Giovanni Volpato, Radierer
nach Stefano Tofanelli, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Der Parnass, 1783

Aus: Le stanze di Raffaello, Blatt 5

Nach Mathams Reproduktion des Parnass-Wandbildes (Inv-Nr. 4575) folgten vereinzelt Druckgraphiken, die entweder die gesamte Komposition oder Details davon zeigten. (Anm. 1) Es war einmal mehr Francesco Aquila, der 1722 mit seiner Radierung in punkto vollständiger und akkurater Wiedergabe Fortschritte erzielte. Bei ihm finden sich offenbar erstmals die Szenen in den Fensternischen. Allerdings fehlt dieser Reproduktion die Durcharbeitung mittels Hell-Dunkel-Kontrasten. Diese für Aquila typische Erscheinung wird umso deutlicher, wenn man seine Radierung mit Giovanni Volpatos 1783 erschienener Reproduktion vergleicht. (Anm. 2) Sie überstrahlt die Vorgängerin mühelos hinsichtlich der Präsenz der Figuren und der harmonischen und malerischen Gesamtstimmung. Volpato publizierte den Parnass als fünftes Blatt innerhalb seiner wohl mindestens siebzehnteiligen Serie der Stanzen-Wandbilder. Als Vorlage stand ihm eine genaue Farbkopie von Stefano Tofanelli zur Verfügung. Trotz einer Reihe anderer Reproduktionen des 19. Jahrhunderts – etwa von Oswald Ufer (Anm. 3) – prägte Volpatos Interpretation das allgemeine Bild vom Parnass auf lange Sicht hin maßgeblich. Wie viele andere Stanzen-Blätter des Künstlers wurde seine Version bis zur Etablierung einer leistungsfähigen Fotografie die kanonische Reproduktion.

Das Blatt stieß allerdings nicht nur auf begeisterte Zustimmung. Johann Rudolf Füssli bemängelte 1798, dass die Druckgraphik offenbar „nach einer äusserst sorgfältigen und beynahe ängstlichen ausgearbeiteten Zeichnung gemacht“ (Anm. 4) sei und dass auch die Reproduktion diesen Eindruck hervorrufe. Füssli sah zwar auch „viel Ausdruck und Wahrheit in den stark bezeichneten männlichen Gesichtern“ (Anm. 5), er vermisste aber weitgehend Raffaels „Anmuth und Grazie in den Gesichtern der Musen.“ Beim Apoll fehlte ihm Würde und Erhabenheit, Eleganz und Schönheit. (Anm. 6)

Diese allzu schroffe Beurteilung verkennt den entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt von Volpatos Reproduktion und sie sieht auch nicht, dass bei diesem Künstler die Leistung vor allem in der fein nuancierten malerischen Gesamtwirkung besteht. Auch sind Volpatos Köpfe keineswegs derart unbeholfen wie Füsslis Besprechung vermuten lassen könnte. Hierfür spricht letztlich auch ein Kupferstich Raphael Morghens, der elf dargestellte Köpfe mit Nummerierung und Namensnennung zeigt. (Anm. 7) Volpato hatte derartige Erläuterungsblätter auch für die Schule von Athen und die Disputa herausgebracht. Mit diesem who-is-who-Blatt wurde sicherlich einem Bedürfnis des Publikums Rechnung getragen. Offenbar war es eine Art Gesellschaftsspiel, die dargestellten Persönlichkeiten zu identifizieren. (Anm. 8) Diese erklärenden Drucke waren aber auch Beleg für eine zunehmende wissenschaftliche Beschäftigung mit den komplexen Inhalten der Wandbilder. Doch auch im 21. Jahrhundert ist das Interesse an einer Identifikation der Personen noch immer ein Thema der Raffael-Forschung.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 36,
Nr. II.7 b (ohne Nummerierung); Marini 1998, S. 136–137, Nr. 213; Höper 2001,
S. 383, Nr. F 3.7

1 Höper 2001, S. 383–384.
2 Volpato übergab dem Papst 1783 ein Exemplar des Druckes, was diesen sehr erfreute; vgl. Ausst.-Kat. Brescia 2020, S. 130.
3 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 36, Nr. II.9.
4 Zit. nach Höper 2001, S. 384.
5 Ebd.
6 Ebd.
7 Höper 2001, S. 384, Nr. F 3.8, Abb. 138 auf S. 99.
8 Höper 2001, S. 99.

Details zu diesem Werk

Radierung und Kupferstich 572mm x 754mm (Platte) 660mm x 959mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 3092b Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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