Johann Liss

Streitende Musikanten, 1629

Die signierte und datierte Zeichnung, die ursprünglich zu dem Stammbuch eines vermutlich befreundeten Künstlers gehörte, ist heute der einzig sichere Beleg für Liss’ Herkunft aus dem holsteinischen Oldenburg (vermutet wurden die Niederlande sowie Oldenburg i. O.) sowie seinen zweiten Aufenthalt in Venedig im Jahr 1629. Lange hat die eigenhändige Inschrift auf dem Blatt zu unterschiedlichen Deutungen geführt. So wurde die Jahresangabe trotz Koopmanns zunächst richtiger Lesart als „1621“ identifiziert und die Ortsangabe „Venezia“ als „Neap(el)“ gelesen.
Vorbilder für die Figuren sind die Narrenzwerge, die sogenannten „gobbi“ der „Commedia dell’ Arte“, die Jacques Callot (1592–1635) nach seiner Rückkehr aus Florenz 1622 in seiner Heimatstadt Nancy in einer Reihe von Radierungen veröffentlichte.(Anm. 1) Möglich wäre, dass Liss Callots Darstellungen bereits in Florenz gesehen hat, falls es nicht doch eigene Bilderfindungen des Künstlers sind.
Ein Neufund im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig schließt die letzte Möglichkeit allerdings mit größter Wahrscheinlichkeit aus: Dort finden sich im Stammbuch des Johann Jacob Müller (nachweisbar 1693–1736 in Braunschweig), das wohl zwischen 1693 und 1720 entstand, die gleichen streitenden Musikanten mit einer Beschriftung unterhalb der Darstellung.(Anm. 2) Die Zeichnung stammt nach Ausweis der Beschriftung von dem Augsburger Maler Johann Baptist Bernhart: „Zur immer […] angedenken macht dieses in Eill seinem werthen freundt, Johan Baptista Bernhart Maller“. Gegenüber der Szenerie bei Liss ist diese allerdings etwas verändert. Während bei Liss die beiden Musiker richtig aufeinander loszugehen scheinen und ein dritter bereits umgefallen ist, sind sie auf dem Blatt aus Müllers Stammbuch so weit voneinander abgerückt, dass sie sich nicht mehr „in die Quere“ kommen. Man muss wohl ein bisher unbekanntes, gemeinsames Vorbild annehmen (Anm. 3), denn die Vorstellung, dass die Zeichnung von Liss im Besitz des Zeichners aus dem Müllerschen Stammbuch war, erscheint sehr unwahrscheinlich.
Auf der Rückseite des Blattes befindet sich eine Rötelskizze von anderer Hand mit der Darstellung eines Knaben und einem Hund, die Ann Tzeutschler Lurie im Augsburger Ausstellungskatalog von 1975 als Teilkopie nach dem 1603-05 entstandenen Wandbild „Der Doge Marino Grimani empfängt eine persische Gesandtschaft“ im Dogenpalast von Gabriele und Carlo Caliari identifiziert hat. Sie stammt wohl vom Besitzer des Stammbuchs, der demnach auch Maler gewesen sein dürfte. Peter Amelung hat deshalb vorsichtig vermutet, dass es sich dabei um Joachim von Sandrart handeln könnte, der Liss nach eigener Aussage 1629 in Venedig besucht hatte.

Peter Prange

1 Steinbarts Vermutung, Callots „Gobbi“ seien Liss durch Jean Le Clerc – Callots Freund, der sich zwischen 1619 und 1621 in Venedig aufhielt – vermittelt worden, kann auf Grund der späteren Datierung des Blattes nicht mehr überzeugen.
2 Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Kupferstichkabinett: Aquarell über Graphit, 104 x 181 mm, eingeklebt auf Bl. 80 r, Inv.-Nr. H 27, Nr. 58. Vgl. auch Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Kunstmuseum des Landes Niedersachsen. 250 Jahre Museum. Von den fürstlichen Sammlungen zum Museum der Aufklärung, Ausst.-Kat. Braunschweig 2004, S. 153. Zum Stammbuch Christian von Heusinger: Die Handzeichnungssammlung: Geschichte und Bestand, Textband, Braunschweig 1997, S. 139–143. Für weitere Hinweise zum Blatt danke ich Thomas Döring, Braunschweig.
3 So auch Rüdiger Klessmann, Augsburg, in einer mündlichen Mitteilung am 2.11.2004.

Details zu diesem Werk

Feder in Braun, grau und braun laviert über Bleistift 96mm x 131mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23507 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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