Philipp Otto Runge

Der Tag (Konstruktionszeichnung - Tageszeiten), 1803

Am 15. Juni hatte Runge „die schwerste Hälfte von der jetzt fertig zu machenden Arbeit hinter“ sich gebracht (Anm. 1), womit die Konstruktionszeichnungen und die Kupferstichvorlagen zum „morgen“ und „Abend“ gemeint sind. Einen Tag später schrieb er an den Vater, er sei heute mit einer großen Zeichnung nach vier Wochen fertig geworden, und ergänzt: „Ich freue mich nun fast noch mehr, die dritte anzufangen.“ (Anm. 2) Die Zeichnungen zu den Tageszeiten waren bis Ende Juli vollendet, als Runge an Daniel meldete, dass er gestern Abend mit seinen Zeichnungen „ganz fix und fertig geworden“ sei, „selbst mit den Aenderungen, die ich an einer noch machen mußte.“ (Anm. 3) Eine genauere Rekonstruktion der Entstehungsdaten lassen die erhaltenen Überlieferungen nicht zu, doch ist es wahrscheinlich, dass die Konstruktionszeichnung und Kupferstichvorlage zum „Tag“ nach dem 15. Mai vor den Zeichnungen zur „Nacht“ entstanden, die Runge erst danach bis zum 30. Juli fertiggestellt hat.
Für die Konstruktion des „Tag“ blieben die Maße des „Morgens“ (Inv. Nr. 34173) verbindlich; der Maßstab an der vertikalen Symmetrieachse beträgt ebenfalls 30 Zoll, während in der Horizontalen das Maß 20 Zoll beträgt, das Runge an drei Stellen – der unteren Rahmenleiste oben, der horizontalen Mittelachse und der oberen Rahmenleiste unten – angegeben hat. Es ergibt sich somit wie beim „Morgen“ und dem „Abend“ ebenfalls ein Verhältnis von 3 in der Höhe zu 2 in der Breite.
Waetzoldt unterschied im Binnenbild drei Zonen: eine untere mit Wasserbecken und Laube, eine mittlere Zwischenzone mit den auf den Irisblättern lagernden Kindern, und eine obere mit Lichtlilie und Kornblumenkranz. Die drei Zonen hat Runge durch horizontale Linien auf der Höhe von 12 und 18 Zoll kenntlich gemacht, so dass das Binnenbild im Verhältnis von 2 zu 1 zu 2 aufgeteilt ist. Drei weitere horizontale Linien in der unteren Zone bei 5, 7 und 9 Zoll dienen der Festlegung der zentralperspektivischen Konstruktion, in die ein Dreieck eingeschrieben ist, das die Anordnung von Mutter und Kindern vorgibt. Diesem Höhenmaß von 2 Zoll unterliegt auch das quadratische Raster, das die perspektivische Konstruktion umgibt. Oberhalb der Laube folgen drei Streifen im Höhenmaß von jeweils 3 Zoll, die u. a. das Höhenmaß für den Kornblumenring und die Lichtlilie vorgeben.
Parallel zum rechten Rand verlaufen insgesamt drei Maßstäbe, von denen die beiden inneren die Bezeichnung „8 kopflängen von Mutter“ und „5 kopflängen“ tragen. Die bisherige Lesart als „2 kopflängen von Mutter“ ist unzutreffend, da der zugehörige Maßstab acht Abschnitte zeigt. Der Abstand zwischen Scheitel der Mutter und dem horizontalen Maßstab unten entspricht exakt dem Maßstab „8 Kopflängen von Mutter“ wie der Maßstab „5 Kopflängen“ der Höhe von zwei übereinanderstehenden Quadraten in der unteren Zone entspricht. Ob Runge diesen Bezug beabsichtigte, muss allerdings einstweilen offen bleiben. Auch ob sich der äußere Maßstab auf eine Ausführung als Wanddekoration bezieht, wie es Waetzoldt für die Konstruktionszeichnung zum „Morgen“ (inv. Nr. 34173) angenommen hat, lässt sich nicht eindeutig entscheiden.
Auf dem Binnenbild stehen „geometrische Flächengliederung“ und „perspektivische Hilfskonstruktion zur Darstellung von Tiefenraum“ (Anm. 4) nebeneinander. Dies gilt insbesondere für die Mutter-Kind-Gruppe, die beiden Ordnungen angehört. „Räumlich befinden sie sich in drei Ebenen hintereinander: die äußeren Kinder vorn, die kauernden und innen stehenden in der Mitte und die Mutter mit den beiden Kleinen hinten. Der Flächenordnung sind sie angeschlossen, weil die Gruppe der Mutter mit den beiden inneren Kinderpaaren vor dem Hintergrund der exemplarischen Flächenform der Laube ein Dreieck auf der Fläche bildet, die dem Dreieck der perspektivischen Konstruktion ähnelt. Die Gruppe der Menschen, die beiden Ordnungen angehört, verbindet also Raum- und Flächenformen.“ (Anm. 5) Diese Kontrastierung von Raum- und Flächenformen wird in der Rahmenzone wiederholt.
Die wichtigste Änderung gegenüber Inv. Nr. 34175 betrifft die mittlere Zone, in der der Flachs auf der weiblichen und die Kornähren auf der männlichen Seite nicht in die nächste Zone hineinreichen und die Stellung der auf dem Schilf der blauen Iris lagernden Kinder verändert wurde. Statt sich gegenüber zu sitzen, lagern sie jetzt nebeneinander in einer Haltung, die von Bacchus und Ariadne aus dem Mittelbild für die „Freuden des Weines“ übernommen ist (vgl. Inv. Nr. 34269).

Peter Prange

1 Brief vom 15. Juni an die Mutter, vgl. HS II, S. 220.
2 Brief vom 16. Juni an den Vater, vgl. HS II, S. 221.
3 Brief vom 31. Juli an Daniel, vgl. HS II, S. 230.
4 Waetzoldt 1954, S. 241.
5 Waetzoldt 1954, S. 241.

Details zu diesem Werk

Feder in Grau über Spuren von Bleistift; Kreiskonstruktion und Hilfslinien des Kornblumenkranzes mit Feder in Rot 721mm x 508mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34176 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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