Philipp Otto Runge

Der Tag (Mittelgruppe), 1803

Mit der Vollendung seiner Zeichnungen zu den „Tageszeiten“ Ende Juli 1803 war Runges Beschäftigung mit diesem Komplex nicht beendet. Die Zeiten zogen sich leitmotivisch von nun an durch sein gesamtes Werk, und von Beginn an war es Runges Ziel, die Kompositionen in Farbe umzusetzen. Bereits von Beginn befasste sich Runge mit dem Gedanken, die „Zeiten“ als Skizzen zu malen; am 26. Juni 1803 kam er „immer mehr in die Sehnsucht hinein, die vier Bilder doch zu mahlen, wenn auch nur zuerst als Skizzen.“ (Anm. 1)
Das früheste Beispiel diese Vorhaben ist die vermutlich im Sommer 1803 in Wolgast entstandene Ölstudie „Mutter Erde mit ihren Kindern“ (Anm. 2), auf die sich Quistorps Bericht vom August 1803 zu beziehen scheint, Runge habe bei seinem Besuch in Wolgast daran gedacht, die mitgebrachten Federzeichnungen zu den Tageszeiten „im Großen mit Farben auf Goldgrund auszuführen.“ (Anm. 3) Inv. Nr. 34178 diente als nahezu im Format übereinstimmende Vorzeichnung. Runge hat die zentrale, in einer Laube sitzende Figurengruppe aus seiner Kupferstichvorlage zum „Tag“ (Inv. Nr. 34177) übernommen, doch die beiden äußeren Kinder zu beiden Seiten nach innen gerichtet, um eine möglichst geschlossene, bildhafte Komposition zu erlangen. Sie bewirkt eine insgesamt raumhaltigere Bildgestalt, mit der Runge nicht nur in Fläche eine pyramidale Dreieckskomposition anstrebt, sondern auch in der tiefenräumlichen Erstreckung von vorn nach hinten. Eine weitere Veränderung betrifft das Gewand der Mutter, das im „Tag“ in Anlehnung an die anderen Tageszeiten streng auf den Körperumriss beschränkt ist, auf Inv. Nr. 34178 jedoch in voluminöser Ausbreitung die ganze Breite der Darstellung einnimmt. Die beiden entblößten Brüste betonen den Caritas-Charakter, den auch die nicht mehr jugendliche, eher an altdeutsche Madonnendarstellungen gemahnende Mutter der Erde versinnbildlicht.
Das Verfahren, eine Gruppe aus einer früheren Komposition heraus zu lösen, hat Runge später in einem Brief an Carl Schildener beschrieben: „Da ich meine Zeichnungen, sowohl die, wonach ich zu mahlen gedenke, als die, welche bloße Zeichnungen bleiben sollen, gewöhnlich mit der Feder ausführe und darin auch am geübtesten bin, so könnte ich Ihnen eine etwas ausführliche machen zu einem vorhabenden Oelbildchen, auch, wären Sie etwa damit zufrieden, durch sorgfältige Contoure etwas dargestellt zu sehen, für Sie, wie ich schon für mich selbst zu thun Lust gehabt, einige Auszüge aus den größeren Compositionen, die ich gemacht, in größerem Format ausführen, wo ich denn die Charaktere besser gegen einander zu stellen im Stande seyn würde. Ich würde Ihnen z. B. eine Gruppe herausziehen können, […].“(Anm. 4)

Peter Prange

1 Brief vom 26. Juni 1803 an Daniel, vgl. HS I, S. 47.
2 Der Tag. Mittelgruppe auf Goldgrund, Öl auf Pappe, 31,1 x 26,3 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1025, vgl. Traeger 1975, S. 362, Nr. 285, Abb. Vgl. auch HS I, S. 229.
3 Vgl. HS II, S. 537.
4 Brief vom 13. April 1805 an Schildener, vgl. HS I, S. 195. Vgl. auch Inv. Nr. 34180.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz über Bleistift, Pinsel in Grau 323mm x 273mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34178 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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