Marcantonio Raimondi, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Erfinder

Triumph der Galatea, um 1513 (?)

Nachdem Raffael für Papst Julius II. in der Stanza della Segnatura aufsehenerregende Werke geschaffen hatte, wurden auch andere kunstsinnige Auftraggeber auf ihn aufmerksam. Innerhalb dieser Gruppe ragt eindeutig der aus Siena stammende Agostino Chigi heraus. Dieser war als Bankier des Papstes einer der wohlhabendsten Bürger Roms. (Anm. 1) Er war zudem humanistisch gebildet, Antikensammler, Bauherr und Mäzen von hohem Zuschnitt. Das Zusammenwirken dieses außergewöhnlichen Auftraggebers mit Raffael führte zu herausragenden Werken der Hochrenaissance (siehe Ausst.-Kat. Raffael. Wirkung eines Genies 2021 Nr. 55–62, 73–74).

Den Anfang machte das Wandbild Triumph der Galatea, das Raffael um 1512 für Chigis, in der Nähe des Tibers gelegenen Villa schuf. Dieser später als Villa Farnesina bezeichnete Wohnsitz befand sich damals noch jenseits der Stadtmauern in ländlicher Umgebung. Die von Baldassare Peruzzi entworfene Anlage war der Rückzugsort eines vielbeschäftigten Geschäftsmannes und sollte dessen Erholung im Kreise seiner Familie dienen. (Anm. 2) Als Raffael sein Wandbild ausführte, waren schon Teile der Villa ausgemalt, beispielsweise mit dem Horoskop des Hausherrn. In der Gartenloggia des Erdgeschosses (heute Loggia di Galatea) sollte Raffael nun das Schicksal der Galatea darstellen – damit widmete sich der Künstler erstmals seit den Drei Grazien (Inv.-Nr. R-00170) wieder einem antiken Sujet. (Anm. 3) Die Darstellung folgt den Eikonés (Bildbeschreibungen) des antiken Schriftstellers Flavius Philostratos. Dieses Werk war von dem italienischen Humanisten Angelo Poliziano bearbeitet worden und damit in Rom um 1510 verfügbar.

Raffaels Werk entstand in einem künstlerischen Wettstreit mit einer in direkter räumlicher Nähe befindlichen Darstellung des um Galatea werbenden Polyphem. (Anm. 4) Dabei ignorierte Raffael die von seinem Konkurrenten Sebastiano del Piombo gemachten Vorgaben und schuf ein eigenständiges Werk von größter Harmonie und Lebendigkeit. Es wurde zu einer seiner bekanntesten Schöpfungen, was sich auch in zahlreichen Reproduktionen widerspiegelt. (Anm. 5)

Den Anfang in dieser Reihe machte Marcantonio Raimondi, auf dessen Kupferstich die in einer eleganten Drehbewegung (figura serpentinata) gezeigte Nymphe das Zentrum bildet. Galateas Muschelwagen wird von Delfinen – Symbolen der Keuschheit – durch das Meer gezogen. Um sie herum herrscht heftig entflammte und zugleich sinnliche Leidenschaft. Doch die mit einem prachtvollen Gewand und Mantel mehr oder weniger bekleidete Galatea hat nur Augen für den über ihr schwebenden Amor der platonischen Liebe. (Anm. 6)

Raimondi arbeitete mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht direkt nach dem Wandbild, sondern nach einer dem Fresko sehr nahekommenden Zeichnung. (Anm.7) Hierfür spricht, dass trotz unverkennbarer Übereinstimmungen zwischen Vorlage und Druck auch zahlreiche Unterschiede bestehen. Dies betrifft u. a. die Haare, Handhaltungen und Mimik sowie die Darstellung der Wolken und der Wasserwirbel. Zudem hält Raimondis Galatea nur einen statt zweier Delfine am Zügel.

Der in seiner Gesamtwirkung kraftvolle und ausgewogene Kupferstich fand sehr unterschiedliche Beurteilungen, die von höchstem Lob bis hin zur schroffen Ablehnung reichen. (Anm. 8) Auffallend sind die etwas unsystematische Schraffurtechnik und das Herausarbeiten von Körperformen durch zahlreiche gesetzte Einzelpunkte. (Anm. 9) Derartige technische Details sprechen eher für eine Datierung um 1512/13, also in einer zeitlichen Nähe zur Entstehung der Wandmalerei. (Anm. 10) Hiervon wurde allerdings in der Forschung bislang weitgehend Abstand genommen. Eine frühe Datierung passte nicht zur Signatur Raimondis mit dem Täfelchen, die nach bisheriger Meinung erst ab 1515 Verwendung fand. Da diese Hypothese durch Anne Bloemachers Forschungen zumindest fraglich ist, soll hier der von ihr vermuteten, besser in die Stilentwicklung passenden früheren Datierung gefolgt werden. ( Anm. 11)
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch XIV (1813), S. 262, Nr. 350; Shoemaker 1981, S. 122–124,
Nr. 33; Bloemacher 2016, S. 237–240

1 Zu Chigi siehe Vasari/Gründler 2004, S. 124.
2 Zur Villa und ihrer Ausstattung vgl. Kliemann/Rohlmann 2004, S. 194–213 (Beitrag Michael Rohlmann).
3 Buck/Hohenstatt 2013, S. 61.
4 Kliemann/Rohlmann 2004, S. 196.
5 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 149–151; Höper 2001, S. 343–346.
6 Buck/Hohenstatt 2013, S. 61.
7 Zur Diskussion siehe Ausst.-Kat. Lawrence/Chapel Hill/Wellesley 1981, S. 122; ausführlich auch Bloemacher 2016, S. 237 mit zahlreichen treffenden Beobachtungen.
8 Ausst.-Kat. Lawrence/Chapel Hill/Wellesley 1981, S. 122.
9 Shoemaker vermutete, dass dies möglicherweise mit Raimondis Versuch zu erklären sei, ein flächiges Wandbild in das Medium der Druckgraphik zu übertragen; vgl. Ausst.-Kat. Lawrence/Chapel Hill/Wellesley 1981, S. 122–124.
10 Ausst.-Kat. Lawrence/Chapel Hill/Wellesley 1981, S. 122.
11 Von Interesse ist ein etwa um 1516 entstandener Kupferstich Marco Dentes mit dem Triumph der Galatea. Er ist wahrscheinlich unabhängig von Raimondis Kupferstich unter Verwendung der auch von Dente benutzten Zeichnung entstanden; hierauf deuten Unterschiede zu Raimondis Stich hin; vgl. Bloemacher 2016, S. 237–240.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 402mm x 289mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 293 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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