Raffaello Sanzio Morghen, Stecher
nach Stefano Tofanelli, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler
Giovanni Volpato, Verleger

Die Messe von Bolsena, um 1783

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 7

Die Messe von Bolsena war 1512 als zweites Bild der Stanza di Eliodoro vollendet worden. Trotz seiner inhaltlichen Bedeutung und der zum Teil herausragenden Figurendarstellungen (Anm. 1) – man beachte etwa unten rechts die ausdrucksstarken Mitglieder der kurz zuvor begründeten Schweizergarde – wurde es auffallend selten und qualitativ nicht überzeugend reproduziert. (Anm. 2) Gerade die um 1755 entstandene Reproduktion von Paolo Fidanza stieß auf Kritik. (Anm. 3) Erst um 1783 lag mit Raphael Morghens Interpretation ein qualitätvoller Druck vor, der die Vorstellung von diesem Wandbild auf lange Zeit prägen sollte.

Morghen hatte bereits in den frühen 1780er Jahren Reproduktionen zweier Gewölbetondi (Inv.-Nr. 3152r1 bis r4) und der drei Kardinaltugenden aus der Stanza della Segnatura vorgelegt (Inv.-Nr. 3152k). Die Ergebnisse hatten Volpato offenbar derart überzeugt, dass er seinem jungen Schwiegersohn mit der Messe von Bolsena eines der großen Wandbilder anvertraute. Dies erstaunt umso mehr, als Volpato bis dahin bereits sieben derartige Großformate erfolgreich vorgelegt hatte. (Anm. 4) Die Messe von Bolsena veranschaulicht eine Begebenheit aus dem Jahr 1263. Damals war ein böhmischer Priester aufgrund seiner Zweifel an der Verwandlung des Brotes in den Leib Christi nach Rom gepilgert. Auf dem Weg dorthin feierte er in Bolsena eine Messe, bei der die Hostie zu bluten begann. Sie zeigte stets das Kreuz, auch nachdem sie immer wieder abgetupft worden war. Dieses Wunder beseitigte alle Zweifel des Priesters.

Raffael hatte für die Darstellung dieser Begebenheit ein schwierig zu gestaltendes Wandfeld vorgefunden. Er entwarf einen Treppensockel, der das bereits vorhandene Fenster geschickt in die Komposition Integrierte. (Anm. 5) Auf dem Sockel konnte Raffael dann den Altar mittig anordnen, wodurch das Bildthema den ihm angemessenen zentralen Platz erhielt. Links sieht man den Priester mit Assistenten und über das Wunder staunenden Menschen. Rechts vom Altar ist der betende, bei dem Ereignis gar nicht anwesende Julius II. eher als Privatmensch ohne Tiara zu erkennen. Der als Hostienverehrer bekannte Papst hatte offenbar auf seine Präsenz in diesem Fresko gedrängt. So konnte er – wenn auch nur fiktiv – bei diesem kirchengeschichtlich bedeutenden Ereignis teilnehmen. Die Messe von Bolsena gab nämlich den entscheidenden Anstoß für die bereits 1264 erfolgte Einsetzung des Fronleichnamsfestes.

Morghen reproduzierte Raffaels Komposition mit großer Könnerschaft und rechtfertigte damit vollends das von Volpato in ihn gesetzte Vertrauen. Seine Wiedergabe überzeugt durch Klarheit, harmonische Ausgewogenheit der Hell-Dunkelzonen und Detailgenauigkeit. Morghen pflegte eine Mischtechnik aus Radierung und Kupferstich, bei deren spezieller Anwendung er sicherlich von Volpato beeinflusst wurde. Als Vorlage diente ihm eine hervorragende Farbkopie, die Stefano Tofanelli 1778 vor Ort angefertigt hatte. (Anm. 6)

Bereits nach wenigen Abzügen war in der Platte ein Sprung aufgetreten, doch gelang es Morghen zum Erstaunen der Fachleute diesen Lapsus nahezu unsichtbar zu machen. Die Wiedergabe der Messe von Bolsena fand stets große Zustimmung. Morghens Schüler und Biograph Palmerini hielt sie sogar den Arbeiten Volpatos für überlegen (Anm. 7) Ein direkter Vergleich der Reproduktionen beider Künstler zeigt, dass Morghens Graphik in ihrer starren Regelmäßigkeit etwas härter und kälter wirkt. Dies mag dem Stilempfinden des Klassizismus mehr entsprochen haben als Volpatos etwas weichere und wärmere Auffassung.

Unabhängig davon bedeutet die Tätigkeit Raphael Morghens für Volpato eine Zäsur in der Geschichte der Reproduktionsgraphik nach Raffael. Denn mit dieser und weiteren Graphiken avancierte Morghen zu einem der herausragenden Vermittler der Kunst Raffaels überhaupt (vgl. Inv.-Nr. 2021-6, 3142, 50036, 50039, 50040).
David Klemm

LIT (Auswahl): Palmerini 1824, S. 136, Nr. 63; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi
Valenti Rodinò 1985, S. 48, Nr. II.2; Höper 2001, S. 400–401, Nr. F 9.1 (mit älterer Lit.); Ausst.-Kat. Brescia 2020, S. 140, Nr. 45

1 Vasari lobt ausdrücklich die Qualität der variantenreichen Figuren; vgl. Vasari/ Gründler 2004, S. 48–50.
2 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 48; Höper 2001, S. 400–402.
3 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 48.
4 Palmerini 1824, S. 12.
5 Buck/Hohenstatt 2013, S. 74. Vasari betonte, dass die Qualität des Freskos erst durch diese Schwierigkeit hervorgerufen wurde; vgl. Vasari/Gründler 2004, S. 49–50.
6 Vgl. Yarker 2016, S. 277, Abb.
7 Palmerini 1824, S. 13.

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung 518mm x 742mm (Bild) 575mm x 760mm (Platte) 622mm x 830mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 40457 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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