Philipp Otto Runge

Quelle und Dichter, 1805

Die Zeichnung gehört zu den von Daniel so genannten "componirten Landschaften", in denen Runge bestrebt war, "der Naturumgebung wo möglich dieselbe Bedeutung und Würde wie den Personen zu geben (und umgekehrt), ja sie so gut wie diese in Handlung zu setzen." (Anm. 1) Runge selbst hat deren Thema Ende März 1805 in einem Brief an Ludwig Tieck ausführlich beschrieben: „Ich habe neulich eine Landschaft componirt, worin sich dieses (das Verhältniß des Lichtes zu den Farben) deutlich ausspricht. Es ist eine Einsicht in einen jungen Buchenwald, hinter welchem die Sonne untergeht, so daß wie ein grün wogendes Licht in dem ganzen Baume webt. Ein Sänger ist in den Wald geeilt und wird ergriffen von dem tönenden Raum des Waldes; er faßt den Zweig einer Eiche, durch welche sich ein Kind mit der Leyer in den Wald geschwungen, um nachzueilen. Die Eiche ist der Vorgrund und ihre eckigen Zweige brechen aus dem Buchenwalde heraus, beleuchtet mit dem Sänger von dem kalten Lichte der blauen Luft. Auf der andern Seite unter einer Buche liegt eine Nymphe an der Quelle, in welcher sie mit den Fingern spielt; aus den Blasen schwimmen Kinder hervor und gleiten im Vorgrunde durch einen Bogen, den Schilf und Blumen über sie wölben, und in welchem zwey sich wiegen, zum Wasserfall, wo sie verschwinden; ergreifen im heruntergleiten noch eine Blumenranke, die sich dem Sänger um den Fuß schlingt, und ziehen ihn damit nach sich zurück. Das Ganze setzt sich auseinander in Luft und Wasser, kalte Fläche des Lichtes und warme Tiefe, in den schimmernden Reiz der Farbe und die Gestalt oder Blume, in Eiche und Buche, wie Mann und Weib, wie Himmel als das erleuchtende Licht der See und Erde, und die Antwort der Quelle.“ (Anm. 2)
Daniel zufolge plante Runge die Komposition ursprünglich als Gemälde, worauf auch Runges Formulierung „das Verhältniß des Lichtes zu den Farben“ deutet, das er auch ausgeführt hätte, „wenn die Zeichnung nicht zu lange in Pommern, wohin er sie gesandt hatte, geblieben wäre, worüber denn anderes eintrat.“ (Anm. 3) Runge hatte die Zeichnung in der ersten Maihälfte zusammen mit der Pinselzeichnung zur „Ruhe auf der Flucht“ (vgl. Inv. Nr. 34152) an Schildener in Greifswald geschickt (Anm. 4). In seinem Begleitschreiben an Schildener erläuterte Runge beide Zeichnungen als Pendants im Sinne von „Morgen“ und „Abend“, die er bald malen wolle: „Ich bin mit der zweyten derselben dieser Tage fertig geworden, und wollte sehr bald anfangen, diese beiden Entwürfe als Skizzen, d. h. ausgeführte, zu mahlen, um den ganzen Effect zu sehen und so den Gedanken deutlicher herauszuheben. Ich hatte im Anfange zwar nicht darauf gedacht, nun aber scheint es mir doch, als könnten es ein paar recht hübsche Gegenstücke werden von Morgen und Abend. Ueberdies liegt die Bedeutung des Abends (in der Quelle) in der Zusammen= und Gegeneinanderstellung der Farben; Es würde ein Abend des Abendlandes seyn, […].“(Anm. 5) Runge hatte Schildener gebeten, die Zeichnungen Quistorp zu zeigen und sie so bald wie möglich zurückzusenden.
Runge hatte das Motiv der „Quelle“ schon länger beschäftigt. In einem Brief an seinen Bruder hatte er bereits Ende 1802 die Idee zu einem „Die Quelle“ betitelten Gemälde entworfen: „Das Bild soll eine Quelle werden im weitesten Sinn des Wortes; auch die Quelle aller Bilder, die ich je machen werde, die Quelle der neuen Kunst, die ich meine, auch eine Quelle an und für sich.“ (Anm. 6) Eine Ausführung unterblieb, doch „haben sich die wesentlichen Gedanken daraus in die vier Tageszeiten aufgelöset“ und „von dem Ursprünglichen [blieb] immer noch etwas in dem Gemüthe des Künstlers nach, das sich wenigstens zum Theil“ (Anm. 7) in dem 1804 entstandenen, 1931 im Münchner Glaspalast verbrannten Gemälde „Die Mutter an der Quelle“ (Anm. 8) und in Inv. Nr. 34257 mitteilt.
Runges Zeichnung zu „Quelle und Dichter“ war offensichtlich – diesen Schluss lässt der eingangs zitierte Brief an Tieck zu – spätestens Ende März 1805 fertig. Daniel gab als Entstehungsjahr „1805“ an, doch deutet seine ursprüngliche Datierung „1804“, die er auf der Rückseite in „1805“ korrigierte, eine gewisse Unentschiedenheit an. Traeger hat deshalb vermutet, dass die Zeichnung zusammen mit den von Daniel überlieferten Versen bereits 1804 während der Arbeit an der „Mutter an der Quelle“ konzipiert worden sein könnte, weil die Verse deutlich den Bezug zwischen Quelle und Mutter herstellen (Anm. 9). Runges Mitteilung an Tieck, er habe „neulich eine Landschaft componirt“, spricht allerdings für eine unmittelbare vorausgehende Fertigstellung der Zeichnung Anfang 1805.
Nach Runges eigener Aussage sollte das Thema „Quelle der neuen Kunst“ sein, doch steht er in der Figurenauffassung des Barden und der Nymphe noch in klassizistischer Tradition, was insofern erstaunt, als Runge sich nach dem Mißerfolg bei den Weimarer Preisaufgaben endgültig vom Klassizismus abgewandt hatte. Auch in dem dichten Wald wirken ältere Tarditionen, etwa Carl Wilhelm Kolbes und Salomon Gessners, dessen Werke Runge bekannt waren (Anm. 10), nach.

Peter Prange

1 Vgl. HS I, S. 246.
2 Brief vom 29. März 1805 an Tieck, vgl. HS I, S. 245.
3 Vgl. HS I, S. 245.
4 Vgl. HS I, S. 247.
5 Brief vom 10. Mai 1805 an Schildener, vgl. HS I, S. 247.
6 Brief vom 27. November 1802 an Daniel, vgl. HS I, S. 19.
7 Vgl. HS I, S. 244.
8 Die Mutter an der Quelle, Öl/Lw, 62,5 x 78,1 cm, ehem. Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1010, vgl. Traeger 1975, S. 367-368, Nr. 298, Abb.
9 Traeger 1975, S. 386.
10 Brief vom 27. Januar 1802 an den Vater, vgl. HS II, S. 111.












Runge selbst hat das Thema in einem Brief an Ludwig Tieck ausführlich beschrieben: „Es ist eine Einsicht in einen jungen Buchenwald, hinter welchem die Sonne untergeht, so daß [sie] wie ein grün wogendes Licht in dem ganzen Baume webt. Ein Sänger ist in den Wald geeilt und wird ergriffen von dem tönenden Raum des Waldes. [...] Auf der andern Seite unter einer Buche liegt eine Nymphe an der Quelle, in welcher sie mit den Fingern spielt; aus den Blasen schwimmen Kinder hervor und gleiten im Vorgrunde durch einen Bogen, den Schilf und Blumen über sie wölben, und in welchem zwey sich wiegen, zum Wasserfall, wo sie verschwinden; ergreifen im heruntergleiten noch eine Blumenranke, die sich dem Sänger um den Fuß schlingt, und ziehen ihn damit nach sich zurück“ (Runge 1840, S. 245).
In Runges Zeichnung, die ursprünglich zur Ausführung als Gemälde bestimmt war, ist der Sänger umgeben von ihm als Inspiration dienenden Geschöpfen der Natur. Ihm gegenüber zugeordnet ist die Quellnymphe - die Verkörperung des Wassers und Ursprung allen Lebens, das die Quellkinder symbolisieren, der auf einem Ast sitzende Amorknabe aber bestimmt. Schöpfungsvorgang und Naturprozeß sind in einer Weise miteinander verbunden, die für Runge programmatischen Charakter hatte. Bereits 1802 hatte er in Gedanken ein Bild zur Quelle entworfen: „Das Bild soll eine Quelle werden im weitesten Sinn des Wortes; auch die Quelle aller Bilder, die ich je machen werde, die Quelle der neuen Kunst, die ich meine, auch eine Quelle an und für sich“ (ebd., S. 19). Dieses Bild blieb Utopie, wurde aber teilweise in "Quelle und Dichter" verwirklicht.
Die Zeichnung gehört zu den von Daniel Runge so genannten "komponierten Landschaften", in denen Runge bestrebt war, "der Naturumgebung wo möglich dieselbe Bedeutung und Würde wie den Personen zu geben (und umgekehrt), ja sie so gut wie diese in Handlung zu setzen" (ebd., S. 246). In ihnen wirkt die Vorstellung eines "locus amoenus" als Ort der Dichtkunst und Malerei nach, wie er Runge von Salomon Gessner oder Carl Wilhelm Kolbe in der Kunst, von Friedrich Gottlieb Klopstock und Ludwig Tieck in der Dichtkunst vermittelt worden ist. P. P.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz, Pinsel in Grau über Spuren von Bleistift 509mm x 671mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34257 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford, CC-BY-NC-SA 4.0

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