Philipp Otto Runge

Aurora (zum Gemälde "Der große Morgen"; Durchzeichnung auf Transparentpapier), 1809

Im Gegensatz zu dem für den „Kleinen Morgen“ angewendeten Punktierverfahren zur Übertragung der Komposition auf die Leinwand fertigte Runge für den „Großen Morgen“ Pausen auf ölgetränkten Papieren von seinen Zeichnungen an, mit deren Hilfe er die Komposition auf die Leinwand übertrug. Laut Traeger könnte Runge das Verfahren durch Tischbein vermittelt worden sein (Anm. 1), der es bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Rom angewendet hatte (Anm. 2). Tischbein hatte allerdings Pausen angefertigt, um eine Komposition für sich zu „bewahren“, während für Runge Pausen keine Selbstkopien sondern in den Arbeitsprozess integrierte Instrumente zur Übertragung waren. Insofern muss fraglich bleiben, ob Tischbein wirklich Runge zu dem Verfahren angeregt hat, zumal für ihn Paus- und Durchzeichnungsverfahren, die als reine Linienkunst und ihrer das Einzelmotiv isolierenden Tendenz zur Schablone dem Scherenschnitt und der Umrisszeichnung nahestehen, schon früh eine große Bedeutung hatten, wie bereits in Hamburg entstandene Pausen nach Kupferstichen belegen (Vgl. Inv. Nr. 1938-115 und 1938-122). Die Veranlassung zu diesem Verfahren dürfte eher „in der geradezu mathematischen Exaktheit [liegen], mit der Runge seine Blätter konstruierte“ (Anm. 3). Mit Hilfe der Pause ließen sich die konstruierten Zeichnungen in ihren Umrissen exakt duplizieren; die Pause diente Runge weniger zur Übertragung von Einzelheiten sondern um die Position der Figuren auf der Leinwand festzulegen (Anm. 4).
Runge verwendete dazu nicht die um 1800 bereits verbreiteten Transparentpapiere, sondern ölgetränkte, geschöpfte Büttenpapiere, deren Kettenlinien noch sichtbar sind. Runge ölte die Papiere ein, die dadurch transparent wurden, um sie auf die durchscheinende Originalzeichnung legen und abzeichnen zu können. Die Pause fertigte Runge als Bleistiftzeichnung an, während er in einem zweiten Schritt diese durchgriffelte. Das Blatt nahm in einem ersten Schritt zunächst das Motiv von der Vorlage durch die Bleistiftzeichnung auf, gab es in der Durchgriffelung in einem zweiten Schritt auf einen anderen Träger weiter. Das Blatt beinhaltet also zwei Funktionen, die Trempler als „gebend“ und „nehmend“ bezeichnet hat (Anm. 5). Im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle sind insgesamt neun dieser vorhanden; vier beziehen sich auf Binnenbild (Inv. Nr. 34309-34311; 34313) und fünf auf die Rahmenkomposition (Inv. Nr. 34305-34308; 34312).
Traeger hatte vermutet, dass Inv. Nr. 34191 die Vorlage für die Pause auf Ölpapier bildete, doch weichen beide Darstellungen in den Maßen und Proportionen der Aurora so stark voneinander ab, dass ausgeschlossen ist, Inv. Nr. 34191 sei der Karton (vgl. auch Inv. Nr. 34191). Möglicherweise diente die Pause als Vorlage für die von Daniel erwähnte, heute verschollene Ölstudie „die Venus allein“ (Anm. 6), doch ist eine eindeutige Einordnung aufgrund der wohl nicht vollständigen Überlieferung der im Arbeitsprozess verwendeten Zeichnungen nicht möglich. In diesem Zusammenhang ist auch Traegers Anmerkung, „die Seitenverkehrung erklärt sich aus einem von der Rückseite des Ölpapiers her bewerkstelligten Durchdruck“ (Anm. 7), unverständlich, denn die Seitenverkehrung rührt nicht von einem Druckverfahren her – dieses wäre bei einer Pause auf Transparentpapier auch unnötig -, sondern ist in der Tatsache einer seitenverkehrten Montierung begründet. Bis auf die Blätter Inv. Nr. 34313 und Inv. Nr. 34311, das im Rahmen der Vorbereitungen zur Runge-Ausstellung 2010 neu aufgelegt wurde, sind die beiden anderen Zeichnungen auf Ölpapier seitenverkehrt montiert worden.

Peter Prange

1 Traeger 1975, S. 465.
2 Vgl. dazu Kurt Karl Eberlein: Goethe und die bildende Kunst der Romantik, in: Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft 14, 1928, S.16.
3 Vgl. Jörg Trempler: Eine Runge-Zeichnung in Schinkels Händen? Berührungspunkte zwischen Karl Friedrich Schinkel und Philipp Otto Runge, in: Kosmos Runge. Das Hamburger Symposium, hrsg. von Markus Bertsch, Hubertus Gaßner und Jenns Howoldt, München 2013, S. 315.
4 Vgl. Traeger 1975, S. 432, Nr. 411, analog zum Punktierverfahren.
5 Trempler 2013, S. 316.
6 Vgl. HS I, S. 235.
7 Traeger 1975, S. 466, Nr. 496 a.

Details zu diesem Werk

Abdruck auf gelbbraunem Ölpapier; fest montiert 505mm x 340mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34309 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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