Julius Caesar Thaeter (auch: Thäter), Kupferstecher
nach Anonym (19. Jahrhundert), Fotograf
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Zeichner, Erfinder
Ernst Arnold, Drucker

Die Predigt des Paulus in Athen, 1862

Im Jahr 1862 vollendete Julius Thaeter eine großformatige Reproduktion nach einem der von Raffael entworfenen Teppich-Kartons. Es handelt sich um die Predigt des Paulus in Athen, von der in der Apostelgeschichte ausführlich berichtet wird (Apostelgeschichte 17, 16–34). Paulus hatte dort sehr zu seinem Widerwillen zahlreiche Bilder heidnischer Götter erblickt und daraufhin intensiv mit den Bewohnern der Stadt diskutiert. Raffael wählte aus der anschaulichen Schilderung des Neuen Testaments eine Begebenheit, in der Paulus auf dem Areopag, dem höchsten Gerichtshof Athens, predigt. Selten ist die Macht der Rede so anschaulich dargestellt worden. Der Apostel steht leicht erhöht mit erhobenen Armen vor einer Gruppe von Menschen, von denen einige aufmerksam und gebannt zuhören, während andere bereits intensiv über die gerade vernommenen Worte diskutieren. Die Versammlung findet in einem antikischen Architekturensemble mit einem Rundtempel statt.
Raffaels gleichermaßen ausgewogene wie spannungsvolle Komposition hatte bereits durch einen Kupferstich Marcantonio Raimondis weite Verbreitung gefunden. Dieser hatte auf eine verlorene Zeichnung Raffaels zurückgegriffen. (Anm. 1) Die lange Zeit gültige Wiedergabe schuf dann 1719 Nicolas Dorigny im Rahmen seiner Teppich-Serie, wobei er sich am Karton in Hampton Court orientierte (vgl. Inv.-Nr. 2000-63). (Anm. 2) Diese Reproduktion war atmosphärisch reich, aber aufgrund der gewählten Radiertechnik nicht in jedem Detail exakt. Im 19. Jahrhundert musste dieser Sachstand geradezu eine neue Wiedergabe herausfordern. Es war der umtriebige Dresdner Verleger Ernst Arnold, der Mitte der 1850er Jahre die Idee für eine neue Edition der Teppichkartons entwickelte, für die er Julius Caesar Thaeter als Stecher gewinnen konnte. Dieser war damals einer der renommiertesten Reproduktionsgraphiker Deutschlands, der etwa mit großformatigen Wiedergaben von Wandbildern Wilhelm von Kaulbachs hervorgetreten war. (Anm. 3) Thaeter galt als ein klassischer Vertreter des Kartonstichs und stand damit für die offenbar von Arnold gewünschte klare Linienführung und Detailgenauigkeit.
Thaeter widmete sich erst ab 1859 der Aufgabe, die dadurch sehr erschwert war, da er nicht selbst nach England reisen konnte. Daher erhielt er von Arnold einige kurz zuvor in Hampton Court wohl von Charles Thurston Thompson angefertigte Fotografien, darunter auch Details einiger Köpfe, als Arbeitsgrundlage ausgehändigt. ( Anm. 4) Bei diesem Vorgang handelt es sich wohl um eines der ersten dokumentierten Beispiele für den Einsatz der Fotografie bei der Herstellung einer Reproduktionsgraphik, womit sich eine folgenreiche Zäsur ankündigt. Allerdings waren die Fotografien aufgrund der eher weichen Wiedergabe und der fehlenden Kontraste für Thaeter nur begrenzt nützlich. Daher studierte der Graphiker zusätzlich in Dresden intensiv den dort vorhandenen, nach dem Karton in Hampton Court gewebten Teppich mit der Paulus-Predigt. Auf diese Weise gewann er Klarheit über einige wesentliche Details der Komposition. Bedenkt man diese schwierige Ausgangslage, so überrascht Thaeters Kupferstich mit einer großen Detailgenauigkeit. Die Komposition wirkt sehr harmonisch und ausgewogen, was wohl auch daran liegt, dass der Graphiker sie von der Hauptfigur des Paulus ausgehend ausgearbeitet hat. (Anm. 5)
Als 1862 diese auf besondere Weise entstandene Reproduktion vollendet war, zögerte Arnold mit ihrer Herausgabe. Der Verleger wollte zunächst eine Regelung des Copyrights abwarten, da er befürchtete, Thaeters Werk könnte sogleich fotomechanisch vervielfältigt werden – dies hätte ihn um Einnahmen gebracht. (Anm. 6) Da aber keine für Arnold akzeptable Lösung in Sicht kam, gelangten offenbar nur sehr wenige Drucke von Thaeters Paulus predigt in Athen auf den Kunstmarkt. (Anm. 7) Dieser Kupferstich zählt daher zu den großen Raritäten im Bereich der Reproduktionsgraphik nach Raffael.
David Klemm

LIT (Auswahl): Jacoby 1937, S. 72, Nr. 46 I

1 Höper 2001, S. 491, Nr. H 10.1.
2 Ebd., S. 495, Nr. H 11.8.
3 Zu Leben und Werk Thaeters immer noch grundlegend Jacoby 1937.
4 Jacoby 1937, S. 34; möglicherweise befand sich darunter auch eine bei Weigel 1865, S. 574, Nr. 6800 angegebene Fotografie von Thurston Thompson mit der Predigt des Paulus in Athen.
5 Ebd., S. 35.
6 Ebd., S. 34; vgl. auch den Brief v. 7.1.1863 von Thaeter an Carl Julius Milde in: Thaeter o. J., S. 159
7 Die Hamburger Kunsthalle besitzt zudem mehrere Probedrucke; vgl. Inv.-Nr: 34451–34454.

Abgekürzt zitierte Literatur:
Höper 2001
Corinna Höper, in Zusammenarbeit mit Wolfgang Brückle und Udo Felbinger: Raffael und die Folgen. Das Kunstwerk in Zeitaltern seiner graphischen Reproduzierbarkeit, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 2001Hamburger Kunsthalle 1989

Jacoby 1937
Annemarie Jacoby: I. C. Thaeter. Ein Beitrag zum Reproduktionsstich des 19. Jahrhunderts, Universitäts-Dissertation Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bleicherode 1937

Thaeter o. J.
Julius Thaeter. Das Lebensbild eines deutschen Kupferstechers. Zusammengestellt aus schriftlichem Nachlaß von Anna Thaeter, Neukirchen o. J

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung 370mm x 475mm (Bild) 460mm x 602mm (Platte) 553mm x 760mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34451 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback