Heinrich Theodor Wehle

Ruine eines runden Turms bei Tiflis

Die Hamburger Kunsthalle besitzt insgesamt 30 Zeichnungen von Wehle, die während seiner Reise in den Kaukasus 1802 und 1803 entstanden. 1801 war Wehle in Begleitung des Altertumsforschers und Direktors der Peterburger Akademie, Graf Marie Gabriel Florent Auguste de Choiseul-Gouffier, nach St. Petersburg gekommen, wo Zar Alexander I. vom Talent Wehles sehr angetan war und ihn beauftragte, kartographische Ansichten aus dem Kaukasus und den transkaukasischen Ländern anzufertigen. Russland hatte 1801 Georgien annektiert, und eine Expedition, an der Wehle als Zeichner teilnahm, wurde unter der Leitung des Grafen Mussin-Puschkin beauftragt, Daten über die neu gewonnenen Bodenschätze zu erheben.
Die Expedition war am 20. Februar 1802 in St. Petersburg aufgebrochen und überquerte Ende April/Anfang Mai den Kaukasus in Georgien, wo sie wohl bis im Frühjahr 1803 blieb. Danach erfolgte wahrscheinlich der Aufbruch in Richtung Armenien, dessen Grenzgebiet öffentlich bis Ende 1803 erkundet wurde. Wehles Ortsangaben auf den Zeichnungen lassen es zu, den Weg der Expedition in seinen Grundzügen zu rekonstruieren. Angesichts vieler in Tiflis entstandener Zeichnungen - darauf deutet die häufige Beschriftung "Wehle à Tiflis" - ist von einem längeren Aufenthalt in der georgischen Hauptstadt auszugehen. Von hier aus hat Wehle Exkursionen in die nähere und weitere Umgebung unternommen. Danach begab sich die Expedition nach Eriwan, indem sie zunächst dem Lauf des Debeda-Tschai (heute Bortschalinka) folgte.
Das kartographische Material, das Wehle anfertigte, verblieb beim Grafen Mussin-Puschkin oder ging an entsprechende Archive, während Wehle die Landschaftszeichnungen behielt. Bei seinem Tode 1805 befanden sie sich im Besitz seiner Mutter Rahel Dorothea Wehle, die sie in eine Verkaufsausstellung bei der Dresdner Kunsthandlung Rittner gab. Dort erwarb sie Xaver Maria Cäsar Graf von Schönberg-Rothschönberg (1768-1853), damals kaiserlich französischer Obristleutnant, für 800 Taler. Nach seinem Tod 1853 ist die Sammlung wahrscheinlich an seinen Sohn Arthur von Roth-Schönberg (1802-1870) übergegangen, der sie im September 1858 bei Rudolph Weigel in Leipzig versteigern ließ.(Anm.1) Wie die Zeichnungen in die Kunsthalle gekommen sind, ist unbekannt; ob sie damals Harzen erworben hat, wie Holm vermutet (Anm.2), lässt sich nicht mehr nachweisen, da seine erhaltenen Inventare und Notizen darüber keine Auskunft geben. Wahrscheinlicher ist es deshalb, dass sie zwischen 1858 und 1886 aus einer unbekannten Quelle erworben oder geschenkt wurden.
Motivisch lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Die Erfassung der weiten Landschaft im Kaukasus war ein Hauptanliegen Wehles, auf diesen Blättern erscheinen häufig erst in weiter Ferne Klöster oder andere Gebäude - eingebettet in die kaukasische Bergwelt - als Zeichen einer vergangenen Zivilisation. Erst in weiter Ferne erscheint das Kloster als Zeichen von Zivilisation. Auf anderen Blättern wiederum bevorzugt Wehle die Nahsicht, auf diesen Blättern ist der Einfluss von Kolbe und Reinhart spürbar.
Stilistisch lassen sich die im Kaukasus entstandenen Zeichnungen in drei unterschiedliche Gruppen einteilen: Die erste Gruppe umfasst vor Ort entstandene, mit der Feder schnell hingeworfene, teilweise dramatische Naturstudien, die in sehr seltenenen Fällen auch laviert sind (Inv.-Nr. 23876 z I). Eine zweite Gruppe zeigt ausgeführtere Blätter, teilweise auch Varianten der Studien, die in ihrem dichten Lineament und ihrer sorgfältigen Durcharbeitung schon für die Umsetzung in den Kupferstich vorgesehen sind. Bei ihnen ist das Bestreben spürbar, das dargestellte Motiv bildgerecht zu arrangieren (vgl. etwa Inv.-Nr. 23876 e). Auf diesen Ansichten, auf denen er die Landschaft und die Ruinen in einem zumeist pittoresken Sinne erfasst hat, bewegt sich Wehle zwischen dem Bedürfnis nach topographischer Information und künstlerischer Bildgestaltung.
Die Hamburger Kunsthalle besitzt ausschließlich Blätter dieser beiden Gruppen, die bis auf eine als reine Federzeichnungen in brauner, schwarzer, violetter und roter Tusche ausgeführt wurden. Eine dritte Gruppe, deren Blätter sich zumeist im Stadtmuseum Bautzen befinden, umfasst schließlich bildmäßig ausgeführte und konventioneller komponierte Pinselzeichnungen, die als pittoreske Ansichten bereits teilweise montiert wurden und für den Verkauf oder die Umsetzung in druckgraphische Medien - bevorzugt die Aquatinta - vorgesehen waren.

Peter Prange

1 Vgl. Kat. Weigel 1858, S. 109, Nr. 1858.
2 Editha Holm: Heinrich Theodor Wehle, ein "wirkliches, treffliches Genie". Zeichnungen von einer Kunstreise nach der kaukasischen Statthalterschaft, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 6, 1961, S. 85.

Details zu diesem Werk

Feder in Pinsel in Schwarz (über Bleistift?) 192mm x 238mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23876 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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