Philipp Otto Runge

Achill und Skamandros (Weimarer Preisaufgabe), 1801

Am 27. September 1801 hatte Runge an Daniel geschrieben, dass er durch Waagen ihm zwei Zeichnungen werde bringen lassen – eine vorübergehende Idee auf blauem Papier (vgl. Inv. Nr. 34224), „nach der andern habe ich sie aber durchgezeichnet, doch sind noch verschiedene Aenderungen vorgefallen.“ (Anm. 1) Das zweite angesprochene Blatt lässt sich in Inv. Nr. 34230 identifizieren, nach dem Runge die figürliche Komposition für sein Wettbewerbsblatt durchgepaust hat, und danach die landschaftlichen Details – „verschiedene Aenderungen“ - ausgearbeitet hat.
War Runge am 7. August noch davon ausgegangen, dass die Version mit der Rückansicht des Helden „die deutlichste“ werden würde (vgl. Inv. Nr. 34227), so muss sich Runge innerhalb weniger Tage entschlossen haben, doch eine Komposition mit der Vorderansicht des Heldens einzuschicken. Vergegenwärtigt man sich, dass Inv. Nr. 34227 erst nach dem 7. August entstanden ist, muss der Zeitdruck immens gewesen sein, und erklärt auch, dass Runge seinen endgültigen Wettbewerbsbeitrag durchpauste.
Am 23. August 1801 hatte Runge die Zeichnung mit einem Begleitschreiben an Goethe nach Weimar gesandt: „Ich bin nun mit der Aufgabe von Goethe fertig, an der ich mich diese Zeit hier nun fast krank gearbeitet, und meine Zeichnung ist nun zu ihm gesandt, […].“(Anm. 2) Die Entwicklung der endgültigen, eingesandten Komposition führte Runge im September gegenüber Böhndel auf die Förderung und Urteile von Leuten zurück, denen er die Komposition gezeigt hatte. Sie erschien ihm „im Grunde [wie] eine eigne Dichtung von mir“ (Anm. 3) – ein Aspekt, den Runge vertiefte, als er davon sprach, er habe anfangs „die ganze Sache nur so historisch behandeln“ wollen, doch ist er zuletzt „tief in die Allegorie hineingekommen“, er sich „über allem Allegorisiren selbst untergrub“ (Anm. 4).
Tatsächlich hat die empfindliche Kritik, die Heinrich Meyer im Januar 1802 in der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ veröffentlicht hatte, Runges Beitrag in diesem allegorischen Sinne als ein Kräftemessen des antiken Helden mit den Göttern verstanden, das nur wenig Bezug zu Homers Text hat (Anm. 5). „Die meisten Künstler, welche sich auf die Darstellung dieses Gegenstandes eingelassen, irrten darin, daß die Flußgötter von Achilles angefallen, ja gar besiegt werden, anstatt daß er von ihnen bedrängt erscheinen sollte. Noch mehr ist es dem Sinn der Aufgabe zuwider, wenn, so wie in der gegenwärtigen Zeichnung geschieht, der Held nur mit einem der Flußgötter zu schaffen hat und denselben noch dazu mit offenbarem Vorteil bekämpft, wodurch vollends alles verworren und bedeutungslos wird. An Lebhaftigkeit des Ausdrucks und der Bewegung fehlt es im übrigen diesem Werk nicht. Auch haben die Figuren keine auffallenden Mißverhältnisse, und jede ist in Ansehen der Form im allgemeinen so ziemlich nach dem ihr zukommenden Charakter gehalten. Man kann auch, wenn keine sehr rigoristischen Forderungen gemacht werden, mit der Beleuchtung ein wenig zufrieden sein. Allein die Zeichnung ist nicht gut zu heissen, sie ist unrichtig und manirirt. Wir rathen dem Vf. Ein ernstes Studium des Alterthums und der Natur im Sinne der Alten. Am nötigsten ist ihm aber die Betrachtung der Werke großer Meister aller Zeiten in Hinsicht auf den Gang ihrer Gedanken.“ (Anm. 6)
Runge hatte Meyers Kritik am 31. Januar 1802 noch nicht gelesen, doch entsprach seine Interpretation nicht den illustrativen Absichten der Weimarer Jury. Ihm war auch schon vorher Böttigers Rezension in der „Allgemeinen Zeitung“ bekannt geworden, der die Zeichnung als uninspiriert kritisiert hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Runge ob des Erfolges in Zweifel geraten: „Ich versichre Dir, es kann niemand so neugierig auf meine Zeichnung seyn, wie ich selbst, denn ich habe sie nur eben fertig gekriegt, als ich sie abschicken mußte, und da ist mir so manches wieder entfallen. Auf einen Beyfall zähle ich gar nicht, weil ich eben selbst sehr vieles und vielleicht alles daran zu tadeln haben würde. Das Urtheil mag inzwischen ausfallen, wie es will, es kann meinen Muth nicht erschüttern.“ (Anm. 7) Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte jene Katharsis eingesetzt, die zu Runges Abkehr vom Klassizismus führte. Nicht erst Meyers Kritik hatte diesen Prozess in Gang gesetzt; das Arbeiten nach vorgegebenen Aufgaben stellte das ganze Kunstsystem in Frage, dem sich Runge künftig verweigerte: „Die Kunstausstellung in Weimar und das ganze Verfahren dort nimmt nachgerade einen ganz falschen Weg, auf welchem es unmöglich ist, irgend etwas Gutes zu bewürken. Die Aufgabe des Achill’s auf Skyros, wie sie sie da gaben, ist etwas unerreichbares, die Motive, die so verwickelt sind, alle anschaulich zu machen in einem Moment, ist etwas, das bey der Römischen Schule bisweilen erreicht worden, aber wo das Sujet nicht ein aufgegebenes war. […] Der Achill und Skamander, sammt den Sachen, wie das nach und nach zur Vollendung gebracht werden soll, ist doch am Ende ein vergeblicher Wunsch; wir sind keine Griechen mehr, und können das Ganze schon nicht mehr so fühlen, wenn wir ihre vollendeten Kunstwerke sehen, viel weniger selbst als solche hervorbringen.“ (Anm. 8)

Peter Prange

1 Brief vom 27. September an Daniel, vgl. HS II, S. 86.
2 Brief vom 24. August 1801 an seinen Bruder David, vgl. HS II, S. 80.
3 Brief vom September 1801 an Böhndel, vgl. HS II, S. 81.
4 Brief vom 31. Januar an Daniel, Vgl. HS II, S. 108.
5 Zum mangelnden Textbezug Kamphausen 1965, S. 196.
6 Heinrich Meyer: Weimarische Kunstausstellung von 1801 und Preisaufgaben für 1802, in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1802, Band 1, S. XIV-XV.
7 Brief vom 2. Dezember 1801 an Daniel, vgl. HS II, S. 99-100.
8 Brief von Februar 1802 an Daniel, vgl. HS I, S. 5-6.

Details zu diesem Werk

Pinsel in Braun und Weiß über Bleistift auf braun grundiertem Papier 527mm x 673mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34231 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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