Albrecht Dürer

Das Liebespaar, um 1492-94

Das Liebespaar gilt als frühes Meisterwerk Dürers. Es ist die verhaltene Anmut und gleichzeitig spontane Lebendigkeit des dargestellten Moments, die das Blatt im Vergleich zu anderen Werken dieser Zeit auszeichnet. Unklar ist, ob die Zeichnung während Dürers Wanderschaft in Basel entstand oder nach seiner Rückkehr 1494 in Nürnberg, wo er am 7. Juli Agnes Frey heiratete. Die prächtigen Gewänder, deren auffälligen Faltenwurf Dürer bewusst inszeniert, erinnern an Basler Trachten und könnten für eine Datierung um 1493 sprechen. In den Zügen des eleganten Jünglings wurde vielfach eine Ähnlichkeit mit Dürers Selbstbildnissen in Erlangen (1491/92) und Paris (1493) gesehen. Mit dem Motiv des Liebespaares knüpft Dürer an die Bildtradition der spätmittelalterlichen Liebesgärten des Meisters E. S., besonders jedoch des Hausbuchmeisters an. Dessen um 1480–1485 datiertes Stehendes Liebespaar (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett) kann motivisch als Vorbild für das etwa zehn Jahre später entstandene Hamburger Blatt angesehen werden.

Petra Roettig
Schon Harzen hat mit seiner kurzen Beschreibung des Blattes im Inventar jene vertraute und innige Stimmung des Blattes erfasst, die später zu dem Titel "Das Liebespaar" führte. (Anm. 1) Obwohl er die Federzeichnung eindeutig Dürer zuschrieb, wurde die Hamburger Studie zunächst nicht in den Corpus der Dürer-Zeichnungen aufgenommen. (Anm. 2) Erst nachdem Peartree die "Darstellung eines Liebespaares" als Werk Dürers etablierte, fand die Zeichnung Aufnahme in das von Winkler erweiterte Oeuvreverzeichnis. (Anm. 3)
Das "Liebespaar" gilt trotz des fragmentarischen Zustands der Zeichnung als frühres Meisterwerk Dürers. Peartree datierte das Blatt in Dürers Basler Gesellenzeit zwischen 1490 und 1494, das Bildnis des Jünglings deutete er als ein Selbstportrait des jungen Künstlers. Beide Bestimmungen werden seither kontrovers diskutiert, nicht zuletzt da Peartree als Beleg für seine Datierung auf stilistische Ähnlichkeiten mit den Basler Buchholzschnitten des "Ritter von Thun" von 1493 verwies, die bis heute nicht eindeutig als Frühwerk Dürers anerkannt sind. (Anm. 4) In der Schlussszene des "Ritter von Thun" (Übergabe des Buches an die Töchter des Ritters) kehren Haltung und Draperie der jungen Frau von Dürers "Liebespaar" bei einer Töchter spiegelbildlich wieder: Die gleiche hochgezogene, vordere Falte mit der hingen voluminös gestauten Gewandschleppe, die in der Hamburger Zeichnung zur eleganten Verlängerung der gesamten Komposition beiträgt. (Anm. 5) Die auffällige Tracht des Jünglings mit den vorn über der Brust gekreuzten Bändern, den geschlitzten Ärmeln, dem plissierten Hemd und kurzen Dolch sowie den Schellen am Ärmel des Mädchens findet sich auch auf der um 1493/94 datierten, aquarellierten Federzeichnung des "Paar zu Pferde" in Berlin, das stilistisch ansonsten wenig Gemeinsamkeiten mit unserem Blatt hat. (Anm. 6)
Auf Grund dieser Kostümparallelen allein auf einen Basler Ursprung der Zeichnung zu schließen, wie Peartree es tat, wäre jedoch voreilig, da es vergleichbare Modelldarstellungen auch auf Nördlinger oder Nürnberger Holzschnitten gibt. (Anm. 7) Nach der Venedigreise weisen Dürers Gewanddarstellungen dagegen eine wesentlich verfeinerte und elegantere Strichführung auf. Schon allein deswegen ist eine spätere Datierung auszuschließen. (Anm. 8) Offen bleibt daher, ob das Hamburger Blatt noch während Dürers Wanderschaft in Basel entstand oder nach seiner Rückkehr 1494 in Nürnberg, wo er am 7. Juli Agnes Frey heiratete. Der für Dürer durchaus ungewöhnliche intime Charakter der Darstellung, in dem sich Anmut und innige Verbundenheit spiegeln, lässt jedoch darauf schließen, dass es sich bei dem "Liebespaar" um ein "Verlöbnisbild" handelt. So spiegelt sich in der Weise, wie der Jüngling den Arm um die Taille des Mädchens legt, während er mit der Rechten ihre Hand ergreift, der verhaltene Moment einer ersten Begegnung wieder.
Die Ähnlichkeit Dürers mit dem jungen Mann lässt sich anhand des Pariser Selbstbildnisses von 1493 nachvollziehen, das Dürer im Alter von 22 Jahren zeigt. (Anm. 9) Charakteristika wie die schmale Gesichtsform mit den hohen Wangenknochen, das etwas spitze Kinn mit dem geschwungenen Mund, der breite, gebogene Nasenrücken und schließlich die locker unter der Kappe herabfallenden Haare und das gleiche plissiete Hemd sprechen für eine Selbstdarstellung des jungen Dürers als eleganter Jüngling im "Liebespaar". Auch das Erlangeer Selbstportrait von 1491/92 zeigt vergleichbare Züge und ähnelt in der raschen, skizzenhaften Strichführung dem Hamburger Blatt. (Anm. 10) Das Bildnis des Mädchens ist dagegen trotz individueller Züge nicht eindeutig als Portrait von Agnes Frey erkennbar. (Anm. 11)
Mit dem Motiv des Liebespaares knüpft Dürer an die Bildtradition der spätmittelalterlichen Liebesgärten des Meisters E. S. (um 1420.um 1468), besonders jedoch des Hausbuchmeisters (tätig zischen 1470-1505) an. Dessen um 1480-85 datiertes "Stehendes Liebespaar" kann motivisch als Vorbild für unser Blatt angesehen werden. (Anm. 12) In der Spontaneität von Ausdruck und Federstrich der Zeichnung wird jedoch deutlich, dass Dürer dem Vorbild an Prägnanz und Relismus weit überlegen ist. Wiederholt ist das Hamburger Blatt als Vorstudie für den um 1498 entstandenen Kupferstich "Das Liebespaar und der Tod" (Bartsch94) gedeutet worden. (Anm. 13) Inhaltlich weichen die Darstellungen jeodch zu sehr voneinander ab, so dass allein die Komposition der Hamburger Zeichnung als Anregung für den Strich gedient haben wird. Dürers grazile Zeichnung "Frau in modischer Tracht" muss dagegen als Studie für die Figur des jungen Mädchens im "Liebespaar" amgesehen werden. (Anm. 14)
Stilistisch ist das Blatt um 1493/94 einzuordnen. So ist der Federstrich mit den kleinen, dichten Kreuzschraffuren im Gewand und den harten, eckigen Knickfalten noch den frühen Madonnendarstellungen verbunden (Anm. 15), der freie, teils skizzenhafte Duktus erinnert an die Londoner Darstellung des "Knieenden Jüngling mit Scharfrichter" von 1493. (Anm. 16) Deutlich zeigen sich noch zeichnerische Unsicherheiten des jungen Künstlers, wie die überarbeiteten Konturen, die Korrekturen am rechten Bein oder der zu dünn geratene linke Arm der jungen Frau. Trotz dieser kleinen Schwächen ist es Dürer mit dem "Liebespaar" erstmals gelungen, in einer bis dahin unbekannten Weise den Ausdruck persönlicher Zuneigung und inniger Harmonie im Bildnis festzuhalten.

Petra Roettig

(1) Vgl. Provenienz. Das Blatt wird in der Literatur auch unter dem Titel "Der Spaziergang" oder "Die Promenade" erwähnt.
(2) Vgl,. Friedrich Lippmann (Hg.): Zeichnungen von Albrecht Dürer in Nachbildungen, Berlin 1988, Abt. IX: Zeichnungen der Kunsthalle zu Hamburg, Nr. 159-161, S. 18.
(3) Peartree 1904. Vgl. Winkler 1927, Nr. 620 (als "Trachtenstudie").
(4) Vgl. Dürer 2004, S. 50-75, Nr. 263. Flechsig 1931, S. 402 bestritt dagegen die Nähe zu den Buchillustrationen und datierte das Blatt um 1495/96. Anders als Peartree sah er in dem Bildnis des Jünglings kein Selbstportrait Dürers.
(5) Dürer 2004, S. 74-75, Nr. 263.45, Abb.
(6) Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, KdZ 3, vgl. Strauss 1974, Bd. 6, S. 2908, Nr. XW 54, Abb. Vgl. Ausst.-Kat. Basel 1997, S. 112-114, Nr. 10.6 mit Abb.
(7) Tietze 1928, S. 8, Nr. 34.
(8) Vgl. Dürers Zeichnungen der "Nürnbergerin und Venezianerin" in Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut, Graphische Sammlung, Inv. Nr. 696, vgl. Wendepunkte deutscher Zeichenkunst. Spätgotik und Renaissande im Städel, bearb. von Stephanie Buck, Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2003, S. 74-76, Nr. 20, Abb.
(9) Fedja Anzelewky: Albrecht Dürer. Das malerische Werk, Berlin 21991, Textbd. S. 124-125, Nr. A 10, Taf. 10, Abb 14.
(10) Erlangen, Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek, vgl. Strauss 1974, Bd. 1, S. 58, Nr. 1491/9, Abb.
(11) Vgl. Dürers Zeichnung "Mein Agnes", 1494, Wien, Albertina, Inv. Nr. 3063, vgl. Strauss 1974, Bd. 1, S. 208, Nr. 1494/7, Abb., vgl. Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 140-141, Nr, 11, Abb.
(12) Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, KdZ 35, vgl. Ausst.-Kat. Basel 1997, S. 40-42, Nr. 3.1 mit Abb.
(13) Vgl. Panofsky 1977, S. 40.
(14) Bayonne, Musée Bonnat, ohne Inv. Nr., vlg. Strauss 1974, Bd. 1, S. 66, Nr, 1494/2, Abb.
(15) Vgl. "Heilige Familie", 1492/93, Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, KdZ 4174, vgl. Ausst.-Kat. Basel 1997, S. 110-112, Nr. 10.5.
(16) London, British Museum, Inv. Nr. 5218-172, vgl. Strauss 1974, Bd. 1, S. 144, Nr. 1493/5, Abb.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun 258mm x 191mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23918 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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