Philipp Otto Runge

Die zwei rechten Engel der Musika (Studie zum Gemälde "Der große Morgen"), 1809

Die beiden einfachen, auch etwas schematischen Umrisszeichnungen in Feder über einer teilweise noch sichtbaren Vorzeichnung in Blei mit Rötelspuren stellen die Engel der Musika links und rechts des Blütenkelchs dar. Stubbe hatte von einer Federzeichnung „über Rötelvorzeichnung“ gesprochen (Anm. 1), doch deuten die nur unregelmäßig an den Figuren zu findenden Rötelspuren auf die Reste einer Übertragung des Motivs in einem Druckverfahren hin. Die verwischten Rötellinien weichen zumeist vom Kontur der Feder genauso ab wie die Bleistiftvorzeichnung und sichtbare Griffelspuren; besonders gut erkennbar ist dies im Bereich des Horn blasenden Genius oben auf Inv. Nr. 34202. Dort liegt der Kontur des Rötelabdrucks neben der Federzeichnung, doch auch die Bleistiftvorzeichnung und Griffelspuren entsprechen nicht immer der Federzeichnung. Dieser Befund widerspricht Tremplers Beobachtung, dass „in der Konturlinie deutlich eine scharfe Rille [erkennbar ist], auf der ein weicher Bleistift- oder Rötelstrich liegt.“ (Anm. 2) Es ist nicht immer eindeutig zu entscheiden, on die Griffelspuren über oder unter der Federzeichnung liegen – oder anders ausgedrückt, ob die Griffelspuren vor der Federzeichnung oder erst danach entstanden. Eindeutig ist indes, dass Runge zunächst in einer Art Umdruckverfahren die Rötelspuren aufbrachte; erst danach entstanden wahrscheinlich die Bleistiftvor- und die Federzeichnung, während die Griffelspuren zur Übertragung dienten (Anm. 3). Damit gehören beide Federzeichnungen wie die Pausen auf Transparentpapier zu denjenigen, die „nehmende“ und „gebende“ Blätter zugleich sind (vgl. dazu Inv. Nr. 34309).
Im Gegensatz zu Inv. Nr. 34199, wo der linke, Triangel spielende Engel noch ein anderes, dem „Kleinen Morgen“ näherstehendes Schrittmotiv aufwies, entspricht die Haltung der Engel auf Inv. Nr. 34201 und 34202 bereits dem ausgeführten Gemälde des „Großen Morgens“ (Anm. 4). Die teilweise auf beiden Blättern sichtbaren Griffelspuren machen laut Traeger eine Verwendung als Karton glaubhaft, wahrscheinlich als Vorlage für „einen zugehörigen Abdruck auf Ölpapier“, der sich jedoch für beide Blätter nicht erhalten hat. Allerdings befindet sich eine Inv. Nr. 34202 im Maßstab entsprechende Kreidezeichnung mit den zwei rechten Engeln in Berlin (Anm. 5), auf der die Rötellinien auf die Übertragung mit einem durch Ölbehandlung transparent gemachten Papier deuten (Anm. 6), da sie kaum Körper haben, also von einem Abdruck stammen. Über den Pauslinien entwickelte Runge danach seine Komposition in schwarzer Kreide und vergewisserte sich mittels Schraffuren und Weißhöhung über ihre Lichtwirkung, um sie anschließend mit dem Griffel auf den nächsten Bildträger zu übertragen.
Das Berliner Blatt zählt zu den von Daniel erwähnten Beleuchtungsstudien; für Inv. Nr. 34201 fehlt ein entsprechendes Pendent, doch muss es ehemals existiert haben. Daniel erwähnt unter den Beleuchtungsstudien nur „einen Genius aus der Musica rechts; einen andern links“ (Anm. 7), so dass wahrscheinlich ein Irrtum Daniels in Bezug auf die Anzahl der Genien vorliegt. Das Berliner Blatt dürfte mit dem von Daniel aufgeführten identisch sein, während das Pendent verloren ist. Es ist wahrscheinlich, dass sich Runge die endgültige Haltung der Engel der Musika zunächst in einfachen Umrisszeichnungen erschloss, um danach in der Berliner Zeichnung die Lichtwirkung der Figuren und deren plastische Erscheinung im Bildraum zu erproben.

Peter Prange

1 Stubbe, in: Runge 1960, S. 27, Nr. 162 und 163.
2 Trempler 2013, S. 317; es ist unklar, auf welche Zeichnung sich Tremplers Beobachtung bezieht.
3 Ich danke Gerlinde Römer, Hamburg, für die Bestätigung des Befundes.
4 Der große Morgen, Öl/Lw, 152 x 113 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1022, vgl. Traeger 1975, S. 466-467, Nr. 497, Abb.
5 Die zwei rechten Engel der Musika, Rötel, schwarze und weiße Kreide auf bräunlichem Papier, 349 x 532 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 29, vgl. Traeger 1975, S. 461, Nr. 488, Abb.
6 Vgl. die vereinzelt sichtbaren Ölflecken auf dem Blatt, für Auskünfte zu dem Blatt danke ich Georg Dietz, Berlin.
7 Vgl. HS I, S. 236.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz über Bleistift, Spuren von Rötel, Griffelspuren 394mm x 505mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34202 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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