Philipp Otto Runge

Petrus auf dem Meer, 1806

Daniels Beschreibung, die er von dem ausgeführten Gemälde (Anm. 1) gegeben hat, trifft auch weitgehend auf das Aquarell zu: „Die hohe Gestalt Christi ist rechts im Bilde vom jenseitigen Ufer her über den See, der vor seinen Tritten still und glatt geworden, bis nahe an den Vorgrund hergewandelt; hinter ihm ist hoch am Himmel der Mond durch krause Wolken gebrochen und gießt seinen Schimmer nieder auf den ganzen Weg hinter den Schritten des Herrn; ganz nahe vor den Füßen Jesu so wie rechts und links im Bilde brüllen noch die vom Wind empörten Wogen auf, ein Theil seines Gewandes weht ihm über’m Haupt linkshin. Er ergreift den angstvollen Petrus, der mit gebogenen Kniien im Begriff zu sinken ist, an dem zu ihm hinaufgestreckten Arm. Petrus ist nackt an Füßen und Oberleibe, vom Gurt an mit einem Fischerbeinkleide bedeckt. – Links ist das Schifflein von den stürmenden Wellen gedrängt, oben in düstrer Wolke, das Segel weit nach der linken Seite hin geschwellt; in demselben sind die übrigen eilf Jünger, alle zu Jesu hinblickend. Zunächst an den Heiland hinten im Schiff Judas Thaddäus, mit beiden ausgestreckten Armen über den Bord hinaus wie um Hülfe langend; über ihm Matthäus, ein alter Kopf, sich mit der Linken fest an den Bord haltend, die Rechte ein wenig erhebend; dann Bartholomäus stehend, mit der Linken das Steuer führend, kahlen Hauptes, bis auf einige Haarbüschel; ihn umfaßt mit der Linken, niedergesunken, Jacobus der Größere. Johannes, jugendlich, sitzt fast in der Mitte des Schiffes, glaubensvollen Blicks die Arme und Hände kreuzweise über die Brust faltend. Ihm zunächst sitzt Simon von Cana, kahl, bärtig, die Hände flehend erhoben. Angstvoll klammert Judas Ischarioth sich mit beiden Händen an den Bord. Hinter ihm kommt Thomas, erschreckt die Hände emporspreizend. Andreas steht hoch, mit der Rechten auf Christum weisend, die Linke hält kraftvoll ein Tau des Mastes fest. Hinter ihm, niedriger, Philippus. Ganz vor steht, den Segelbaum haltend, Jacobus der Kleinere, eine jugendliche Gestalt.“ (Anm. 2) Ergänzend hat Daniel die Unterschiede zwischen Aquarell und Gemälde aufgeführt: „In der Zeichnung sieht man rechts am Himmel unter dem Mond und Gewölk drey Engelknaben in einem Kreise tanzend; weiter unten zu jeder Seite des Pfades, den der Heiland über den See gegangen, sitzt auf einer kleinen Wolke ein größerer bekleideter Engel; sie halten, auf den mondbeleuchteten Pfad niedersehend, die Hände wie zur Anbetung. In dem Gemählde von allem diesem nichts, außer daß man die wieder ausgelöschte Spur eines betend herniedersinkenden Engels entdeckt.“ (Anm. 3) Hohl erkannte darin die Absicht, im Gemälde „das Wunderbare ohne unglaubwürdige Erscheinungen ganz im Naturgeschehen sinnfällig zu machen.“ (Anm. 4)
Goethe schrieb Runge am 4. Dezember 1806, dass er vorhatte, „eine ausführliche Skizze in Oel auszumahlen zu einem Bilde in der Capelle, welche Kosegarten bey Arcona angefangen; die Erscheinung Christi, wo er zu Petro sagt: Du Kleingläubiger, warum zweifelst du? Es ist im Mondenschein, und da das Ganze in einer sehr ansehnlichen Größe in Verhältniß zum Gebäude ausgeführt werden soll, auch als das einzige Bild darin, so würden manche imposante Erscheinungen, der Wogen, des Mondscheins, des Stürzens der Schiffe, mit den nächsten Umgebungen in der Natur auf Rügen in Einklang stehend, zusammenzufassen seyn.“ (Anm. 5) Die mit der Natur auf Rügen in Einklang stehende Komposition betont die Bedeutung des Landschaftlichen, die für Daniel seit Runges Zeit in Dresden darin liegt, dass er „sich stets bestrebt hat, selbst in historischen Compositionen, der Naturumgebung wo möglich dieselbe Bedetung und Würde wie den Personen zu geben (und umgekehrt), ja sie so gut wie diese in Handlung zu setzen, wie z. B. deutlich in seinem Petrus auf dem Meere hervorgeht.“ (Anm. 6) Die Einheit von Figur und Landschaft ist signifikant für das Aquarell, auf dem gegenüber Inv. Nr. 34158 die Landschaft als Bedeutungsträger im Sinne einer emotionalen Aufwertung des Geschehens eine wesentliche Rolle spielt. Die tosenden Wogen und der dräuende Nachthimmel mit den aufgeladenen Wolkenformationen verstehen sich trotz aller Stilisierung als landschaftliche Synonyme der dramatischen Gesten und Gebärden der Apostel. Das religiöse Ereignis der Matthäusgeschichte wird durch den landschaftlichen Zusammenhang mit der heimatlichen Umgebung der Fischer, die täglich den Gefahren des Meeres ausgesetzt waren, „enthistorisiert“, es wird in die Gegenwart der Fischer umgesetzt. Der Realismus der Handlung überträgt Runge aber nicht auf die Darstellung des Bildes, die in ihrer Stilisierung unwirklich erscheint.

Peter Prange

1 Petrus auf dem Meer, Öl/Lw, 116 x 157 cm, Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 1007, vgl. Traeger 1975, S.411-412, Nr. 369, Abb.
2 Vgl. HS I, S. 347.
3 Vgl. HS I, S. 347.
4 Hohl, in: Runge 1977, S. 184.
5 Brief an Goethe vom 4. Dezember 1806, vgl. HS I, S. 348.
6 Vgl. HS I, S. 246.

Details zu diesem Werk

Feder und Pinsel in Braun und Grau über Bleistift 616mm x 816mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34158 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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