Philipp Otto Runge

Achill und Skamandros (Weimarer Preisaufgabe), 1801

Am 13. Januar 1801 schrieb Runge an Johann Michael Speckter: „Ich habe die Preisertheilung in Weimar und Beschreibung der eingegangenen Stücke mit ausnehmendem Vergnügen gelesen. Was mir aber die meiste Freude machte, war, daß meine Gedanken, die ich über die Aufgabe hatte, vorzüglich über den Tod des Rhesus, ziemlich mit denen der besten Concurrenten übereingestimmt haben, und ich denke wohl, künftigen Sommer mit um den Preis zu laufen, denn es ist doch keine geringe Freude, wenn man vernehmen kann, daß das, worauf unsre Wahl gefallen ist, und wie wir es durch Erfahrung in uns zu berichtigen gesucht haben, auch würklich etwas richtiges ist. […] Die beiden neuen Aufgaben sind mit beym ersten Anblick sonderbar vorgekommen; das erste, weil es so oft dargestellt ist, und das zweyte schien mir, mit Verlaub zu sagen, gar lächerlich. Das kam aber nur, weil ich die Flaxman’s in Gedanken hatte. Auf die Art geht es allenfalls in einem Basrelief, aber doch wohl nicht in einem Gemählde? Ich will versuchen, dir hievon sobald wie möglich eine leichte Skizze zu geben.“ (Anm. 1)
Die Übereinstimmung seiner Rhesus-Zeichnung (vgl. Inv. Nr. 34243) mit den Beschreibungen der besten Beiträge zur Preisaufgabe 1800 hatten Runge ermutigt, sich an der Preisaufgabe für das folgende Jahr zu beteiligen. In der von Goethe herausgegebenen Zeitschrift „Propyläen“ hatte dieser im zweiten Teil des dritten Bandes die neue Preisaufgabe für das Jahr 1801 bekannt gemacht. Von den beiden zur Wahl stehenden Themen aus der „Ilias“ entschied sich Runge nicht für die Darstellung von Achill auf Skyros, weil diese so oft dargestellt wurde, sondern für die zweite, ihm in Kenntnis der Flaxmanschen Version „gar lächerlich“ erscheinende Aufgabe: „Der Kampf Achills mit den Flüssen; Oder, wenn man lieber will, Achill in Gefahr, von den erzürnten Flüssen überwältigt zu werden. Wir wählten aber jenen Ausdruck, um zu bezeichnen: daß wir mehr den Helden, der ungeheuern Naturkräften widersteht, als den der ihnen unterzuliegen fürchtet, gebildet sehen möchten. Diese Aufgabe hat mehrere Momente in welchen sie gefaßt werden kann. Wir ersuchen daher die Künstler, den 21sten Gesang der Ilias ganz zu lesen. So wie wir bei dieser Gelegenheit jedem Künstler, der mit uns in Verbindung steht oder zu treten geneigt ist, empfehlen, sich die Vossische Übersetzung des Homers anzuschaffen, sich an die Sprache derselben zu gewöhnen und dieser Werke, als den Grundsatz aller Kunst, fleißig zu studieren. Die Bedingungen sind die des vorigen Jahres. Wobei wir nur die Bitte wiederholen: daß die Konkurrenzstücke vor dem 25. August 1801, soweit als möglich postfrei, anlangen mögen. Die Ausstellung dauert bis Michael. In der zweiten Hälfte des Oktobers werden die Stücke zurückgeschickt. Künstler, die uns ihren Geburtsort und ihr Alter anzeigen, auch von ihrem Leben und ihren Studien einige Nachricht geben wollen, werden uns besonders verbinden.“ (Anm. 2)
Obwohl Runge in der Zeichnung – wie er selbst formulierte - „noch sehr zurück“ sei (Anm. 3), sandte er zwei Tage vor dem Abgabetermin zusammen mit einem Begleitschreiben an Goethe seine großformatige Zeichnung ein (Inv. Nr. 34231), die das Ergebnis eines langen Ringen um die angemessene Komposition ist. Runge bat Goethe um sein Urteil und wünschte darüber belehrt zu werden, „was mir am meisten fehlt.“ (Anm. 4) Möglicherweise hat Runges Entschluss, an den Preisaufgaben überhaupt teilzunehmen, seine Begründung darin, dass er die Anerkennung Goethes suchte, um sein Künstlertum vor Vater und Bruder rechtfertigen zu können (Anm. 5).
Nachdem Runge Anfang Januar 1801 angedeutet hatte, er werde sich an den diesjährigen Preisaufgaben in Weimar beteiligen, kommt er erst am 7. August, zweieinhalb Wochen vor dem Abgabetermin, in einem Brief an Daniel auf dieses Vorhaben zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mehrere Versionen des Themas gezeichnet und beschlossen, eine weitere auszuführen, die Runge dann nach Weimar sandte: „[…] nun werde ich nachgerade anfangen, etwas zu liefern, d. h. ich werde wo möglich noch etwas nach Weimar zu der Preisaufgabe senden. Ich habe den Achill im Kampf mit dem Skamandros gezeichnet, und die Composition, soviel ich die Grundursachen davon entwickeln konnte, nach meiner Ansicht in’s Reine. […] Jetzt versuchte ich mich an dieser Composition vom Achill und wählte meinem Gefühl nach die, bloß im historischen Sinne genommen, richtigste und am meisten alles in dem Moment zusammendrängende Stelle, wo Achill über den Baum hinschreitet. Die erste Idee war schwankend und, als ich sie zur Ausführung bringen wollte, nicht gewaltsam genug. Der Flußgott sollte sich wie aus einem Nebel entwickeln und durch sein Gebot die Fluthen auf den Helden losstürzen; doch schien es mir auch nicht passend, daß Achill von hinten zu sehen kam.“ (Anm. 6)
Während Berefelt davon ausging, dass die oben beschriebene Version verloren sei (Anm. 7), hat Traeger angenommen, dass das vorliegende Blatt sich auf Runges Beschreibung bezieht. Tatsächlich lässt der Flussgott die Fluten auf den Helden losstürzen, doch kaum in einer der Dramatik Homers gerecht werdenden Weise, was Runge auch selbst bemerkt. Auch dass Achill vom Rücken zu sehen ist, entspricht Runges Beschreibung.
Runge hatte das Thema als „Historie“ genommen und den für ihn „richtigsten“ Moment in der Darstellung gewählt, wie Achill über den Baum schreitet. Dass die erste Idee dazu „schwankend“ war, wie Runge selbst sagt, in der Komposition nicht entschieden genug, lässt sich durchaus auf Inv. Nr. 34224 beziehen. Vier vereinzelte, kompositionell nur lose aufeinander bezogene Personen agieren vor einem Landschaftshintergrund; in der breiten, auf die Fläche bezogenen Anordnung der Figuren ist die Konfrontation zwischen dem Helden und dem Flußgott seltsam kraftlos, ohne jene dramatische Gefährdung Achills, die Homer so eindrücklich geschildert hat: „Furchtbar stieg um Achilleus jetzt die schwellende Woge, / und die Strömung fiel in den Schild ihm, daß mit den Füßen / Er keinen Halt mehr fand; er ergriff mit der Hand eine Ulme […].“(Anm. 8) Achill sucht zwar Halt an dem Baumstamm, doch erscheint er im Bildzentrum in seiner schreitenden Pose wie ein triumphierender Sieger über den Flußgott.
Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Blatt um eine der beiden Zeichnungen, die Runge durch Waagen nach Hamburg bringen ließ. Sie fanden beide bei Speckter und Hardorff ein positives Echo (Anm. 9), doch bevorzugten die Hamburger Freunde offensichtlich das vorliegende Blatt (Anm. 10).

Peter Prange

1 Vgl. HS II, S. 63-64.
2 Johann Wolfgang von Goethe: Die neue Preisaufgabe von 1801, in: Propyläen III, 1800, 2. Heft, S. 163-165.
3 Brief vom 13. Januar 1801 an Speckter, vgl. HS II, S. 64.
4 Brief vom 23. August 1801 an Goethe, vgl. Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S. 53.
5 Isermayer 1940, S. 44.
6 Vgl. HS II, S. 77.
7 Berefelt 1961, S. 230.
8 Homer, Ilias 21, 240-242.
9 Brief vom 29. Dezember 1801 an Daniel, vgl. HS II, S. 108.
10 Brief vom 31. Januar 1802 an Daniel, vgl. HS II, S. 112.

Details zu diesem Werk

Schwarze und weiße Kreide auf blaugrauem Papier 460mm x 587mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34224 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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