Philipp Otto Runge

Studienblatt mit Putten und einem alten Mann, 1809

Die Motive des beidseitig benutzten Blattes mit verschiedenen Figuren- und Tierstudien legen eine Datierung um 1809 nahe, die erstmals Schmidt vorgeschlagen hatte. Die Studie eines Schwans in der Mitte könnte mit einer von Runge in der ersten Jahreshälfte 1809 ausgeführten Schiffsdekoration (vgl. Inv. Nr. 34259 und 1938-76) oder mit dem ebenfalls 1809 entstandenen Aquarell „Arions Meerfahrt“ (Anm. 1) (vgl. Inv. Nr. 1938-37) in Zusammenhang stehen. Pauli nahm an, dass der rechts sitzende Junge ebenfalls in Beziehung zu dem Aquarell steht, doch hat Traeger darauf hingewiesen, dass beide Knaben den Genien aus der „Nacht“ der Tageszeitenfolge (vgl. Inv. Nr. 34182) ähneln, weshalb er sie für weiterentwickelte Studien für die malerische Ausführung der „Nacht“ hält. Auch wenn hierüber nicht letzte Sicherheit zu gewinnen ist, dürften die motivischen Ähnlichkeiten zwischen den Genien der „Nacht“ und den beiden Knaben für Traegers Annahme sprechen. Die von einander nicht nur motivisch sondern vielleicht auch zeitlich unabhängigen Motive zeigen einmal mehr Runges bereits in der Frühzeit angewendetes Verfahren, einzelne Motive aus ihrem Gesamtzusammenhang herauszulösen und gegebenenfalls neu zu kombinieren. Auch die Skizze der sich in einem Stuhl (?) sitzenden Kleinkind zuwendenden Frau rechts oben zeigt diese Methode genauso wie die Studie eines bärtigen Mannes über dem Schwan. Die Studie der Frau mit dem Kleinkind hat ihr Pendent offensichtlich auf der Rückseite, wo ein Kleinkind in einem Kinderstuhl an einem Tisch sitzt. Isermayer und mit ihm Schümann (Anm. 2) vermuteten einen Zusammenhang mit Runges Bildnis seines in einem Klappstuhl sitzenden Sohnes Otto Sigismund (Anm. 3) von 1805, doch könnte diese Annahme nur für die Darstellung auf der Vorderseite zutreffend sein, denn auf der Rückseite dürfte es sich eher um ein Mädchen handeln. Möglicherweise handelt es sich um die Mitte 1807 geborene Tochter Maria Dorothea, die Runge zusammen mit ihrem Bruder Otto Sigismund 1808 oder 1809 gemalt hatte (Anm. 4).
Den Kopf eines bärtigen Mannes und den Rinderkopf dahinter bezog Isermayer auf die Figur des Judas und Stier des Lukas am Schiffsbug in „Petrus auf dem Meer“ (Anm. 5). Träfe dies zu, darauf hat Traeger hingewiesen, wäre weniger an eine Verbindung zum 1806/07 für die Kapelle in Vitt auf Rügen ausgeführtem Gemälde (vgl. Inv. Nr. 34158), sondern eher an den 1810 aus Altona ergangenen Auftrag zur erneuten Behandlung des Themas zu denken (Anm. 6). Eine solche Annahme muss hypothetisch bleiben, da das Altonaer Gemälde nicht ausgeführt wurde, doch sind die Übereinstimmungen mit dem Judas auf dem Petrusgemälde nur allgemeiner Natur (vgl. Inv. Nr. 34162). Abgesehen von der fehlenden Kopfbedeckung steht seine Erregung im Gegensatz zur ruhigen, inneren Gefasstheit des Dargestellten auf dem Studienblatt, die eher einem Blatt mit zwölf Köpfen von Hardorff nähersteht (Anm. 7), bei dem es sich um Kopien nach italienischen Vorbildern handeln dürfte.
Unter der Federzeichnung liegt teilweise vor allem im Bereich der beiden Knaben noch eine Bleistiftvorzeichnung, die darauf hindeutet, dass Runge zuerst die Zeichnung der beiden Knaben angefertigt hat, und danach das Blatt mit den übrigen Federskizzen verschiedener Motive „aufgefüllt“ hat. Das Nebeneinander verschiedener, auch möglicherweise auf Runges Frühzeit zurückgehende Motive wie der nach rechts blickende Profilkopf links zwischen Knaben und Bärtigem, der an die Karikatur eines Zechprellers erinnert (vgl. Inv. Nr. 1938-125) (Anm. 8), beansprucht unter Runges Studienblättern einen besonderen Rang, denn es erscheint weniger spontan als vielmehr im Sinne einer „systematischen“ Komposition angelegt. Wie er Überschneidungen vermeidet, stattdessen durch die enge Verschränkung der Motive untereinander räumliche Tiefe schafft, lässt eine durchdachte Anlage vermuten. Sie lässt entfernt an ähnliche Gelegenheitsarbeiten denken wie sie von Carl Friedrich von Rumohr existieren. Um 1809 standen beide schon seit längerem in engerem Austausch, und auch eine künstlerische Verbindung bzw. Austausch zwischen beiden ist nicht ausgeschlossen.

Peter Prange

1 Arions Meerfahrt, Feder in Schwarz, Aquarell, 510 x 1187 mm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1027, vgl. Traeger 1975, S. 443-444, Nr. 443, Abb.
2 Schümann, in: Kat. Hamburg 1969, S. 279.
3 Bildnis Otto Sigismund, Öl/Lw, 40 x 35,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1003, vgl. Traeger 1975, S. 379-380, Nr. 331, Abb.
4 Bildnis Otto Sigismund und Maria Dorothea, Öl/Lw, 38,5 x 49,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1026, vgl. Traeger 1975, S. 439, Nr. 433, Abb.
5 Petrus auf dem Meer, Öl/Lw, 116 x 157 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1007, vgl. Traeger 1975, S.411-412, Nr. 369, Abb.
6 Vgl. HS I, S. 349.
7 Gerdt Hardorff, Studienblatt mit zwölf Köpfen, Feder in Braun, Maße ???, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 42934.
8 Vgl. Runge 1977, S. 84, Nr. 31.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun über Bleistift 210mm x 339mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34275 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Bildarchiv Hamburger Kunsthalle / bpk, CC-BY-NC-SA 4.0

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