Rembrandt Harmensz. van Rijn

Die Heimkehr des verlorenen Sohnes (Lukas 15, 20-22), 1636

Mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn macht Christus anschaulich, dass Gerechtigkeit sich nicht berechnen lässt. Denn dieser Sohn verlangt vom Vater sein Erbe und verlässt das Elternhaus. Er lebt in der Fremde und unterhält keine Verbindung zum Vater. Damit ist er für diesen „verloren“. Er vergeudet sein Erbe und gerät ins Elend. Schließlich muss er Schweine hüten und sich mit ihnen die Nahrung teilen. Da besinnt er sich auf seinen reichen Vater und kehrt zu ihm zurück – nicht um wieder das alte verschwenderische Leben aufzunehmen, sondern um bescheiden beim Vater als Knecht zu arbeiten. Der Vater empfängt ihn hocherfreut und lässt sofort ein großes Festmahl richten. Das missfällt dem anderen Sohn, der beim Vater geblieben war und sich stets an seine Gebote gehalten hatte.

Rembrandt zeigt den Höhepunkt dieser Geschichte. Der Vater tritt aus seinem Haus und hat eine Stufe genommen. Der Sohn ist aus der offenen Landschaft der weiten Welt, die man links sieht, gekommen und die Stufen der Treppe zum Elternhaus emporgestiegen. Er erscheint ganz verwahrlost, mit langem ungepflegtem Haar, bekleidet nur mit einem Tuch, das er um die Hüfte geschlungen hat. Seinen einfachen Wanderstab hat er abgelegt, denn er ist auf die Knie gefallen, um seinen Vater zu begrüßen und sich ihm anzuvertrauen, ohne etwas zu fordern. Der Vater stürzt mit einem großen Schritt auf ihn zu. Er beugt sich über ihn – um den Sohn zu umarmen, aber auch weil er ein alter und gebeugter Mann ist. Er fasst ihn zart am Unterarm und um die Schulter, um zu zeigen, dass er wieder aufstehen darf und von ihm angenommen ist. Die Gesichter beider kommen sich ganz nahe – das wilde und elende Gesicht des Sohnes und das des kummervoll und zugleich liebevoll blickenden Vaters. Rembrandt hat diese Begegnung ganz in die Mitte des Bildes vor das Gebäude gesetzt. Darüber öffnet sich ein Fenster, aus dem eine Frau – vielleicht ist es die Mutter – neugierig herausschaut. Hinter dem Vater treten zwei Gestalten aus der Türöffnung des Hauses, aus dem der Vater eben kam. Der vordere Mann trägt Kleider und Schuhe, die der Vater befohlen hat, für den verlorenen Sohn zu bringen. Und dahinter erscheint ein Gesicht mit einem hohen Hut. Das muss der Bruder sein, der die Bevorzugung des anderen zunächst nicht verstehen kann, aber dann vom Vater lernt, sich mitzufreuen: „...denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“

Thomas Gädeke

Details zu diesem Werk

Radierung 156mm x 136mm (Platte) 170mm x 147mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34602 Sammlung: KK Druckgraphik, Niederlande, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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