Philipp Otto Runge, Konzeption, Zeichner
Erwin Speckter, Kopie, Zeichner

Entwurf für das Grabmal einer im Wochenbette verstorbenen jungen Frau, 1824

Daniel berichtet, dass im Sommer 1808 aus Leipzig der Wunsch kam, „eine Idee gezeichnet zu erhalten zu einem Grabmal in Sculptur, das einer 19jährigen, im zweiten Kindbette gestorbenen Frau gesetzt werden könne. Die Zeichnung dazu in Federumriß ist gegenwärtig im Besitz des Hrn. Mettlerkamp in Hamburg. Unten eine verzierte Nische, von Efeuranken umhangen, in welche sich Wurzeln verschlingen, die aus dem untern Theile eines darüberstehenden zwiebelförmigen Gefäßes hervorbringen, in und auf welchem Nasturtien=Blumen und Blätter liegen. Von diesen heraus grade in die Höhe geht ein Bündel von Lilienstengeln und Blättern, über welchen deren Knospen und aufgeblühte Blumen. Diese werden von einer vierckten Platte wie von einem Grabstein bedeckt und belastet, und auf dieser kniet ein Kind mit Psycheflügeln, beide Arme zum Gebet kreuzweise über die Brust gefaltet und nach oben hinaufsehend, die Haare sich wie eine spitzige Flamme über dem Haupt sich erhebend. Das Ganze baut sich ungefähr wie ein Candelaber, auf welchem dieses Haar die Kerzenflamme bildet. Viel zu kunstreich aber war es gedacht und geformt, um damals und dort zur Ausführung kommen zu können.“ (Anm. 1) Daniels Beschreibung enthält zwei grundlegende Informationen: Erstens befand sich um 1840 Runges Originalentwurf im Besitz des Hamburger Sammlers und Mitbegründers des Hamburger Kunstvereins David Christopher Mettlerkamp, dessen Sammlung von Handzeichnungen zusammen mit Runges heute verschollenen Originalentwurf 1857 versteigert wurde (Anm. 2); zweitens wurde das Projekt nicht ausgeführt.
Das auf Transparentpapier ausgeführte Blatt der Kunsthalle trägt auf der rückseitigen Montierung von Daniels Hand die Beschriftung: „Nach einer Federzeichnung von Philipp Otto Runge von 1807-9 durchgezeichnet von Erw. Speckter und mir geschenkt von seiner lieben Frau“, weshalb es sich nicht um Runges Original handelt, sondern um eine Pause von Erwin Speckter, die er für Daniel anfertigt hatte. Das geht aus einem Brief Daniels an Runges Sohn Otto Sigismund vom 15. September 1824 hervor: „Erwin aber hat mir eine Bause nach dem Grab-Monument gemacht, das Mettlerkamp in einer Zeichnung von Deinem Vater hat; er muß es mir aber noch einmal machen, daß ich Dir eines davon schicken kann. Einen Knaben aber, der mit dabei ist, und von dem wir nicht wissen, ob er zu dem übrigen gehört oder für sich allein auch ein solches Maal vorstellen soll, habe ich selbst nachgekratzt und schicke Dir ihn hierbey. Sieh‘ ihn Dir recht an, liebster Siegmund! Diese inbrünstig himmelan strebende Gebet, diese Seele, die schon mit dem Blicke und allen Richtungen des Leibes oben ist, bekommst Du nicht wirklich Lust, diese für einen Bildhauer entworfene Zeichnung auszuführen, das könntest Du Dir zu einer recht großen ernsten Arbeit machen, um zu sehen, was Du in Hinsicht der Kenntniß der Theile und der Lieblichkeit der Bildung und Bewegung leisten könntest […].(Anm. 3) Ob Otto Sigismund Daniels Vorschlag nachkam, ist unbekannt; auf keinen Fall kann es sich dabei nicht um die Hamburger Pause handeln. Sie ist aus insgesamt drei Blättern Transparentpapier zusammengesetzt, von denen sich das obere Blatt mit dem Putto stilistisch unterscheidet. Bei ihm dürfte es sich um den von Daniel „nachgekratzten“ Putto handeln, von dem sich er sich im Herbst 1824 nicht sicher war, ob er zum Grabmals-Entwurf gehört. Dies lässt den Schluss zu, dass er erst nachträglich, nach dem Brief an Otto Sigismund, auf den Grabmals-Entwurf montiert worden ist, was auch die unbefriedigende Überlappung der Blätter erklärt. In seiner 1840 erschienenen Beschreibung hingegen lässt Daniel keinen Zweifel, dass der Putto zum Entwurf gehört (Anm. 4); zwischen September 1824 und vor 1840, als die „Hinterlassenen Schriften“ erschienen, muss Daniel die Blätter in der heutigen Montierung zusammengefügt haben.
Daniel erwähnt in dem Brief an Otto Sigismund außerdem, dass Speckter ihm noch eine Pause machen müsse, damit er – Daniel – Otto Sigismund eine Pause schicken könne. Eine weitere Pause befindet sich in Berlin (Anm. 5), von der Berefelt irrtümlich annahm, es handle sich um Runges Original (Anm. 6). Sie könnte identisch sein mit der zweiten, von Daniel angekündigten Pause Speckters, doch kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Pause von Otto Sigismund handelt. Auch wenn sich über den Zeichner Otto Sigismund Runge momentan kein klares Bild gewinnen lässt, könnte die reine Umrisszeichnung, die auf jede Angabe der Binnenzeichnung verzichtet, von ihm stammen, wofür auch die Herkunft aus Familienbesitz ein Indiz sein könnte. In jedem Fall ist die Berliner Pause zu einem Zeitpunkt entstanden, als Daniel noch nicht die drei Hamburger Blätter in der heutigen Reihenfolge montiert hatte, denn sonst wäre der Putto nicht links neben dem Blütenkelch, sondern auf ihm kniend dargestellt worden.
Eine erste Entwurfstätigkeit für das Grabmal ist auf der Rückseite von Inv. Nr. 34213 dokumentiert, auf der Runge links eine erste geometrische Konstruktion des zwiebelförmigen Gefäßes, der darauf liegenden Nasturtien-Blumen und der Lilienstengel wiedergibt. Anstatt der efeuberankten Nische sah Runge rechts in einem weiteren Entwurf für den Unterbau zunächst offensichtlich eine andere Lösung vor – ob es sich dabei um einen „zentralen Baukörper über Kreisgrundriß [handelt], der von zwei spitzbogig nach vorn sich öffnenden Konchen“ flankiert wird, wie Traeger annimmt (Anm. 7), ist zweifelhaft; eher handelt es sich um die Verbildlichung einer Pflanzenknolle mit sich ausbildenden Wurzeln, die links und rechts von gotischen Wimpergen mit Maßwerk begleitet werden. Der Entwurf greift Motive der gotischen Baukunst auf, die Runge im Gegensatz zur griechischen fortzusetzen als erstrebenswert erschien, wie er 1803 nach einem Besuch des Domes in Meißen begeistert mitteilte (Anm. 8). Auch der durch Speckter überlieferte Entwurf weist strukturelle Analogien zur gotischen Baukunst bzw. Bauplastik auf; nicht zu Unrecht hat Berefelt deshalb die um 1505 durch den Meister HW geschaffene „Tulpenkanzel“ im Dom zu Freiberg angesprochen (Anm. 9).
Es ist nicht bekannt, welche Familie aus Leipzig sich an Runge wegen des Entwurfs wandte; auch ist unbekannt, weshalb er nicht ausgeführt wurde. Traegers Vermutung, er sei wegen „technischer Schwierigkeiten“ nicht zur Ausführung gekommen, lässt Daniels Bericht allerdings nicht zu. Seine Wortwahl, der Entwurf sei „zu kunstreich […] gedacht und geformt“ (Anm. 10), könnte eher darauf hindeuten, dass es weniger technische als ästhetische Fragen waren, die die Ausführung verhindert haben.

Peter Prange

1 HS I, S. 242-243.
2 Das Blatt befand sich 1857 in Mettlerkamps Nachlass unter dem Titel „Verzierter Leuchter (?) Feder & Tusche H. 28, Br. 11 Z.“, vgl. Verzeichniss der vom Herrn Oberstlieutenant D. C. Mettlerkamp nachgelassenen vorzüglichen Sammlung von Original-Handzeichnungen, Auktion 30. September 1857 und folgende Tage, Christian Meyer, Hamburg 1857, S. 20, Nr. 285. Runges Original war als Feder- und Pinselzeichnung ausgeführt, die in Zoll angegebenen Maße entsprechen in etwa Speckters Kopien.
3 Wilhelm Feldmann: Philipp Otto Runge und die Seinen. Mit ungedruckten Briefen, Leipzig 1944, S. 114-115.
4 Vgl. Anm. 1.
5 Erwin Speckter (?), Entwurf für ein Grabmal, Bleistift auf Transparentpapier, 687 x 180 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 5, vgl. Traeger 1975, S. 417, Nr. 381/I, Abb.
6 Berefelt 1961, S. 88.
7 Traeger 1975, S. 469, Nr. 504 verso.
8 Brief vom 12. Juni 1803 an Dan iel, vgl. HS II, S. 220.
9 Berefelt 1961, S. 179, Anm. 4. Zu weiteren durch die „Tulpenkanzel“ angeregten Motiven bei Runge vgl. Carl Neumann: Drei merkwürdige künstlerische Anregungen bei Runge, Manet, Goya, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Abh. 4, Heidelberg 1916, S. 3-7.
10 Vgl. Anm. 1.

Details zu diesem Werk

Bleistift auf Transparentpapier, in drei Teilen aneinandergeklebt; fest montiert auf festem Papier 175mm x 138mm (Blatt) 160mm x 168mm (Blatt) 511mm x 204mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34272 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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