Philipp Otto Runge

Geometrische Figur zur "Farbenkugel", Figur 1

Runge war am 19. April 1808 zum Ehrenmitglied der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg ernannt worden; als Beweis seiner „Achtung der Gesellschaft“ überreichte er im Frühjahr 1809 als Manuskript „die Farbenkugel, mit der Erklärung oder Construction derselben“ (Anm. 1). Laut Daniel waren Runges Schreiben „ein Globus und zwey hölzerne Scheiben, mit seinem Farbenschema in Oel übermahlt“ (Anm. 2), beigefügt. Das 1809 überreichte Manuskript entsprach im Wesentlichen einer gedruckten Quartausgabe, die 1810 im Verlag Friedrich Perthes erschienen war (Anm. 3). In dem Vorbericht heißt es dort, dass die in dem Büchlein vorgestellten Figuren, „welche die Construction des Kuegelverhältnisses anschaulich machen sollen, […] mit der Kugel selbst [endigen], welche, colorirt, nach zwey perspectivischen Aufrissen, und zwey Durchschnitten, auf der Kupfertafel dargestellt ist.“ (Anm. 4) Runge stellte die Konstruktion einer „würklichen Kugel“ und verschiedene Kugelabschnitte vor, auf denen „die Farben in ihren Mischungen und Nuancen nach dieser Construction aufgetragen würden.“ (Anm. 5)
Runges „Farbenkugel“ ist das Ergebnis längerer farbtheoretischer Untersuchungen, die spätestens 1802/03 in der Entwurfsphase zu den „Zeiten“ einsetzten (Anm. 6). Um 1806 wurden sie Hauptbestandteil von Runges Schaffen – auch theoretisch, als er Goethe in einem Brief die Grundzüge seiner Farbenlehre erörterte (Anm. 7), doch erst die Ehrenmitgliedschaft in der Patriotischen Gesellschaft scheint Runge den konkreten Anlass gegeben zu haben, seine Überlegungen niederzulegen. Am 22. November 1808 äußert er gegenüber seinem Bruder Gustav, dass er seiner Familie schon immer „die simple Erklärung zu der Kugel“ habe schicken wollen; „es ist aber nichts schwerer, als etwas klar und verständlich für jedermann zu schreiben, was man bloß in sich hat und was so weit greift. Ich hoffe aber doch bald so weit zu seyn, daß ich euch etwas schicke; überdem ist dieses auch kein Kunstproduct, sondern eine mathematische Figur von einigen philosophischen Reflexionen, wie D. mir sagt, und da ist es nöthig, daß ich selbst, wenn ich bey meinen eigentlichen Arbeiten als Künstler bin, nichts davon wisse, weil das so zwey verschiedene Welten sind, die sich in mir durchkreuzen.“ (Anm. 8)
Runges Farbenlehre stellt den Versuch dar, aus der Praxis als Künstler eine Wissenschaft der Malerei herzuleiten und zu begründen. Seine analytische Sprache soll den Leser befähigen, seine aus Versuchsreihen und Experimenten gewonnenen Gesetzmäßigkeiten über die Farbe nachzuvollziehen. Runge hat seiner Abhandlung acht geometrische Figuren beigefügt, deren Vorzeichnungen sich in der Kunsthalle befinden (Inv. Nr. 34297-34304). „Diese gezeichneten und teilweise handkolorierten Diagramme sind nicht illustrierendes Beiwerk, sondern lassen – als Bilder – ein visuelles Denken ansichtig und nachvollziehbar werden. So wird diese Farbenlehre […] eine Theoria (Anschauung) darüber, was man mit Farben im Bild erreichen kann, wie man in einem Bild mit Farbe kommuniziert.“ (Anm. 9)
Die erste Figur zeigt ein gleichschenkeliges Dreieck, dessen Eckpunkte mit den Großbuchstaben „B“, „G“ und „R“ bezeichnet sind, die die drei Primärfarben Blau, Gelb und Rot vorstellen: „Wenn wir uns nun die drey Farben, Blau, Gelb, Roth, eine jede in ihrem völlig reinen Zustande vorstellen; so verlangen wir, daß das Blaue weder von Gelb noch von Roth den geringsten Zusatz habe; so wie von dem Gelben, daß es nicht im mindesten weder in's Blaue noch in's Rothe spiele; auch von dem Rothen, daß es weder gelblich noch bläulich schillere. Da nun vielleicht kein vorhandenes Farbenmateriale in der gesetzten völligen Abwesenheit von aller Beymischung da ist; wenigstens aber es der Theorie zukömmt, wenn wir in den vorhandenen Farben noch eine Mischung und Mehrheit erkennen, von solcher zu abstrahiren, und jedes reine Element als eine absolute Einheit anzunehmen, so beweisen diese so gesetzten ganz mischungsfreyen Farbenpuncte eine Analogie mit dem dimensionslosen mathematischen Puncte. Und da die Qualität einer jeden der drey Farben völlig individuell, und gesondert von jeder Qualität der beiden andern ist, ich also die Differenz derselben in gleicher Größe setze, so formiren die drey Puncte: Blau, Gelb, Roth, wenn ich die gleiche Differenz durch gleiche Linien ausdrücke, ein gleichseitiges Dreieck, als den (nicht unbekannten) figürlichen Ausdruck für das Verhältniß unter diesen drey reinen Naturkräften.“ (Anm. 10) Die reinen Farben Blau, Gelb und Rot, die nicht aus Mischungen entstehen, werden als gleichlange Linien dargestellt, die in ihrem Wert untereinander gleichen, was Runge durch die geometrische Figur des gleichschenkeligen Dreiecks darstellt.

Peter Prange

1 Vgl. HS I, S. 128-129.
2 HS I, S. 129.
3 Farbenkugel oder Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zu einander und ihrer vollständigen Affinität; mit angehängtem Versuch einer Ableitung der Harmonie in den Zusammenstellungen der Farben. Von Philipp Otto Runge, Mahler, Hamburg 1810.
4 Vgl. HS I, S. 112.
5 HS I, S. 113.
6 Vgl. Traeger 1975, S. 58.
7 Brief vom 3. Juli 1806 an Goethe, vgl. HS I, S. 88-98.
8 Brief vom 22. November 1808 an Gustav, vgl. HS II, S. 372.
9 Lange, in: Runge 2010, S. 208.
10 Runge 1810, § 8, vgl. auch HS I, S.115-116.

Details zu diesem Werk

Bleistift, Feder in Schwarz, auf festem grünlichem Papier 52mm x 60mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34297 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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