcappenberg hat zeigen können, dass sich sowohl die Erwähnung im Journal für Luxus und Moden 1807 als auch Schuberts ausführliche Interpretation auf den Zyklus der Sammlung Ehlers beziehen müssen.(Anm. 21)
Die Vorbildlichkeit bzw. das Anknüpfen an die früheren Arbeiten ist für den Hamburger Zyklus evident. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Blättern, die die Tages- bzw. Jahreszeiten 1803 und 1826 verkörpern, beträchtlich. Das Frühlingsblatt, von dem Otto Schmitt irrtümlich ausging, es trage das Datum „1803“ (Anm. 22), unterscheidet sich von der früheren, 1803 entstandenen Fassung nicht nur in der veränderten Anzahl der Kinder – zwei gegenüber fünf 1803 -, sondern auch in der Auffassung. Während 1803 noch mehr der idyllische Charakter im Sinne der Nachfolge Salomon Gessners und besonders der Einfluss Philipp Otto Runges spürbar ist, wird die Fassung von 1826 durch die drei streng aufgerichteten Bäume dominiert. Der spielerische Charakter von 1803 wird durch eine Ernsthaftigkeit ersetzt (Anm. 23), die auch die zwei nach Schmetterlingen haschenden Kinder nicht mindern. Während die Sommerblätter sich in Komposition und Auffassung ähneln – auf dem Hamburger Blatt ist allerdings das Paar im Sinne der Lebensalterentwicklung der zentrale Aspekt -, unterscheiden sich die Herbstblätter beträchtlich. 1803 entwarf Friedrich mehr oder minder eine vedutenhafte Berglandschaft, die er 1826 überhöht. Auf dem Hamburger Herbstblatt öffnet sich eine alpine Berglandschaft zum Tal und gibt den Blick auf eine von einer mittelalterlichen Doppelturmfassade und einer Rundkuppel dominierten Stadt frei. Auf der Höhe befindet sich ein Paar in Rückenansicht - sie in einem bodenlangen Kleid, er in einem Harnisch – neben einem Obelisken, sie weist mit der Hand offensichtlich auf das oben auf dem Gipfel erkennbare Kreuz, der Krieger dagegen strebt an den Denkmälern vorbei der Stadt talwärts zu. Ob die Frau versucht, ihren Begleiter dazu zu bewegen, den schmalen Pfad bergan hinaufzugehen, wie Grummt meint (Anm. 24), bleibt fraglich; eher scheint es sich um eine Trennungsszene zu handeln. Am ähnlichsten sind die beiden Winterblätter. Sumowski hat erstmals darauf hingewiesen, dass es sich bei dem vorliegenden Blatt um die Variation eines Blattes aus dem Zyklus von 1803 handelt (Anm. 25), das Friedrich nur geringfügig verändert hat. Anstatt einer männlichen Figuren auf dem Blatt in Berlin (Anm. 26) hat Friedrich auf dem Hamburger Blatt den Paargedanken stärker betont, und der männlichen Figur noch eine Frau hinzugefügt.
Die Änderungen gegenüber dem Zyklus von 1803 sind weniger kompositioneller und formaler als inhaltlicher Art. Die Verbildlichung der Lebensalter durch Zusammentreffen, Trennung und Tod wird durch die Erweiterung des Hamburger Zyklus eingebettet in die menschheitsgeschichtliche Dimension von Schöpfung und Vergehen. Diese Konzeptionsänderung ist entscheidend für sein Verständnis, der nicht nur die Jahreszeiten repräsentiert, vielmehr verfolgt Friedrich in dem Zyklus eine kosmologische Dimension, in die das Leben des Menschen im Sinne eines Kommen und Vergehens eingebettet ist.
Trotz der eindeutig dokumentierten Hamburger Blätter sind in der Forschung sowohl deren Entstehungszeit als auch die Zusammensetzung des Zyklus‘ kontrovers diskutiert worden. Für die unterschiedliche Beurteilung maßgebend waren dabei die Tatsache, dass Friedrich Sepien nur in seiner Früh- und danach in seiner Spätzeit angefertigt hat, die unterschiedliche Auslegung vorhandener Quellen bzw. Erwähnungen und Beschreibungen, die Existenz verschiedener Versionen, die unterschiedliche Beurteilung stilistischer Fragen bzw. von Friedrichs Entwicklung als Zeichner und nicht zuletzt die Zusammensetzung des Zyklus‘.
Sigrid Hinz hatte an den Zyklus der Sammlung Ehlers anschließend auch den Hamburger Zyklus bereits um 1803 angesetzt, weil sie neben formalen Bedenken, die nicht weiter ausgeführt werden, in den Sepien „Vorstufen für die bald darauf folgenden Ölarbeiten ähnlicher Thematik“ sieht.(Anm. 27) Bestätigt sieht sich Hinz darin, dass Friedrich das Sommer- und Winterblatt der Sammlung Ehlers tatsächlich auch in die Malerei übertragen hat (Anm. 28), weshalb sie auch den Hamburger Zyklus früh ansetzt, obwohl keine entsprechenden Gemälde nachweisbar sind. Die frühe Datierung war für Hinz auch deshalb möglich, weil sie die Erkenntnisse Erika Plattes ignorierte und den Hamburger Zyklus auf einen reinen Tages- bzw. Jahreszeitenzyklus reduzierte.(Anm. 29) Die oben aufgeführten zeitgenössischen Beschreibungen verdeutlichen indes, dass die Konzeptionsänderung und die damit verbundene Erweiterung des Hamburger Zyklus als siebenteilige Folge erst um 1826 vollzogen worden ist.
Diese Änderung der Konzeption bedeutet indes nicht, dass die heute in der Kunsthalle befindlichen sieben Blätter um 1826 entstanden sein müssen. In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung von Sumowski (Anm. 30) und nach ihm Börsch-Supan (Anm. 31) von Bedeutung, die eine um 1834 entstandene Wiederholung einiger Blätter der Hamburger Folge vermutet haben. Beide beziehen sich auf einen Notizbucheintrag des mit Friedrich befreundeten französischen Bildhauers David d’Angers vom November/Dezember 1834, der bei seinem Besuch in Friedrichs Atelier am 7. November 1834 „mehrere gerade vollendete Zeichnungen, die vier Jahreszeiten und zugleich - ein schöner dichterischer und philosophischer Gedanke – die vier Lebensalter des Menschen darstellend“ (Anm. 32) sah. David d’Angers beschreibt insgesamt fünf Blätter, die in der Thematik fünf Sepien aus dem Hamburger Zyklus entsprechen: Frühling, Sommer, Herbst, Tod in der Tropfsteinhöhle und Engel, das ewige Licht anbetend. Charlotte de Prybram-Gladona hat diese Nachricht auf die Hamburger Sepien bezogen (Anm. 33), und deshalb den Hamburger Zyklus erst 1834 angesetzt, doch bestehen Unterschiede zu den Hamburger Blättern, die ihre Identität mit den Zeichnungen, die d’Angers sah, ausschließen. Für den Frühling spricht d’Angers davon, dass „die Bäume in weißer Obstblüte schimmern, und das Kind spielt an einem kleinen Bach, […]“ (Anm. 34), auf dem Hamburger Blatt spielen hingegen zwei Kinder und die Bäume zeigen keine Obstblüte. Auf dem Sommerblatt tragen die Bäume Früchte, in der Hamburger Version handelt es sich dagegen um Laubbäume. Die Blätter „Herbst“ und die Tropfsteinhöhle sowie die Engel könnten den Beschreibungen d’Angers zufolge mit den Hamburger Blättern identisch sein, doch die Tatsache, dass die bei Friedrich gesehenen Zeichnungen „eben vollendet worden seien“, sprechen dafür, dass es sich um eine spätere, möglichweise auch reduzierte (Anm. 35) Wiederholung des Hamburger Zyklus‘ handelt.
Börsch-Supan hat aufgrund dieser Überlieferung jedoch vermutet, dass der Hamburger Zyklus in seiner heutigen Überlieferung als siebenteiliger Zyklus nur teilweise 1826 entstanden ist. Er nimmt an, dass der heutige Zyklus aus Sepien zusammengesetzt ist, die Friedrich 1826 und 1834 ausgeführt hat. Börsch-Supan glaubt, dass die 1826 entstandenen Darstellungen des Herbstes und Winters sowie der Tropfsteinhöhle bzw. des Todes und der Engel in Anbetung verschollen sind. „Unterschiede des Zeichenstils in den Darstellungen „Herbst“ (Inv.-Nr. 41115), „Winter“ (Inv.-Nr. 41118), „Tod“ (Inv.-Nr. 41117) und „Engel in Anbetung“ (Inv.-Nr. 41116) gegenüber den übrigen Blättern, besonders auch eine Werkzeichnung zur Komposition des „Winter“ [41112] sprechen dafür, dass der Zyklus von 1826 mit Blättern einer Neufassung von 1833/34 vermischt worden ist, von der David d’Angers 1834 fünf als ‚eben vollendet‘ beschrieben hat. Die gröbere und lockere Handschrift der vier genannten Zeichnungen scheint eher Blättern der Spätzeit verwandt.“ (Anm. 36) Tatsächlich lässt sich in den Blättern, die Börsch-Supan für um 1826 entstanden hält – Meer (Inv.-Nr. 41120), Frühling (Inv.-Nr. 41121) und Sommer (Inv.-Nr. 41122) eine größere Strenge in der Auffassung und Regelmäßigkeit in der Ausführung beobachten, insgesamt ist die Pinselarbeit in den anderen Blättern lebhafter und lockerer, doch hat Eckhard Schaar darauf hingewiesen, dass diese stilistischen Unterschiede auf den schlechten, durch restauratorische Maßnahmen verursachten Zustand der Blätter zurückzuführen sind. Zudem spreche das bei allen Blättern verwendete gleiche Papier für eine Entstehung des gesamten Zyklus‘ um 1826.(Anm. 37) Unabhängig vom konservatorischen Zustand der Blätter stellt sich allerdings die auch Frage, ob derartige Unterschiede nicht auch ihre werkimmanente Erklärung finden könnten. Hein Th. Schulze Altcappenberg hat für den Zyklus von 1803 geltend gemacht, dass die Haltung der Landschaften, die die einzelnen Jahreszeiten repräsentieren, „modal durchdekliniert“ seien: „Dazu gehören Zeichenstil und Farbauftrag; die von „Frühling“ zum „Winter“ zunehmend dunkler, schwerer und dichter, zugleich vom getüpfelten Flimmer über lineare Klarheit zum flächigen Lavis, vom Kühlen über das Warme zum Kalten tendierende Zeichentechnik und Farbmischung.“ (Anm. 38) Eine ähnliche modale Abfolge bzw. Entwicklung ist auch beim Hamburger Zyklus zu beobachten, auch hier wird die Farbhaltung beim hellen Frühling beginnend bis zum Tod zunehmend dunkler, das Meer als Metapher der Schöpfung wird genauso wie die transzendenten Engel in Anbetung von Licht überstrahlt. Ohne diese Fragen an dieser Stelle abschließend klären zu können, hat die von Börsch-Supan angenommene unterschiedliche Entstehungszeit – 1826 und 1834 – für die Hamburger Sepien wenig Wahrscheinlichkeit.

Peter Prange

1 Zur Deutung des Zyklus‘, die an dieser Stelle nicht zur Diskussion steht, sei verwiesen auf Börsch-Supan 1973, S. 402-403, Nr. 338-344, und S. 449-451, Nr. 428-434; Rautmann 1976, passim, und Busch 1995, S. 25-29.
2 Platte 1961, passim.
3 Verzeichniss 1826, Nr. 664.
4 Anonym 1826, S. 359.
5 Anonym 1826, S. 1051.
6 Böttiger 1826, S. 66. Ebenfalls noch erwähnt wird der Zyklus im Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Moden 41, 1826, S. 612: „[…] der in Sepia getuschten landschaftlichen Skizzen, wodurch der Professor Friedrich den Cyclus des menschlichen Lebens bildlich darzustellen versuchte.“
7 Lilli Martius: Die schleswig-holsteinische Malerei im 19. Jahrhundert, Neumünster 1956, S. 193.
8 Vgl. Sumowski 1970, S. 149.
9 Vgl. C. G. Boerner, Leipzig, Auktion 195, 27.11.1935, S. 7, Nr. 80-84, Taf. 39.
10 Frühling, Bleistift, Pinsel in Braun, 192 x 275 mm, Inv. Nr. 134-2006; Herbst, Bleistift, Pinsel in Braun, 191 x 275 mm, Inv. Nr. FV 79; Winter, Bleistift, Pinsel in Braun, 193 x 276 mm, Inv. Nr. 135-2006, alle Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett. Sommer, Bleistift, Pinsel in Braun, 195 x 275 mm, Standort unbekannt, vgl. Grummt 2011, S. 365-369, Nr. 365-368, Abb.
11 Vgl. Brief Runges an seinen Bruder Daniel vom 6. April 1803, vgl. Philipp Otto Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. II, Hamburg 1841, S. 208.
12 Das Datum wird auch durch Friedrichs Tagebucheintrag von 1803, den Sumowski 1970, S. 142, erstmals auf den „Frühling“ bezog. Vgl. Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, hrsg. von Sigrid Hinz, Berlin 1984, S. 83.
13 „[…] einen Zyklus von vier Landschaften, reich an poetischer Erfindung, worin er die vier Tages= und Jahreszeiten, so wie die vier Perioden des menschlichen Lebens vom Kinde bis zur Auflösung im Alter durch eingeflochtene Staffage, so wie durch die ganze Haltung der Landschaften, höchst genialisch bezeichnete.“ Vgl. Journal des Luxus und der Moden 22, April 1807, S. 270. Grummt 2011, S. 811, Nr. 897 verweist irrtümlich bei Inv.-Nr.41117 in der Literatur auf diesen Artikel.
14 Börsch-Supan 1973, S. 294, Nr. 153-156.
15 Prybram-Gladona 1942, S. 115.
16 Börsch-Supan 2006, S. 37, Anm. 12.
17 Börsch-Supan 1973, S. 403, Nr. 342.
18 Sumowski 1970, S. 150.
19 Sumowski 1990, S. 47.
20 Eine ähnliche Funktion nimmt für die Engel in Anbetung ein Blatt in Mannheim ein: Engel in Anbetung, Bleistift, schwarze Kreide, 256 x 326 mm, Kunsthalle Mannheim, Inv. Nr. G 442, vgl. Grummt 2011, S. 774-775, Nr. 849, Abb. Die Maße der Darstellung stimmen mit dem Hamburger Blatt überein. Für Auskünfte danke ich Thomas Köllhofer, Mannheim.
21 Hein-Th. Schulze Altcappenberg 2006, S. 17-19. Börsch-Supan 2006, S. 27, bezieht Schuberts Interpretation weiterhin auf einen zweiten, um 1807 zu datierenden Zyklus.
22 Schmitt 1944, S. 17.
23 In der Strenge der Auffassung ähnelt es dem Dresdener Gemälde „Bäume und Sträucher im Schnee“, das 1828 auf der Leipziger Ostermesse ausgestellt worden war: Bäume und Sträucher im Schnee, Öl/Lw, 31 x 25,5 cm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie, Inv. Nr. 2197 G, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 412, Nr. 359, Abb.
24 Grummt 2011, S. 810.
25 Sumowski 1970, S. 150.
26 Grummt 2011, S. 368-369, Nr. 368, Abb.
27 Hinz 1966, Bd. 1, S. 39, Anm. 3.
28 Der Sommer, Öl/Lw, 71,4 x 103,6 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Inv. Nr. 9702, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 299, Nr. 164, Abb.; Der Winter, Öl/Lw, 73 x 106 cm, ehemals München, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Inv. Nr. 9675, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 299-300, Nr. 165
29 Die drei anderen Blätter datiert Hinz unterschiedlich: Tropfsteinhöhle bzw. Tod (41117): um 1803; Meer (41120): um 1801/05; Engel in Anbetung (41116): um 1810/20.
30 Sumowski 1970, S. 232.
31 Börsch-Supan 1973, S. 402.
32 Zitiert nach Sumowski 1970, S. 232.
33 Prybram-Gladona 1942, S. 115.
34 Zitiert nach Sumowski 1970, S. 232.
35 Die von d’Angers nicht erwähnte „Meeresdarstellung“ und der „Winter“, die im Vergleich mit dem Hamburger Zyklus fehlen, könnten allerdings auch erst nach seinem Besuch in Friedrichs Atelier ausgeführt worden sein.
36 Börsch-Supan 1973, S. 402.
37 Eckhard Schaar: in: Friedrich 1974, S. 275.
38 Schulze Altcappenberg 2006, S. 21.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Braun über Bleistift 187mm x 265mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 41120 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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