Johann Christoph Erhard

Campagnalandschaft mit der alten Via Cassia nahe der Ponte Molle, mit Blick auf den Torre di Nerone, im Vordergrund ein galoppierender Reiter

Der im 11. Jahrhundert über einem antiken Grabmal errichteten Torre di Quinto ist heute längst im römischen Stadtgebiet weitgehend verschwunden, zu Beginn des 19. Jahrhunderts übte die schroffe, karge Campagnalandschaft am Tiber einen großen Reiz auf die deutsche Künstlerschaft aus. Jakob Phlipp Hackert hatte die Gegend bereits Ende des 18. Jahrhunderts aufgesucht (Anm. 1) und Adrian Ludwig Richter seine Eindrücke in seinen Lebenserinnerungen wiedergegeben. Er zeigte sich beeindruckt von der „wunderbaren Stille hier“ und beschrieb die „unsägliche Schönheit dieser weiten, einsamen Gefilde“, in denen „in zart bewegten Linien sich rotbraune, sonnenverbrannte Hügelketten bis an den Fuß der steilen Sabinerberge hoben und senkten, welche in einer Entfernung von sechs bis zehn Stunden den Horizont begrenzten. Hie und da stand ein Turm aus dem Mittelalter, ein antikes Grabmal oder andere uralte Trümmer.“(Anm. 2) Richters Beschreibung der Stille und Einsamkeit der Gegend spricht auch aus Erhards Zeichnung, in der er die Landschaft als karg und vegetationslos schildert und die streifenartige Schichtung der Landschaft herausarbeitet.
Harzen bemerkt in seinem handschriftlichen Inventar viele Pentimenti auf der Zeichnung, die eine ursprünglich andere Bildanlage belegen. Zunächst zogen auf der Straße mehrere Ziegen nach rechts herunter, in deren Mitte offensichtlich ein Hirte stand, der sich in einem Gespräch mit einem Käseverkäufer rechts neben ihm befand. Diese Gruppe ist nur skizzenhaft angedeutet, und wurde nachträglich durch den Reiter ersetzt. Er ist wie auch der Felsabhang und der Torre di Quinto mit dem Bleistift stark durchgedrückt, Erhard verwendete zwei verschiedene Bleistift unterschiedlicher Härtegrade: Während er für den Felsanhang, den Reiter und dem Turm einen harten Bleistift benutzte, hat er den Rest mit einem weicheren Bleistift ausgeführt.
Die mit einem weicheren Bleistift ausgeführten Partien entsprechen der Anlage einer anderen Ansicht mit dem Torre di Quinto, die sich in Mannheim befindet.(Anm. 3) Das Mannheimer Blatt, dass rechts neben der Darstellung einen unbezeichneten Streifen aufweist, könnte aus einem Skizzenbuch stammen oder der Streifen rührt von einer Klemme her, mit dem das Blatt auf eine Unterlage eingespannt war. Dies spricht dafür, dass die Mannheimer Ansicht vor der Natur entstanden ist (Anm. 4), während das Hamburger Blatt, das um bildhaft-pittoreske Elemente wie den Reiter und um den die Komposition begrenzenden Felsabhang ergänzt wurde, wohl auch aufgrund des größeren Formats eine Atelierarbeit ist. Es scheint, dass Erhard zu diesem Zwecke das Mannheimer Blatt kopiert hat; eine Vermutung, für die auch das verwendete dünne, allseitig beschnittene Velinpapier spricht.
Von dem Hamburger Blatt existiert eine in der Breite geringfügig breitere Kopie auf Transparentpapier, die Monika Schulte-Arndt ebenfalls für Erhard in Anspruch nehmen wollte (Anm. 5), doch hat Christiane Wiebel zuletzt zu Recht auf die traditionelle Zuschreibung an heinrich Reinhold verwiesen (Anm. 6), die nicht nur stilistisch, sondern auch aufgund des Verzichts auf die Staffage und der Provenienz als gesichert gelten darf. Eine im Ausschnitt verkleinerte Kopie auf Transparentpapier von Johann Adam Klein befindet sich in Nürnberg.(Anm. 7)

Peter Prange

1 Jakob Philipp Hackert, Ansicht Tibertals mit Torre di Quinto, Bleistift, Feder und Pinsel in Braun, 410 x 645 mm, Frankfurt am Main, Freies Deutsches Hochstift, Goethe-Museum, Inv.-Nr. XIa-gr-13460, vgl. Claudia Nordhoff/Hans Reimer: Jakob Philipp Hackert 1737-1807. Verzeichnis seiner Werke, Bd. II, Berlin 1994, S. 316, Nr. 770, Abb. 373.
2 Ludwig Richter: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Erweitert um einen Auszug aus den Ergänzungen von der Hand des Sohnes Heinrich Richter, hrsg. von Karl Wagner, Berlin 1982, S. 87.
3 Torre di Quinto, Bleistift, 178 x 246 mm, Mannheim, Kunsthalle, Inv.-Nr. G 1094, vgl. Monika Schulte-Arndt: Vom Klassizismus zur Spätromantik. Zeichnungen und Aquarelle 1770-1860, hrsg. von Manfred Fath, Die Zeichnungen und Aquarelle des 19. Jahrhunderts der Kunsthalle Mannheim, Bd. 1/2, Weinheim 1997, S. 28-29, Nr. 33, Abb. S. 218.
4 Bei gleicher Gelegenheit ist möglicherweise ein weiteres Blatt mit einem Felsabhang bei Torre di Quinto entstanden: Torre di Quinto, Bleistift, 178 x 232 mm, New York, Metropolitan Museum, Inv.-Nr. 2003.503, vgl. Gärtner 2012, S. 355, Nr. N 59.
5 Schulte-Arndt 1997, S. 29; siehe auch Gärtner 2012, S.355, Nr. N 55, die ebenfalls die Autorschaft Reinholds in Frage stellt.
6 Heinrich Reinhold, Römische Campagna mit der Torre di Quinto, Bleistift auf Transparentpapier, 243 x 339 mm, Coburg, Kunstsammlungen der Veste, Inv.-Nr. Z 6520, vgl. Mit dem Blick des Zeichners. Aquarelle und Zeichnungen der deutschen Romantik und des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Böhm-Hennes, hrsg. von Klaus Weschenfelder/Christiane Wiebel, München-Berlin 2009, S. 228-232, Nr. 75, Abb.
7 Johann Adam Klein, Blick auf den Torre del Quinto, Bleistift auf Transparentpapier, 131 x 233 mm, Museen der Stadt Nürnberg, Graphische Sammlung, Inv. 9974.

Details zu diesem Werk

Bleistift 262mm x 313mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 23197 Sammlung: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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