Raffaello Sanzio Morghen, Stecher
Giovanni Volpato, Stecher, Verleger
nach Stefano Tofanelli, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Die drei Kardinaltugenden Stärke, Weisheit, Mäßigung, 1781

Die Südwand der Stanza della Segnatura wurde mit ihren Tugenden und Darstellungen zur Gerechtigkeit von den Graphikern sehr zurückhaltend wahrgenommen. Innerhalb der überschaubaren Gruppe von Wiedergaben ragt Francesco Aquilas Radierung als erste und lange Zeit einzige Gesamtdarstellung heraus (Inv.-Nr. 2020-28-11). Daneben gebührt Raphael Morghens Reproduktion des Lünettenfeldes starke Beachtung.

Morghen hatte sich 1781 erstmals intensiv mit Raffael befasst, als er im Auftrag von Giovanni Volpato zwei der vier Tondi vom Gewölbe der Stanza della Segnatura reproduzierte (Inv.-Nr. 3152r1). Die Werke gelangen derart gut, dass Volpato den aufstrebenden jungen Künstler sogleich mit einem weiteren Auftrag im Rahmen seines ambitionierten Stanzen-Projekts betraute (vgl. Inv.-Nr. 40457). Dabei handelte es sich um die Reproduktion der drei Kardinaltugenden in der oberhalb der beiden Szenen zur Rechtsgeschichte befindlichen Lünette. Die Aufgabe war zwar aufgrund der klar gegliederten Komposition vergleichsweise einfach, allerdings stellte die hohe Anbringung im Raum eine Herausforderung für eine genaue Wiedergabe dar.

Morghen nahm diese mit großem Eifer an, da er offenbar erkannt hatte, welch enorme Chance die Mitarbeit an Volpatos Prestigeprojekt für seine Laufbahn bedeutete. Folgt man seinem Biographen Palmerini, so machte er sich nur wenige Tage, nachdem er Anfang 1781 Volpatos Tochter geheiratet hatte, mit Verve an die Arbeit. Er wollte, so Palmerini, allen zeigen, dass man bei großen Aufgaben mit seinem Einsatz nicht nachlassen dürfe – selbst in Zeiten des privaten Glücks. Wenn auch diese Begebenheit ins Gebiet der Künstleranekdote fallen dürfte, so enthält sie doch einen Kern Wahrheit. Morghen war ein eminent fleißiger Graphiker, der am Ende seines Lebens ein reiches OEuvre hinterließ.

Welch hohes Niveau er dabei bereits in jungen Jahren erreichte, belegt seine Wiedergabe des Lünettenfeldes (zum Inhalt siehe Inv.-Nr. 2020-28-11). Sie zeigt Morghen als technisch versierten Graphiker, der nicht nur sehr genau reproduziert, sondern den drei Kardinaltugenden Kraft und Ausdruck verleihen kann. Anders als Aquila setzt er auf stärkere plastische Ausarbeitung, was den anmutvollen und eleganten Figuren mehr Präsenz verleiht. Unklar ist, ob Volpato als Projektleiter oder ob Morghen die Idee entwickelte, das Lünettenfeld einzeln darzustellen. Sicher ist, dass erst durch diese Reproduktion Raffaels durch die hohe Anbringung schwer lesbare Komposition überhaupt in ihrer ganzen Qualität für die Betrachter sichtbar wurde. Sie setzte bis zur Entwicklung leistungsstarker Fotografien für dieses Bildmotiv einen nicht erreichten Maßstab.

Schon die Zeitgenossen lobten Morghens Leistung in hohem Maße. So war es konsequent, dass Volpato seinem Schwiegersohn einen weiteren Auftrag anvertraute. Diesmal handelte es sich mit der Messe von Bolsena sogar um ein komplettes Wandbild in der Stanza di Eliodoro. Spätestens mit dieser hervorragend ausgeführten Reproduktionsgraphik etablierte sich Morghen als einer der wichtigsten Vermittler der Werke Raffaels.
David Klemm

LIT (Auswahl): Palmerini 1824, S. 136, Nr. 49; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi
Valenti Rodinò 1985, S: 41, Nr. V.4; S. 294, Abb. 4b; Höper 2001, S. 386, Nr. F
4.19.1 (mit älterer Lit.)

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung 441mm x 760mm (Platte) 604mm x 930mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 3152k Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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