Monogrammist M(?) B
David Vinckboons (1), (?)

Historische Szene mit Kardinälen vor dem Kaiser, um 1600

Zunächst unter den anonymen deutschen Zeichnungen inventarisiert, galt das Blatt zuletzt als Werk des David Vinckboons. Ausschlaggebend war das als „DVB“ interpretierte Künstlermonogramm. Eher handelt es sich jedoch um die Buchstaben „M B“ in etwas gelockerter Schreibweise, zudem schrieb Vinckboons sein Monogramm in ligierter Form. Auch in stilistischer Sicht fehlt der konkrete Bezug zu sicheren Zeichnungen des Künstlers. Grundsätzlich vergleichbare Arbeiten wie die Berliner „Bathseba“, die „Allegorie auf den Waffenstillstand von 1609 zwischen den Niederlanden und Spanien“ oder der um 1629 anzusetzende „Triumphzug Frederik Hendriks“ sind im Gesamteindruck von nervösen Federstrukturen bestimmt.(Anm.1) Hier indes dominiert der breite Pinselstrich, mit dem die Konturen geglättet und die Volumina weich abschattiert wurden. Dies ist besonders gut zu erkennen in den Randbereichen der Zeichnung. Auch für die länglich verschliffenen Figurenumrisse im Hintergrund fehlt eine Entsprechung im Œuvre Vinckboons’. So kann die grundsätzliche Verwandtschaft lediglich als Hinweis auf eine Entstehung im frühen 17. Jahrhundert interpretiert werden. Das in Prag 1589 verwendete Wasserzeichen kann diesen zeitlichen Ansatz grundsätzlich bestätigen und gibt darüber hinaus einen Hinweis auf den lokalen Hintergrund unserer Zeichnung.
Eine Entstehung im deutschen Reichsgebiet erscheint auch aus thematischer Sicht sinnvoll. Offensichtlich ist eine aus Sicht des Zeichners historische Szene dargestellt, denn die Protagonisten sind im Stil des mittleren 16. Jahrhunderts gekleidet. Um einen thronenden Kaiser, der durch Krone, Ornat und den Orden vom Goldenen Vlies als Habsburger ausgewiesen ist,(Anm.2) haben sich zwei streitende Parteien versammelt, die jeweils von einem Bischof angeführt werden. Zu Füßen des Thrones werden auf Geheiß des Kaisers Schriften verbrannt, deren eine offensichtlich einen deutschen Titel trägt („Acten der beiden…“). Christian Rümelin sah einen möglichen Zusammenhang mit dem Konstanzer Ketzerprozess des Jan Hus.(Anm.3) Bei der im Hintergrund dargestellten Architektur könnte es sich tatsächlich um eine freie Interpretation der Marktstätte in Konstanz handeln, und der hier abgebildete Kaiser erinnert in Physiognomie und Barttracht an Darstellungen des ungarischen Königs und späteren Kaisers Sigismund, in dessen Anwesenheit der böhmische Prediger Hus als Ketzer verurteilt wurde. Sigismund führte ebenfalls den einköpfigen Adler im Wappen.(Anm.4) Mit Jan Hus selbst lässt sich keiner der anwesenden Kleriker identifizieren, doch wird diese Interpretation indirekt bestätigt durch den auf die Schriften weisenden barhäuptigen Mann in Gelehrtentracht, bei dem es sich gut um ein Bildnis Martin Luthers handeln könnte.(Anm.5) Luther wurde in protestantischen Kreisen als legitimer Nachfolger des Hus angesehen.
Offensichtlich handelt es sich bei unserer Zeichnung um den Entwurf für ein protestantisches Programmbild, vermutlich von der Hand eines in Prag tätigen Niederländers. Die Lünettenform weist auf Architekturbezug.

Annemarie Stefes

1 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KdZ 79 A 8; Paris, École Nationale des Beaux-Arts, Inv.-Nr. Mas. 2110 und Inv.-Nr. Mas. 52421, Wolfgang Wegner, Herbert Pée: Die Zeichnungen des David Vinckboons, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 31, 1980, S. 35-128, Nr. 45; New York, Metropolitan Museum of Art, Robert Lehman Collection, Inv.-Nr. 1975.1.818, Egbert Haverkamp Begemann, Mary Tavener Holmes, Fritz Koreny, Donald Posner, Duncan Robinson: The Robert Lehman Collection VII. Fifteenth- to Eighteeth-Century European Drawings. Central Europe, The Netherlands, France, England, New York/Princeton 1999, Nr. 52. Vgl. auch „Die Großmut des Scipio“ in Windsor Castle, Collection of Her Majesty the Queen, Inv.-Nr. 12982, Wolfgang Wegner, Herbert Pée: Die Zeichnungen des David Vinckboons, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 31, 1980, S. 35-128, Nr. 47. Die im breiten Pinselstrich verwandten „Nesträuber“ in Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv.-Nr. RP-T-1958-4,Wolfgang Wegner, Herbert Pée: Die Zeichnungen des David Vinckboons, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 31, 1980, S. 35-128, Nr. 22 unterscheiden sich von unserem Blatt in der klobig anmutenden Proportionierung der Figuren.
2 Allerdings schmückt hier statt des Habsburger Doppeladlers ein einköpfiger Adler den Baldachin. Offensichtlich handelt es sich um die typisierte Darstellung eines Habsburger Kaisers, entfernt an Ferdinand I. erinnernd, der sich um die Überwindung der Glaubensdifferenzen bemühte, vgl. dessen durch Hanns Lautensack gestochenes Porträt (H. 55), Horst Rabe: Martin Luther und die Reformation in Deutschland, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1983, Nr. 94.
3 Mündliche Mitteilung, 29. 10. 2004.
4 Sigismund von Luxemburg (1368–1437), vgl. Holzschnitt aus der Chronik des Ulrich von Richtental (1536).
5 Vgl. die Porträt-Stiche von Lucas Cranach d. J. aus dem Jahre 1546, z. B. H. 39.

Details zu diesem Werk

Feder in Schwarz, grau laviert, stellenweise Pinsel in Deckweiß und Rot auf gelblichem Papier; das spitzbogige Bildfeld gerahmt mit Feder in Schwarz; Einfassungslinien mit Graphit 267mm x 392mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23927 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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