Jan Gossaert, Umkreis, Zeichner

Fortuna

Von Harzen als Arbeit Hans Brosamers (1495–1554) geführt, wurde die Zeichnung erstmals von Pauli (1926) den Altniederländern zugeordnet und in seriellen Kontext gestellt mit einer in gleicher Technik gearbeiteten, ehemals Bernard van Orley (1491/92–1542) zugeschriebenen „Justitia“ in Wien.(Anm.1) Von dieser Zeichnung unterscheidet sich das vorliegende Blatt jedoch – auch bei Berücksichtigung des hier beschnittenen Randes – im kleineren Format, den weniger straffen Faltenwürfen, dem größer proportionierten Kopf und der trockener aufgetragenen Weißhöhung.
Beide Zeichnungen gehören zu einer größeren Gruppe von mutmaßlichen Glasentwürfen im Rundformat und in gleicher Technik. Einige dieser Blätter werden heute Gossaert zugeschrieben, im Anschluss an die signierte „Enthauptung Johannes des Täufers“ in der Pariser École des Beaux-Arts.(Anm.2) Gossaerts Autorschaft wurde indes ausgeschlossen für das „Parisurteil“ in Edinburgh, dem unsere Zeichnung stilistisch besonders nahesteht.(Anm.3) Jedoch muss das Blatt im engeren Umkreis des Künstlers entstanden sein. Für die fein gezeichnete, durch den schlechten Erhaltungszustand verunklärte Hintergrundlandschaft finden sich durchaus Parallelen im gemalten Œuvre, ebenso wie für die scharf beleuchteten Faltengrate.(Anm.4) Das in der Bauchpartie flachere Faltenrelief bei zart und vibrierend bewegter Stoffoberfläche findet sich ähnlich in der Schulterpartie von Gossaerts gemalter „Madonna“ in Madrid.(Anm.5) Mit Gossaerts eigener Hand allerdings nicht in Verbindung zu bringen ist die Vorzeichnung in schwarzer Kreide, wie z. B. im Bereich der Locken oberhalb der linken Schulter.(Anm.6)

Annemarie Stefes

1 Wien, Grafische Sammlung Albertina, Inv.-Nr. 7834. Pauli wies darüber hinaus auf kompositorische Anleihen aus Dürers Kupferstichen B. 1 und B. 77.
2 Dies sind die Zeichnungen in Paris, École Supérieure des Beaux-Arts, Inv.-Nr. Mas. 487; Paris, Fondation Custodia, Inv.-Nr. 5498 und Inv.-Nr. 1978-T4; Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv.-Nr. N 139; Cambridge, Fitzwilliam Museum, Inv.-Nr. PD.356-1963. Über den aktuellen Forschungsstand informierte mich freundlicherweise Stijn Alsteens. Zu dieser Werkgruppe vgl. auch Husband, in: Timothy B. Husband, Ellen Konowitz, Zsuzsanna Van Ruyven-Zeman: The Luminous Image. Painted Glass Roundels in the Lowlands, 1480-1560, Ausst.-Kat. New York, Metropolitan Museum of Art, New York 1995, S. 130–131.
3 Edinburgh, National Gallery of Scotland, Inv.-Nr. D 652, Keith Andrews: Catalogue of Netherlandish Drawings in the National Gallery of Scotland, 2 Bde., Edinburgh 1985, Bd. 1, S. 33; zu diesem Schluss kam auch Stephanie Schrader (Mitteilung per E-Mail, 9. 2. 2004), und dies erscheint sinnvoll angesichts der sperrigen Armbewegungen, rundlichen Gliedmaßen, hölzern wirkenden Gesichtszüge, drahtigen Konturen und der feinen Schraffur.
4 Z. B. „Christus am Ölberg“, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 551 a; „Hl. Hieronymus“, Washington, National Gallery of Art, Samuel H. Kress Collection, Inv.-Nr. 1952.5.40.a-b.
5 Madrid, Museo del Prado, Inv.-Nr. 1019, Max Jakob Friedländer: Jan Gossaert and Bernart van Orley, hrsg. von Henri Pauwels und S. Herzog, Early Netherlandish Painting, Bd. 8000, Leiden 1972, S. 95, Nr. 35.
6 Möglicherweise ein Indiz für eine andere Hand, wie von Peter van den Brink vorgeschlagen (mündlich, 2007).

Details zu diesem Werk

Pinselspitze in Schwarz und Deckweiß über schwarzer Kreide auf dunkelgrau grundiertem Papier; Einfassungslinie mit Feder in Braun 216mm x mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23908 Sammlung: KK Zeichnungen, Niederlande, 15.- 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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