Philipp Otto Runge

Karl der Große und Heymon, 1804

Illustration zu "Die Heymonskinder"

Gleichzeitig mit den Zeichnungen zu Ossian plante Runge einen weiteren Illustrationszyklus mit Darstellungen zu dem bekannten Volksbuch „Die Heymonskinder“. Der aus dem Sagenkreis um Karl dem Großen stammende Stoff wurde in der Romantik mehrmals bearbeitet, u. a. von Ludwig Tieck in seiner Sammlung „Volksmärchen von Peter Leberecht“ (Anm. 1) und von Joseph Görres (Anm. 2), der 1810 einen Neuausgabe mit Illustrationen Runges plante.
Ausgeführt wurden aber nur zwei Blätter, Runge schuf 1804/05 in Hamburg laut Daniel „zwey Zeichnungen in scharfen Federumrissen, als: 1) Karl der Große und Ritter Heymon, als Charakterbilder gegeneinander gestellt, jeder mit einem breiten Arabeskenrahmen. 2) Bischof Turpin und Frau Aja, desgleichen; die Rahmen unvollendet.“ (Anm. 3) In einem Brief an Goethe, der die Sendung von Zeichnungen beinhaltete, hat Runge die dargestellten Szenen näher beschrieben: „No. 2 und 3. Ich hatte einmal im Sinn, die Geschichte der vier Haimonskinder zu bearbeiten. Ich wollte zuerst die vorzüglichsten Helden des Stücks so gegeneinanderstellen: in No. 2 den Kaiser und den alten Haimon als die beiden, die den Krieg gegeneinander erregen; in No. 3 die in der Geschichte alles zum Frieden wirken, der Erzbischof und Frau Aja. So wollte der Reinholt und der König Ludwig gegeneinander gestellt werden, so die drei Brüder und drei von den andern Helden. Und auf diesen sollten dann in unausgeführten Konturen die Begebenheiten folgen, in welche diese Figuren gegeneinander agierten. In den Rahmen um No. 2 sollte so, wie die Wirkung beider sich auf das Christentum bezieht, das Schild die Richtung angeben; der Adler ergreift die Lanze des Kaisers, und diese ist von den Wissenschaften umwunden; die Viktoria und die Reichsinsignien sind der Schluß. So wie der Löwe die andre Lanze ergreift, solche durch die Schlachten und die Hauskrone Kaiser Karls führt, nun das Ende still und das Ziel Dornkrone und drei Nägel die Beute aus dem gelobten sind.
In No. 3: So wie der Bischof den Frieden im Reich, wie die Frau Aja in der Familie herstellen möchte, ist bei dem erstern die himmlische Harmonie; bei der zweiten sollte oben eine aufgehende Sonne sein, aus welcher der Pegasus herausspringt, in Beziehung auf den Bayart, und von vier Knaben sollte einer aufspringen und es ergreifen. Unten sollte ein Basrelief angebracht sein, auf welcher für die Hostie im ersten, im zweiten für etwas dem Gleichen die Schlacht auseinanderwiche. In der Ecke die Zwietracht gefesselt, und aus der Halle heraus sollte der Chorknabe sowie die Nonne mit Rauchfaß und Gebet heraustreten, über welcher sich dann das Ziel öffnet. Diese Sachen sind aber aus vielerlei Ursachen nicht weitergekommen.“ (Anm. 4)
Erst Anfang 1810 ist das Projekt wieder in Bewegung gekommen, als Clemens von Brentano davon gehört hatte, Runge habe „Blätter aus den Heymonskindern herausgegeben“ (Anm. 5). Runge stellte diesen Irrtum sogleich richtig, dass er „davon nur zwey Zeichnungen angefangen [habe] und diese liegen noch unvollendet in meinem Portefeuille“ (Anm. 6), doch erklärte sich Joseph von Görres bereit, die Heymonskinder doch noch bei Perthes herauszubringen (Anm. 7). Runge legte daraufhin am 9. März 1810 Görres ein ausführliches Konzept für den Zyklus vor, das er entwickelt hatte: „Auf Veranlassung Ihres Anerbietens an Perthes, die Heymonskinder betreffend, bin ich so frey, Ihnen nur einiges über das zu schreiben, was ich zu diesem Gedichte entworfen hatte, und worüber mir Herr Brentano auch kürzlich geschrieben hat. Die Lust sowohl an der Geschichte selbst, als das Interesse, welches die Flaxman’schen Umrisse erregten, machten mich glauben, es werde eine leichte Sache seyn, in einem geschlossenen Cyklus dieses Gedicht durch ähnliche Contoure dem Beschauer vorüberzuführen; ich fing es indessen zu gründlich an, und es blieb aus guten Ursachen liegen, ehe noch zwey Zeichnungen fertig waren. – Bei der lebhaften Vorstellung von allen den herrlichen Gestalten und Handlungen in diesem Gedicht, leuchtete mir damals bald ein, es sey doch eine andre und schwierigere Unternehmung als die Flaxman’sche; indem die Helden nicht so bekannte Personen in dem Kreise der Kunst sind. Ich wollte deswegen die vornehmsten Handelnden erst gewissermaßen physiognomisch portraitiren, und zwar immer zwey, von analoger Bedeutung in der Geschichte, zusammenstellen.“ (Anm. 8) Neben den beiden ausgeführten Blättern plante Runge noch zwei weitere, auf denen die Figuren anthitisch aufeinander bezogen werden sollten: „Auf dem dritten sollte Reinold kommen und der Prinz Ludwig, den er nachher todtschlägt. Das vierte enthielte dann die drey Brüder, mit den drei Helden Roland, Olivier und Ogier, - und noch einige solche Blätter; das Roß Bavard sollte nicht ausgeschlossen seyn. Dann sollten die Geschichten erst kommen in sieben Abtheilungen, wo die siebente die Heiligengeschichte Reinold’s ausmachte, und jede Abtheilung sollte eben so aus sieben Bildern bestehen, so daß die letzte Vorstellung immer einen bestimmten feyerlichen Ruhepunct machte. Sie sehen, daß die Sache zu weitläufig gedacht war, und nothwendig liegen bleiben mußte. Seitdem hat eine verschiedene Richtung in bildlichen Compositionen nach der andern mich ergriffen, und ich habe endlich einsehen lernen, daß der Einzige sich einspinnt, wenn der lebendige Moment der Gegenwart noch nicht so von ihm berührt werden kann, daß alle Traditionen uns gegenwärtig erscheinen.“ (Anm. 9)
Runge plante neben den beiden erhaltenen also „noch einige solche Blätter“ mit antithetisch aufeinander bezogenen Figuren, die Daniel in folgender Ordnung überliefert hat: „1) Kaiser Karl. 2) Heymon von Dordogne. - 3) Heymerin, Hugo, Vetter Malegys- 4) Frau Aja, 5) Bischof Turpin. - 6) Reinold. 7) König Ludwig. - 8) Adelhard, Ritsart und Writsart. 9) –.“ (Anm. 10) Auch sah Runge statt der sieben Görres angekündigten geschichtlichen Abteilungen acht vor: „1) Von dem Zorne des Kaisers Karl und dem Morde Hugo's bis auf die Geburt Reinold's. 2) Vom Abschiede des Königes Ludwig aus dem Kloster bis auf die Flucht der Heymonskinder mit dem Rosse Bayard. 3) Von der Ankunft bey dem Könige Saforet in Spanien bis auf die Erbauung der Festung Montalban. 4) Von der Belagerung Montalban's bis auf die Befreyung der Brüder Reinold's durch Malegys. 5) Von der Entsetzung von Cöln durch Roland, bis Reinold mit Malegys von dem Könige Karl die Krone gewinnt und sie zu Montalban ankommen. 6) Von Vgier's Turnier mit Goutier, bis Ritsart wieder errettet wird. 7) Von Malegys' Gefangennehmung bis auf den Tod des Rosses Bayard. 8) Reinold's Heldenthaten in Palästina bis auf Malegys' Tod, und Reinold's heilige Mirakel, Tod und Kanonisirung.“ (Anm. 11)
Am 16. September 1810 war Görres guter Hoffnung, das Projekt – wahrscheinlich für seine geplante „Bibliotheca Vaticana“ (Anm. 12) – zum Abschluß zu bringen, doch musste Perthes bereits wenig später berichten, dass Runge „auf einem erbärmlichen Krankenlager ohne Hoffnung darnieder[liegt].“ (Anm. 13) Der Tod Runges verhinderte die Ausführung des Projektes, das Runge Jahre zuvor allerdings nur mit wenig Elan verfolgt hatte, wie er gegenüber Clemens von Brentano 1810 gestand: „[…] ich unterliess diese Arbeit darum weil kein Verhältnis zwischen der Arbeit und der Theilnahme daran war.“ (Anm. 14)
Pauli hatte für die Illustrationen die Anregung durch Flaxmans Homerzyklus angenommen (Anm. 15), was insofern sicher zutreffend ist, dass Runge auf dessen Projekte im Zusammenhang mit dem Umfang der Heymonillustrationen direkten Bezug nimmt (Anm. 16). Die beiden erhaltenen „Charakterbilder“ - wie sie Daniel nennt (Anm. 17) - reflektieren in ihrer statuarischen Bildhaftigkeit insbesondere bei Inv. Nr. 34150 ähnliche Programme der Dürerzeit, doch werden sie durch eine dekorativen Rahmen eingefasst, der in seiner flächenhaften Aussparung des weißen Papiers auf dem ansonsten einheitlich grau gefassten Grund an die Rahmenkonstruktion der „Freuden des Weins“ (vgl. Inv. Nr. 34270) erinnert. Traeger hat wegen der Nähe zu dem 1802 entstandenem Werk Daniels unentschiedene Datierung „1804/05“ dahingehend zu präzisieren versucht, dass er eine Entstehung der beiden Illustrationen bereits 1804 annimmt – auch deshalb, weil der umfangreiche Zyklus besser in das relativ werkarme Jahr passen würde. Die Ableitung der Rüstungen Karls des Großen und Heymons von „einem geharnischten Ritter von Holz mit einem großen Spies“, den Runge Mitte Dezember 1803 gegenüber Pauline erwähnt (Anm. 18), muss dagegen Hypothese bleiben. Das Motiv der umrankten Lanzen griff Runge 1809 in seinen Entwürfen zum „Vaterländischen Museum“ (Inv. Nr. 34316) wieder auf; auch der Entwurf zur Rahmung der „Komischen und Tragischen Maske“ (Anm. 19) verdankt dem früheren Werk Anregungen.

Peter Prange

1 Ludwig Tieck: Die Geschichte von den Haimonskindern in zwanzig altfränkischen Bildern, Berlin-Leipzig 1797
2 Joseph Görres: Die Haimonskinder, in: Die teutschen Volksbücher, Heidelberg 1807.
3 Vgl. HS I, S. 350.
4 Brief vom 19. April 1808 an Goethe, vgl. Maltzahn 1940, S. 85-86.
5 Brief Brentano vom 21. Januar 1810 an Runge, vgl. HS II, S. 395.
6 Brief vom 9. Februar 1810 an Brentano, vgl. Feilchenfeldt 1974, S. 29.
7 Görres, Gesammelte Schriften
8 Brief vom 9. März 1810 an Görres, vgl. HS I, S. 250.
9 Brief vom 9. März 1810 an Görres, vgl. HS I, S. 251.
10 Vgl. HS I, S. 252.
11 Vgl. HS I, S. 252-253.
12 Eberlein 1923/24, S. 24.
13 Joseph von Görres: Gesammelte Schriften, hrsg. von Maria Görres, Bd. 2, München 1874, S. 121.
14 Brief vom 9. Februar 1810 an Brentano, vgl. Feilchenfeldt 1974, S. 29.
15 Pauli 1916, S. 39, Nr. 100.
16 Vgl. HS I, S. 250. Vgl. dagegen Traeger 1975, S. 366.
17 Vgl. HS I, S. 251.
18 Brief vom 16. Dezember 1803 an Pauline, vgl. Philipp Otto Runge. Briefe in der Urfassung, hrsg. von Karl Friedrich Degner, Berlin 1940, S. 168.
19 Die komische und tragische Maske, Feder in Schwarz, 145 x 202 mm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, SZ 25, vgl. Traeger 1975, S. 454-455, Nr. 471.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz, Pinsel in Grau 505mm x 664mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 34150 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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