Philipp Otto Runge

Erster Kompositionsentwurf zum "Triumph des Amor", 1800

Daniel berichtet, dass Runge das Motiv des von Schmetterlingen gezogenen Wagens mit Amor bereits seit 1797 beschäftigte, als er Scherenschnitte, Feder- und Pinselzeichnungen anfertigte, in denen er das Motiv des Leier spielenden Amor in Wolken behandelte: „Der Liebesgott, eine Leyer spielend oder stimmend, und in einem Gewölk ruhend, war von ihm mehrfach mit der Schere ausgeschnitten, mit der Feder oder Tuschpinsel skizzirt worden.“ (Anm. 1) Die Grundlage bildeten Verse von Johann Gottfried Herder, die 1796 in Schillers Musenalmanach erschienen waren: „Liebe, dich trägt ein Wagen von Schmetterlingen gezogen, Und du regierst sie sanft, spielend die Leier dazu! Gütiger Gott, laß nie, laß nie die Fessel sie fühlen; Unter melodischem Klang fliegen sie willig und froh.“ (Anm. 2) Herder hatte bereits in seinen Briefen über die Humanität den Wert des Kindes und der Amorgestalt als Motive der bildenden Künste hervorgehoben (Anm. 3); hieran konnten Runges eigene sittliche Vorstellungen anknüpfen; dass sich Runge von Herders Dichtung inspirieren ließ, dürfte zudem seiner eigenen poetischen Begabung – er hat seine Darstellung selbst in Versen erläutert (Anm. 4) – geschuldet sein und vor allem mit seiner Vorstellung von der Einheit der Künste zusammenhängen (Anm. 5).
Die 1797 entstandenen Zeichnungen müssen als verloren gelten, denn konkret ausgeführt hat Runge das Thema erst 1800 in Kopenhagen für den Hamburger Sammler Gerhard Joachim Schmidt, wo es Sitte war, „daß jeder dahin kommende Künstler selbst wenigstens ein Werk in jene Sammlung lieferte.“ (Anm. 6) Dieses Blatt, die sogenannte Schmidtsche Hauprtzeichnung, befindet sich heute in Privatbesitz (Anm. 7); Daniel hat sie folgendermaßen beschrieben: „Amor, die Leyer rührend, und auf einem Muschelwagen sitzend, wird von Knaben mit Schmetterlingsschwingen in den Wolken theils getragen, theils umschwärmen sie ihn fröhlich, und zwey, vorn herab schreitend, streuen Blumen in das Gewölk. […] Es finden sich mehrere, daraus seit 1799 entstandene Skizzen vor, und die Hauptzeichnung hat der Herausgeber aus der Versteigerung des Schmidt’schen Nachlasses 1818 an sich gebracht.“ (Anm. 8) Der Zeichnung für Schmidt, die in der Licht- und Schattenführung an barocke Deckenmalereien erinnert, ging eine andere Pinselzeichnung voraus (Inv. Nr. 34237), die geringfügig größer ist, aber der Schmidtschen Komposition bis auf die unterschiedliche Zahl der Putten – auf dem Blatt der Kunsthalle tummeln sich elf Putten, in der Schmidtschen Zeichnung sind es zehn (Anm. 9) – entspricht (Anm. 10). Sie zeigt die in fein abgestufter Pinselarbeit herausgearbeitete Komposition in einer gleichmäßigen Lichtverteilung von wesentlich geringerer Kontrastwirkung als auf dem Schmidtschen „Hauptblatt“, wo Amor als höchster Punkt der Komposition dem Licht voll ausgesetzt ist. Während das Blatt der Kunsthalle in den plastisch durchgebildeten Akten noch stärker an Runges gleichzeitige Kopierarbeit im Gipssaal der Akademie erinnert, korrespondiert das Schmidtsche „Hauptblatt“ mit Juels und Abilgaards Empfehlung, „das höchste Licht immer auf den Theil [zu] halten, der am meisten hervorsticht, so wie auch den stärksten Schatten; nach unten muß alles Licht mehr abgedämpft sein, und was im Stück hineinliegt, da muß sowohl Licht als Schatten alles leichter und nebliger gehalten werden.“ (Anm. 11) Auch bewegt sich der Zug jetzt eindeutig mehr schreitend als fliegend über den Wolken, der durch die stärkere Schattierung als Figurenreigen wahrnehmbar wird.
Runge entwirft in der Komposition Herders Versen folgend das Bild einer sanften Herrschaft Amors, der seine Macht über die Menschen mittels Musik ausübt. Die Putten mit den Schmetterlingsflügeln sind, antiker Tradition folgend, als Symbole der menschlichen Seele auszufassen, während Muschelwagen Amors Beziehung zu Venus andeutet. Dieser Bezug ist noch deutlicher auf Inv. Nr. 34236, wo Amor als eindeutiges Attribut den Köcher mit Pfeilen erhält, der in der Muschel liegt. Das große Format und die Silhouettierung der Figurengruppe lässt darauf schließen, dass Runge „den Charakter des geplanten Wandbildes erproben wollte.“ (Anm. 12)
Diese erotische Komponente hat Runge aber in den letzten beiden Fassungen zurückgenommen, weshalb Traegers Vermutung, Inv. Nr. 34236 sei nach den beiden anderen Blättern entstanden (Anm. 13), fraglich bleibt. Auch Runges eigene Beschreibung des Themas, in der er Amor als Beschützer des Künstlers anruft, relativiert diesen Bezug: „Höre mich, Liebe von Anfang! Und segne des Liebenden Arbeit. Höre mich, denn ich flehe! Gieb Freude den Seelen der Freunde! Knieend im Morgennebel, und stimmend die Seiten der Leyer.“ (Anm. 14) Auch ist Liebe in einem umfassenderen, Familie und Freunde einbeziehenden Sinne zu verstehen, wenn er der Seelen der Freunde gedenkt, die den Aspekt der romantisch verklärten Freundschaft thematisiert. Tatsächlich hat Runge eine Skizze der Schmidtschen Hauptfassung als Bild im Bilde im ersten Entwurf zur „Heimkehr der Söhne“ erscheinen lassen (Anm. 15).
Sie gibt damit nicht nur einen Anhaltspunkt für die Datierung des ersten Entwurfs zur „Heimkehr der Söhne“ – Runge schreibt an Daniel am 8. Februar 1800, dass er die Zeichnung für Schmidt „beynahe fertig“ habe (Anm. 16) -, sondern steht noch im weiteren Zusammenhang mit der Ausstattung des neuen Hauses von Runges Bruder Jakob in Wolgast. Ein in der Tradition der pompejanischen Wandmalerei stehender Entwurf (Inv. Nr. 1955-219) zeigt in der Mitte, gerahmt von zwei seitlichen illusionistischen Durchblicken, den Blick auf ein zentrales Bild, das sich auf die Schmidtsche Komposition zum „Triumph des Amor“ bezieht. Die Skizze bezieht sich auf Runges Plan, das Amormotiv für eine Wanddekoration in Jakob Runges Haus zu benutzen (Anm. 17). Ein weiterer Entwurf (Inv. Nr. 1938-123 verso) – er zeigt die untere Sockelzone rechts - bezieht sich offensichtlich ebenfalls auf dieses Vorhaben, das möglicherweise als Ersatz für das aufgegebene Wandbild „Heimkehr der Söhne“ entstand (Anm. 18).
Runge hat die Komposition in zahlreichen Einzel- bzw. Kompositionsstudien vorbereitet, in denen sich Runge der endgültigen Komposition annähert. Auf Inv. Nr. 34233, das Traeger aufgrund der „unbeholfenen Zeichenweise“ und der Abweichungen an den Beginn der Kopenhagener Zeit oder noch früher ins Jahr 1799 setzt (Anm. 19), gestaltet Runge das Thema als Reigen von geflügelten Putten, die den Wagen Amors – er ist durch ein Rad eindeutig als solcher gekennzeichnet – mehr begleiten als ringförmig umgeben. Auf anderen Blättern stehen Entwürfe zu anderen Kompositionen neben Studien einzelner Figuren; auch auf Inv. Nr. 1938-124 ist die Vorstellung eines Muschelwagens durch das Seitenrad angedeutet; auf ihm hat Amor das rechts über das linke Bein gelegt; ein Motiv, das im weiteren Entwurfsprozess keine Rolle mehr spielt, doch variiert es Runge noch mehrfach. Auf Inv. Nr. 1938-125 erscheint Amor zweimal in der unteren Ecke rechts, diesmal mit nebeneinander gelegten, angewinkelten Beinen und verschränkten Händen neben Studien zu anderen Putten; das Motiv des rechten, angewinkelten Beines und der verschränkten Hände führt Runge auf Inv. Nr. 34232 in einer sorgfältig ausgearbeiteten Bleistift- und Federzeichnung weiter, in der jetzt Amor mit der Leier erscheint. Rechts daneben findet sich eine Studie zu einem Kinderbacchanal, das ganz ähnlich auf Inv. Nr. 1938-123 als Federzeichnung wieder auftaucht. Das Nebeneinander scheinbar unabhängiger Motive auf verschiedenen Blättern – auf dem Verso von Inv. Nr. 1938-125 befindet sich noch die Federzeichnung eines bacchischen Zuges – wirft die Frage, ob es sich hierbei um Entwürfe für die geplante jedoch nicht ausgeführte Wanddekoration handeln könnte (Anm. 20).
Über dem Kinderbacchanal auf Inv. Nr. 1938-123 befindet sich die Bleistiftstudie zum Kopf rechten äußeren Puttos auf Inv. Nr. 34237; auch das Sitzmotiv Amors hat Runge auf einem weiteren Blatt beschäftigt (Inv. Nr. 34234), das wie die Amor umgebenden Putten Inv. Nr. 34237 bereits annähernd entspricht.
Die Darstellung des Zuges von Amoretten folgt einer seit der Antike bekannten Bildtradition, in der die geflügelten Putten die menschliche Seele verkörpern. Diese Bildtradition blieb über Renaissance und Barock bis ins 18. Jahrhundert lebendig; Berefelt und Traeger haben über diese Tradition hinaus auf eine Reihe möglicher weiterer Vorbilder hingewiesen: Das Motiv der Putten auf Wolken findet sich, allerdings nicht in dieser inhaltlichen Zuspitzung, bereits in einer Zeichnung Hardorffs aus dem Jahre 1796 vorgebildet (Anm. 21), während das zentrale Motiv des auf der Muschel sitzenden, die Leier spielenden Amor von einer Vignette abgeleitet scheint, die 1787 als Illustration zu Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden erschien (Anm. 22). Traeger verweist auf Anregungen durch Angelika Kauffmann, Salomon Gessner sowie Jean Baptiste Greuze; die Hauptgruppe führt er auf einen Stich von Giovanni Volpato nach der „Hochzeit Alexanders und Roxanes“ zurück, die man damals Raffael zuschrieb (Anm. 23).
Der „Triumph des Amor“ ist nicht nur Runges erste eigenständige Komposition, sondern auch „sein erster Versuch, im Bereich von ‚Zimmerverzierung‘ angewandte Kunst und Ideenkunst zu verbinden.“ (Anm. 24) Motive wie der vorangehende, blumenstreuende Genius als Verkörperung der sinnlichen Liebe finden hier ihre erste Formulierung – er erscheint abgewandelt später in den gemalten Versionen des „Morgen“ -; die für sein späteres Werk grundlegenden Motive Kinder und Blumen werden hier erstmals zu einer Bildeinheit verwoben, die symbolisch im Sinne der tugendhaften Liebe überhöht wird. Nicht zuletzt klingt in dem leierspielenden Amor das Motiv der Musik an, das in seinem späteren Werk die „auf das Auge begrenzte Wirkung der Malerei sinnenhaftiger machen und ausweiten soll.“ (Anm. 25)

Peter Prange

1 HS I, S. 217.
2 Amor auf einem Wagen von Schmetterlingen gezogen, in: Musen-Almanach für das Jahr 1796, herausgegeben von Schiller, Neustrelitz 1796, S. 30.
3 Berefelt 1961, S. 140-141.
4 Siehe unten.
5 Runge 1977, S. 155.
6 HS I, S. 217.
7 Triumph des Amor, Pinsel in Grau und Schwarz, 265 x 395 mm, Privatbesitz, vgl. Traeger 1975, S. 282-284, Nr. 111, Abb., und Sieveking 1972, S. 114-116, dem die Wiederentdeckung des Schmditschen „Hauptblattes“ verdankt wird.
8 HS I, S. 218.
9 Sieveking 1972, S. 117, sieht auf dem Blatt der Kunsthalle zehn, in der Schmidtschen Zeichnung neun Kinder.
10 Berefelt 1961, S. 142, hatte die Schmidtsche „Hauptzeichnung“ noch mit Inv. Nr. 34237 gleichgesetzt.
11 Brief an Daniel vom 31. Dezember 1799, vgl. HS II, S. 37.
12 Traeger 1975, S. 284.
13 Traeger 1975, S. 284.
14 Vgl. HS I, S. 217.
15 Vgl. Traeger 1975, S. 286, Nr. 114, Abb.
16 Vgl. HS II, S. 43. Am 4. März 1800 hat Runge die beinahe vollendete Zeichnung Juel gezeigt, „der nicht wenig damit zufrieden war, sogar eine große Verwunderung darüber äußerte“, vgl. HS II, S. 44; diesem Urteil schloß sich am 6. März 1800 Frederike Brun an, vgl. HS II, S. 45.
17 Vgl. HS I, S. 218.
18 Berefelt 1961, S. 142.
19 Traeger 1975, S. 279.
20 Diese Frage, die nicht eindeutig zu beantworten ist, stellt sich auch deshalb, weil die auf Inv. Nr. 1955-219 abgebildete Wanddekoration mit Satyrn, Pansfiguren und Affen den Bezug zur erotischen Liebe herstellen.
21 Gerdt Hardorff, Putten auf Wolken, Feder und Pinsel in Braun, ???, Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 42931, vgl. Berefelt 1961, S. 145, Abb. 42.
22 Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Aechte Ausgabe, Leipzig 1787, S. 23, vgl. Berefelt 1961, S. 144, Abb. 48.
23 Traeger 1975, S. 27, Abb. 7.
24 Runge 1977, S. 119.
25 Sieveking 1972, S. 120.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz über Bleistift 162mm x 207mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34233 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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