Giovanni Volpato, Radierer
Bernardino Nocchi, Zeichner
Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Die Befreiung Petri, 1784

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 8

Die Apostelgeschichte erzählt nur in wenigen, aber umso nachdrücklicheren Sätzen, wie der ins Gefängnis gebrachte Petrus von einem Engel befreit wurde (Apg. 12, 6–10). Danach lag der streng bewachte Apostel in Ketten, als ein Engel zu seiner Rettung erschien. Dieser entscheidende Augenblick wurde von Raffael zum zentralen Motiv seines Wandbildes an der Südseite der Stanza di Eliodoro gewählt. Zu sehen ist ein resignativ wirkender Petrus, der sich angesichts seiner hoffnungslosen Lage fast teilnahmslos seinem Schicksal zu ergeben scheint. In diesem Moment der Hilflosigkeit erscheint der Engel, der das finstere Verlies mit seiner Erscheinung hell erleuchtet. Fürsorglich beugt er sich zu dem Gefangenen, um ihn im nächsten Augenblick zur Flucht aufzufordern. Die links und rechts erkennbaren Wächter nehmen diese Rettungsaktion nicht wahr.

Raffael komponierte die Szene – wie bei der gegenüberliegenden Messe von Bolsena – indem er die vorgegebene, von einem großen Fenster durchbrochene Wand geschickt in die Komposition einbezog. Links und rechts von dieser Öffnung arrangierte Raffael fingierte Treppen, auf denen weitere Wärter schlafend oder auf unterschiedliche Weise auf das Geschehen im Kerker reagierend zu sehen sind. Auf der rechten Seite wird der von seinen Ketten befreite Petrus vom Engel an die Hand genommen und aus dem Gefängnisareal geleitet.

Die malerische Umsetzung dieser Komposition darf als eine der genialsten Leistungen Raffaels bezeichnet werden. (Anm. 1) Das dramatische Ereignis wird nicht nur von der kraftvollen Präsenz der Figuren, sondern vor allem von den sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen des Lichtes bestimmt. Während der links oben befindliche Mond noch die Nacht erhellt, kündigt sich am Horizont bereits die Morgenröte an. Hinzu kommt das Fackellicht des Soldaten links, welches die metallischen Rüstungen der Wächter zum Glänzen bringt. Rechts entfaltet das göttliche Licht starke Effekte. Dies gilt auch ganz besonders für das Zentrum, in dem das um den Engel erkennbare Licht geradezu gleißend ist. Die übernatürliche Erscheinung wird noch dadurch gesteigert, dass Raffael die Idee hatte, das Gefängnis mit dunklen Stäben zu vergittern. Zur irritierenden und faszinierenden Wirkung trägt letztlich auch das natürliche Tageslicht bei, das bei geöffnetem Fenster den Betrachtenden entgegenströmt (Anm. 2) Auf diese Weise entstand eines der bedeutendsten Beispiele für eine Gegenlichtmalerei in der europäischen Kunst. (Anm. 3)

Dieses Feuerwerk an malerischer Feinkultur stellte die Reproduktionsgraphiker vor größte Herausforderungen. Es wundert daher nicht, dass die Befreiung Petri nur sehr selten als Druckgraphik Verbreitung fand. (Anm. 4) Vor diesem Hintergrund verdient Giovanni Volpatos auf einer Farbkopie von Bernardino Nocchi basierenden Reproduktion umso mehr Bewunderung. Tatsächlich gelang es dem Künstler, Raffaels differenzierte Lichtführung – soweit dies mit graphischen Mitteln möglich ist – hervorragend umzusetzen. Wiederum kam Volpato dabei die von ihm bevorzugte kombinierte Verwendung von Kupferstich und Radierung zugute. Auf diese Weise gelangen ihm gleichsam malerische Effekte. Die Reproduktion ist das achte Blatt innerhalb von Volpatos Serie der Wiedergabe der wichtigsten Wandbilder der Stanzen (vgl. Inv-Nr. 719).

Wie bei den anderen Bildern der Stanza di Eliodoro ist die Themenwahl der Befreiung Petri eng mit der Biographie des Auftraggebers Julius II. verknüpft. (Anm. 5) Dessen Titularkirche war San Pietro in Vincoli
(Sankt Peter in Ketten), der Überlieferung nach Aufbewahrungsort jener Ketten, an die Petrus gebunden war. Es war auch diese Kirche, in der Julius II. sich nach dem wichtigen Sieg über die Franzosen zum Dankgebet zurückzog. Wie Petrus war also auch Julius II. durch das göttliche Eingreifen gerettet worden. So war es folgerichtig, dass Petrus die Gesichtszüge des Papstes erhielt. Julius II. starb während Planung und Ausführung des Wandbildes, das Raffael bis 1514 mit partieller Unterstützung seiner Werkstatt vollendete.
David Klemm

LIT (Auswahl): Marini 1998, S. 137–138, Nr. 217; Höper 2001, S. 401, Nr. F 10.1
(mit älterer Lit.)

1 Schon Vasari ist voll höchstem Lob, was seitdem nicht abgerissen ist: „Wegen der Art, in der er die Nacht darstellte, die ähnlicher ist als alles, was die Malerei jemals zustande brachte, ist dieses Werk das göttlichste und wird von allen für das erlesenste gehalten.“; vgl. Vasari/Gründler 2004, S. 51.
2 Vgl. die anschauliche Beschreibung von Giorgio Vasari; Vasari/Gründler 2004, S. 50–51.
3 Vgl. auch die Einschätzung von Buck/Hohenstatt 2013, S. 76, die explizit die Gegenlichtmalerei hervorheben; vgl. auch Vasari/Gründler 2004, S. 132, Anm. 121.
4 Höper 2001, S. 401.
5 Dussler 1966, S. 91

Details zu diesem Werk

Radierung und Kupferstich 516mm x 734mm (Bild) 576mm x 758mm (Platte) 649mm x 974mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 3092c Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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