Joseph von Keller, Zeichner, Stecher
nach Jakob Götzenberger, Maler, Erfinder

Die Philosophie, 1833

Der hier in einem frühen Druck vor der Schrift erhaltene Kupferstich Joseph von Kellers (Anm. 1), der für seine Reproduktionsstiche nach Raffaels Disputa (Inv-Nr. 26557) und der Sixtinischen Madonna bekannt war, gibt Jakob Götzenbergers 1829 bis 1831 ausgeführtes Fresko Die Philosophie in der 1945 kriegszerstörten Aula der Universität Bonn wieder. (Anm. 2) Die Komposition Götzenbergers, der Keller auf eigene Kosten mit der Reproduktion beauftragte, war eines von vier Wandbildern, in denen die Hauptfakultäten der Universität dargestellt wurden. Ursprünglich war der Auftrag zu den prominenten Fresken schon 1822 durch die preußische Regierung an Peter von Cornelius ergangen, der diesen aber durch seine Schüler Carl Heinrich Hermann, Ernst Joachim Förster (Theologie) und Jakob Götzenberger (Philosophie, Jurisprudenz und Medizin) ausführen ließ.(Anm. 3)
Ikonographisches Vorbild der vier Wandbilder waren Raffaels Darstellungen der Theologie, Jurisprudenz, Poesie und Philosophie an der Decke der Stanza della Segnatura im Vatikan. Götzenbergers Komposition mit ihren vielen in einem weiten, nach hinten offenen Raum stehenden Persönlichkeiten des geistigen Lebens vergangener Zeiten, lehnt sich im kompositorischen Aufbau eng an Raffaels Fresko der Schule von Athen an (vgl. Inv-Nr. 719, 2020-28-10, 1915-92, 45226 und 718). Doch nicht nur auf diese Weise wird Raffael bemüht, denn gemeinsam mit Albrecht Dürer bildet er (an der Position der Philosophen Platon und Aristoteles in Raffaels Fresko) unterhalb der auf einem erhöhten Thron postierten Personifikation der sprichwörtlich nackten Wahrheit (Veritas) das unmittelbare Zentrum dieses programmatischen Bildes. In seiner Hand hält Raffael den Karton zu seinem erwähnten Deckentondo der Philosophie in der Stanza della Segnatura. Hinter den beiden befindet sich der Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann, der ebenfalls den Karton festhält. Das seit dem frühen 19. Jahrhundert von Künstlern und Gelehrten kultartig verehrte Künstlerpaar Raffael-Dürer steht hier also nicht nur gleichberechtigt zwischen illustren Historikern, Philologen, Schriftstellern, Komponisten und Philosophen, sondern bildet – als nördliches und südliches Ideal der Eintracht der Kunst – vor der thronenden Allegorie der Wahrheit den Ausgangspunkt der hier dargestellten Fakultät der Philosophie. Götzenberger setzte so ein sehr deutliches Zeichen zur Aufwertung der Kunst der Malerei innerhalb der Fakultät der Philosophie.
Eine ausführliche Beschreibung und Deutung aller Personen der Philosophie neben den erwähnten Künstlern Raffael und Dürer beispielsweise Homer, Platon, Pythagoras, Sophokles, Horaz, Vergil, Caesar, Marc Aurel, Thomas von Aquin, Erwin von Steinbach, Shakespeare, Goethe oder Lessing findet sich 1906 bei Heinrich Schroers in seinem Buch über die Bonner Universitätsaula. (Anm. 4) Schroers beschließt seine Erklärungen wie folgt: „Die Mitte des Bildes zunächst am unversiegbaren Quell der Verjüngung zwischen Palästrina und Erwin von Steinbach nehmen die Meister der Malerkunst, welche die ganze Welt der Wissenschaft zu dieser Darstellung vereinigt, ein, Albrecht Dürer und Rafael, jener mit dem Gemälde des Nachsinnens (Anm. 5), dieser mit dem der Philosophie, dessen verdunkeltes Verständnis Winckelmann aufschliesst durch Hindeutung auf die entlegene Kunst des Altertums.“6
Schon Götzenbergers erstes Wandbild der Theologie wurde in Bonn sehr kritisiert und man erwog gar anstelle der Philosophie eine einfache Kopie von Raffaels Schule von Athen zu beauftragen, in der lediglich Porträtköpfe eingesetzt werden sollten. Doch dies verhinderte der Maler Wilhelm von Schadow, dem als preußischem Kommissar von Berlin aus die Aufsicht über die Arbeiten übertragen worden war. Er war zwar auch nicht vollständig von Götzenbergers Fresken überzeugt, doch diesen retrospektiven Unfug wollte er unbedingt verhindern. (Anm. 7)
Friedrich Overbeck in Rom wird das Fresko Götzenbergers sicher über den Stich Joseph von Kellers gekannt haben. Es wird sein Programmbild Triumph der Religion in den Künsten zweifellos beeinflusst haben (vgl. Inv-Nr. HK-2491 und 16484d)
Andreas Stolzenburg

Meyer 1878, S. 407; Apell 1880, S. 214, Nr. 19; Horn 1931, S. 68,
Nr. 2; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 336–337, Nr. 75 (Exemplar mit Schrift:
Beitrag Christian Scholl); Brandt/Hefele/Lehner/Pfisterer 2021, S. 295, Nr. 70

1 Der endgültige Druck weist u. a. folgende weitere Beschriftungen auf: mittig unter dem Bild: „Die Philosophie, Fresco=Gemählde in der Akademischen Aula zu Bonn. / Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen“; unten links bezeichnet: „Zu haben bei Götzenberger in Bonn u. Mannheim“; in der Mitte: „Gedruckt in der C. Schulgen-Bettendorf’schen Kupferdruckerei in Bonn“; unten rechts: „alleruntherthänigst gewidmet / von Maler Götzenberger.“
2 Zu den Fresken siehe Hinz 1978, S. 53–72; Wagner 1989, S. 445–464, mit Abb. 4–10; Schröter 1990, S. 384–389, mit Abb. 62–64 auf S. 385–387; Keazor 2021, S. 172–178, mit Abb. 91–94.
3 Büttner 1999, Bd. 2, S. 6–7.
4 Schroers 1906, S. 104–107.
5 Gemeint ist wahrscheinlich Dürers Stich der Melencolia I, doch weder auf Götzenbergers Wiedergabe noch auf den historischen Fotos der Wandbilder ist ein Motiv zu erkennen.
6 Schroers 1906, S. 107.
7 Horn 1931, S. 11–12.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Nadelschrift 295mm x 544mm (Bild) 393mm x 588mm (Blatt) 403mm x 685mm (Platte) 552mm x 798mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 26561 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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